Die Hippies, die CIA, LSD, das Internet und der Unabomber
Über die Verbindung von Heinz von Foerster und George Spencer-Brown habe ich den Film Das Netz entdeckt und mir umgehend angeschaut. Er ist in Gänze auf YouTube zu finden, ich habe ihn mir dennoch der besseren Qualität und der Bonus-Interviews wegen aus der Videothek ausgeliehen:
In wenigen Worten geht es darin um (mir teilweise vorher unbekannte) Verbindungen zwischen der Hippie-Bewegung, bestimmten zentralen Entwicklungen der modernen Wissenschaft (allen voran die Kybernetik) und der Entstehung des Internet. Dabei hangelt sich der Film entlang der Geschichte des so genannten Unabombers Ted Kaczynski.
Neben dem Film beziehe ich mich nun vor allem auf sein Manifest Industrial Society and Its Future (auch im Archiv der Washington Post), von dem es eine deutsche Übersetzung gibt.
Punkt 140 fasst das Ziel des Manifests gut zusammen:
Wir hoffen, daß wir den Leser davon überzeugen konnten, daß man das System nicht durch Reformen verändern kann, um Freiheit und Technologie in Einklang zu bringen. Der einzige Ausweg ist, das gesamte industrielle-technologische System abzuschaffen. Das bedeutet Revolution, nicht unbedingt ein bewaffneter Aufstand, aber auf jeden Fall eine radikalen und fundamentale Veränderung der gesamten Gesellschaft.
Als Soundtrack zum Manifest eignet sich wohl kein Lied besser als “Killing in the name” von Rage against the machine:
Der Film und das Manifest betrifft mich durchaus sehr persönlich. Bis zum heutigen Tag verdiene ich mir meinen Lebensunterhalt mit Computerservice und habe mit Begeisterung für die Sache bis zum Vordiplom Informatik studiert. Dann habe ich aus persönlichen Gründen, nicht etwa weil mir die Inhalte nicht mehr gefielen, das Studium abgebrochen. Das Internet fand und finde ich eine geniale Erfindung, die dazu dienen kann, uns Menschen mehr miteinander zu verbinden. Technologie ist für mich ein Werkzeug, das man für “Gutes” wie für “Schlechtes” benutzen kann, und das man mehr oder auch weniger intelligent designen kann. Die hochkomplexe menschliche Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin & lebe, schränkt mich in mancher Hinsicht zwar ein, für mich überwiegt jedoch bei weitem die Fülle der Möglichkeiten.
Während des Informatikstudiums habe ich u.a. das Buch Metaman: The Merging of Humans and Machines into a Global Superorganism von Gregory Stock gelesen und fand seine Vision etwas befremdlich, dabei nicht bedrohlich, sondern durchaus spannend. Für Kaczynski ist das eine Horrorvorstellung.
Bevor ich auf das Manifest näher eingehe, zunächst die Punkte, die im Film für mich neu waren:
- Die Macy-Konferenzen als wichtiger Bestandteil des Militärisch-industriellen Komplexes
- Vom Esalen-Institut hatte ich zwar schon vorher gehört, mir war nicht klar gewesen, welche zentrale Bedeutung es für die kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung in den 60er und 70er Jahren gespielt hat
- Kaczynski war eines der Versuchskaninchen der CIA für ihr MKULTRA-Programm zur Bewusstseinskontrolle
In Alternativlos Folge 29 hatte ich schon viel über die Ursprünge der Spieltheorie im Kalten Krieg erfahren. John von Neumann war bei den Macy-Konferenzen dabei. Die Entwicklung des Internet habe ich in dem Buch ARPA kadabra schon vor dem Film nachvollziehen können.
Lutz Dammbeck geht in seinem Film der These nach, dass die wissenschaftlich-industrielle Zivilisation ein totalitäres System ist, welches Angriffen dadurch widersteht, dass es sie integriert.
Punkt 200 im Manifest beschreibt das so:
Bis das industrielle System gänzlich vernichtet ist, muß die Zerstörung des Systems für die Revolutionäre das EINZIGE Ziel sein. Durch andere Ziele würde die Aufmerksamkeit und Energie von dem Hauptziel abgelenkt werden. Wenn die Revolutionäre sich mit anderen Zielen als der Zerstörung der Technologie auseinandersetzen, werden sie in Versuchung kommen, die Technologie als Werkzeug zu benutzten, um andere Ziele zu erreichen. Wenn sie dieser Versuchung nachgeben, werden sie selbst in die technologische Falle tappen, denn die moderne Technologie ist ein einheitliches eng organisiertes System, so daß man bei dem Versuch, EINIGE Technologie zu erhalten, schließlich genötigt ist, die GANZE Technologie zu erhalten, es würde damit enden, daß lediglich eine unbedeutende Anzahl von Technologien aufgegeben würden.
Die Borg aus Star Trek stellen wahrscheinlich die ultimative Horrorvision des Unabombers dar. Menschen haben ihre Individualität vollständig aufgegeben und sind zu Drohnen eines technischen Superorganismus geworden.
Ich betrachte Ted Kaczynski nicht als psychisch krank. Ich zähle ihn zu dem Teil der anarchistischen Bewegung, die auch Gewalt als legitimes Mittel einsetzt – als direkte Aktion. Natürlich ist man damit aus Sicht der Gesellschaft ein Krimineller, und ich selbst bevorzuge Gewaltfreiheit. Dennoch ist das eine politische Strömung, deren Anhänger man nicht einfach als verrückt abtun kann. Und sein Manifest ist sehr durchdacht. Emotional mag Kaczynski Schwierigkeiten haben, geistig halte ich ihn jedenfalls für gesund.
Ziemlich zu Beginn beschreibt er die “Psychologie des Leftismus”, also die aus seiner Sicht kennzeichnenden psychischen Merkmale der modernen linken Bewegung. Dabei schränkt er selber ein, dass diese nur auf einen Teil derjenigen, die sich selbst als politisch links bezeichnen, zutrifft. Im Kontext von Spiral Dynamics sehe ich das, was er schreibt, als eine äußerst zutreffende Beschreibung des “Mean Green Meme”. Und wo wir schon bei Spiral Dynamics sind, das Manifest ist aus einer stark orange geprägten, individualistischen Haltung geschrieben (mit Einflüssen von rot). Kaczynski kritisiert darin sowohl blaue wie grüne Aspekte der “Zivilisation”. Seine Forderung nach “zurück zur Natur” gipfelt in Punkt 183:
Das von uns vorgeschlagene positive Ideal ist die Natur, nämlich die URSPRÜNGLICHE Natur, die Lebensformen der Erde, die unabhängig von menschlicher Lenkung, Eingriffen und Kontrolle existieren. Zur ursprünglichen Natur gehört auch der Mensch, wobei wir die physischen Aspekte des menschlichen Individuums meinen, die nicht einer Regulierung durch die organisierte Gesellschaft unterliegen, sondern vom Zufall, dem freien Willen, oder Gott (je nach den religiösen und philosophischen Vorstellungen) abhängig sind.
Diese Überhöhung der Natur ist zwar ein Aspekt des grünen Mems, da Kaczynski allerdings andere Aspekte des Mean Green Meme vehement ablehnt, wendet er sich eher rückwärts bis ins magische Purpur. Kleine Gruppen und die Familie bewertet er viel höher als die Gesellschaft im Großen. Diese betrachtet er vielmehr als ein Übel, das den Einzelnen ihre Freiheit wegnimmt. Ich sehe hier auch Parallelen zur Tiefenökologie.
Beim Lesen bekomme ich dabei eher den Eindruck, dass er die veralteten Strukturen kritisiert, die sich vor allem im Bildungssystem äußern und aus der Zeit stammen, in der die große Masse der Arbeiter stupide Arbeiten am Fließband verrichten musste. Während sich unsere Arbeitswelt längst ganz anders entwickelt hat, hält (vor allem in Deutschland) das Schulsystem noch an der industriellen Dressur der Kinder fest. Es gibt längst angemessene Ansätze wie die Sudbury-Schulen, Gerald Hüthers Konzept der Potenzialentfaltung & vieles mehr, worüber ich auch schon viel gebloggt habe.
Dem würde Kaczynski möglicherweise, ähnlich wie Michel Foucault, entgegnen, dass das nur verfeinerte Mechanismen der Kontrolle bzw. Disziplinierung sind, denn das Endergebnis davon sind ja Menschen, die in der flexibilisierten nachindustriellen Gesellschaft gut funktionieren. Das Hamsterrad als mentale Infrastruktur passt hier ebenfalls hin, und auch die Freie Kooperation:
Die Artefakte des demokratischen Zeitalters sind in der Tat Sklavenarbeit. Sie sind die Arbeit von Sklaven und Sklavinnen der heutigen Weltordnung; von Kriegsgefangenen in einem allgemeinen Wirtschaftskrieg der Reichen gegen die Armen; von Verschleppten durch die Gewalt der Not oder fehlender Alternativen.
Ein Schlüsselkonzept Kaczynskis ist der power process, auf deutsch als “Selbstverwirklichung” übersetzt. Es ist in Punkt 37 zusammengefasst:
Um ernsthafte psychologische Probleme zu vermeiden, muß ein Mensch Ziele haben, deren Erreichen Anstrengung verlangt, und er muß wenigstens teilweise erfolgreich beim Erreichen dieser Ziele sein.
Das stimmt weitgehend mit dem Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung überein.
Kaczynski meint nun, dass die moderne Gesellschaft uns wie ein Schlaraffenland alle Anstrengungen abnimmt, wodurch uns etwas Wesentliches fehlt, nämlich Autonomie und Freiheit. Die Szene aus dem Film Wall-E treibt das auf die Spitze. Auch Aldous Huxleys berühmter Roman Schöne neue Welt zeigt eine Welt, die ein scheinbares Paradies ist und wo doch die Masse der Menschen völlig unfrei lebt.
Dazu passt, dass die Mainstream-Volkswirtschaftstheorie die Menschen als homo oeconomicus ohne Freiheit modelliert, der nur auf die Maximierung seines engstirnig individuellen Nutzens aus ist. Für den homo oeconomicus ist die Axiom aus Wall-E oder die Schöne Neue Welt wirklich das Paradies. Die schöpferische Freiheit bleibt dabei auf der Strecke.
Eine Befürchtung Kaczynskis, die ich teile, nennt er in Punkt 173:
Wenn Maschinen ihre eigenen Entscheidungen treffen können, dann ist das Ergebnis nicht voraussehbar, weil es unvorstellbar ist , wie Maschinen sich verhalten werden. Wir können lediglich feststellen, daß das Schicksal der Menschheit dann von den Maschinen abhängen würde. Man könnte entgegnen, daß die Menschheit niemals so wahnsinnig wäre, ihre Macht an Maschinen abzugeben. Wir behaupten weder, daß die Menschheit das freiwillig tun würde, noch daß die Maschinen sich willentlich die Macht aneignen würden. Was wir behaupten ist, daß die Menschheit einfach in die Situation solcher Abhängigkeit von Maschinen geraten kann, so daß sie keine andere Wahl hat, als alle Entscheidungen der Maschinen zu akzeptieren. Da die Gesellschaft und ihre Probleme immer komplexer und Maschinen immer intelligenter werden, werden die Menschen den Maschinen immer mehr Entscheidungen überlassen, einfach deshalb, weil sie zu besseren Ergebnissen führen als menschliche Entscheidungen. Möglicherweise wird man eine Stufe erreichen, auf der System-erhaltende notwendige Entscheidungen so komplex werden, daß Menschen dann wegen ihrer begrenzten Intelligenz gar nicht mehr in der Lage sein würden, diese Entscheidungen zu treffen. Wenn diese Stufe erreicht ist, werden die Maschinen die Kontrolle erlangt haben. Der Mensch wird dann nicht fähig sein, die Maschinen einfach abzuschalten, weil er so abhängig geworden ist, daß ein Abschalten kollektiver Selbstmord bedeuten würde.
Das habe ich in meinem Shadowrun-Beitrag ausgeführt und dazu geschrieben:
Deshalb plädiere ich dafür, unsere Ressourcen verstärkt in unsere eigene Weiterentwicklung als Menschen zu stecken und weniger in die Weiterentwicklung von Technologien, die uns selbst ersetzen sollen.
Der Mensch, der von allen, die ich kenne, am konsequentesten die eigene Weiterentwicklung betrieben hat, ist John Lilly. Und der war zeitweise in Esalen und hat explizit mit Computermetaphern bei der Untersuchung des menschlichen Bewusstseins gearbeitet. Damit ist er ein Beispiel dafür, dass das der individuellen Freiheit nicht entgegenstehen muss, sondern ihr auch sehr wohl dienen kann.
Robert Anton Wilson kann man als positiven Gegenentwurf zu Ted Kaczynski betrachten. Er ist ebenfalls Anarchist, setzt dabei aber voll auf Bewusstseinserweiterung, & zwar sowohl individuell als auch gesamtgesellschaftlich.
In diesem Zusammenhang heißt Bewusstseinserweiterung, sich sowohl als Einzelwesen, wie auch als Teil einer Familie, einer Stadt, eines Landes, der Menschheit und schließlich des Lebens auf dem Planeten Erde zu begreifen. Arthur Koestler prägte dafür den Begriff Holarchie, denn diese Ebenen sind nicht als Hierarchie voneinander getrennt und auf einer Skala oben-unten einsortiert, sondern jede ist für sich eine Einheit (ein Holon), die die kleineren Einheiten umfasst und selbst wieder in die größeren Einheiten eingebettet ist. Von diesem Begriff leitet sich auch Holacracy ab.
Der Unabomber hat offensichtlich keine Ambitionen, sich als Holon in einer komplexen Gesellschaft, geschweige denn der ganzen Menschheit zu begreifen, denn diese betrachtet er als Bedrohung seiner Freiheit.
Eine Analogie zu der Entwicklung der (nicht nur technischen) Zivilisation ist der Zusammenschluss von Einzellern zu Vielzellern. Dabei hat jede der ehemals “freien” Zellen einen Teil ihrer Freiheit aufgegeben, um dann gemeinsam etwas Neues zu erreichen. Eine einzelne Muskelzelle ist außerhalb ihres Muskelgewebes nicht lebensfähig. Dennoch wage ich zu bezweifeln, dass die Zelle bedauert, in ihrer Freiheit eingeschränkt zu sein. Und da ich gerade von der Chorprobe komme, ist das eine noch viel passendere Analogie: Wir geben da unsere Freiheit auf, jederzeit singen zu können, was wir wollen, um gemeinsamen Chorgesang zu schaffen. Das geht nicht alleine. Und dazu ordnen wir uns sogar (ebenfalls freiwillig) einer Chorleiterin unter, die uns alle koordiniert und den gemeinsamen Takt vorgibt.
Im Bereich der Wirtschaft (bei der es ja schon immer um Beziehungen und Arbeitsteilung ging, die ein Netz gegenseitiger Abhängigkeit erzeugt) gefällt mir nach wie vor Götz Werners Charakterisierung von Wirtschaft als das Füreinander-Leisten. Damit werden wir auf einer bestimmten Ebene zwar erpressbar, aber völlige Unabhängigkeit ist eh eine Illusion. Eine Illusion, der auch Ted Kaczynski erlag.
Kehren wir noch mal zum Problemfeld der Technologie zurück, der ja seine hauptsächliche Aufmerksamkeit gilt. Seine Analyse der Pfadabhängigkeit der technologischen Entwicklung ist nicht ganz von der Hand zu weisen (Punkt 127):
Auch wenn ein technischer Fortschritt die Freiheit zunächst nicht zu bedrohen scheint, zeigt sich später, daß er sie sehr ernsthaft gefährdet. Nehmen wir zum Beispiel das motorisierte Transportwesen. Wenn früher ein Mensch zu Fuß ging, konnte er gehen, wo er wollte, ohne irgendeine Verkehrsvorschrift beachten zu müssen, er war unabhängig von einem technologischen Hilfssystem. Die Erfindung motorisierter Fahrzeuge schien die Freiheit des Menschen zunächst zu vergrößern. Sie schränkte die Freiheit des unmotorisierten Menschen nicht ein, denn niemand mußte ein Auto haben, wenn er nicht wollte. Wer sich dafür entschieden hatte, ein Auto zu kaufen, konnte viel schneller vorwärts kommen als zu Fuß. Die Einführung des motorisierten Transportwesens begann aber bald die Gesellschaft in einer Weise zu verändern, durch die die menschliche Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt wurde. Nachdem die Anzahl der Autos anstieg, mußte man den Verkehr durch Vorschriften regeln. In dicht besiedelten Gebieten kann man sich mit einem Auto nicht einfach bewegen, wie man will, sondern man muß sich dem Verkehrsfluß und den Verkehrsregeln anpassen. Man hat alle möglichen Verpflichtungen: Antrag auf Fahrerlaubnis, Fahrprüfung, Erneuerung der Registrierung, Versicherung, Vorrichtungen für die Sicherheit, monatliche Haltungskosten. Inzwischen ist aber der motorisierte Transport nicht mehr optimal. Seit der Einführung des Transportwesens haben sich die Städtebaulichen Anlagen dermaßen verändert, daß die Mehrzahl nicht mehr in der zu Fuß erreichbaren Nähe ihrer Arbeitsplätze, Einkaufsmöglichkeiten oder Freizeiteinrichtungen lebt, so daß man nun ABHÄNGIG von Autos als Transportmittel geworden ist. Oder man muß öffentliche Transportmittel benutzen, wodurch die eigene Bewegungsfreiheit noch stärker eingeschränkt wird, als bei der Benutzung eines ein Autos.
Kaczynski unterscheidet zwischen small-scale-Technologie und organisationsabhängiger Technologie (Punkt 208):
Wir unterscheiden zwei Arten von Technologie, die wir als small-scale-Technologie und als organisationsabhängige Technologie bezeichnen. Die small-scale Technologie kann ohne äußere Hilfestellung in kleinen Gemeinschaften angewendet werden. Die organisationsabhängige Technologie ist eine Technologie, die von großen gesellschaftlichen Organisationen abhängig ist. Es sind uns keine bedeutenden Fälle von Rückläufigkeit in der small- scale-Technologie bekannt. Aber die organisationsabhängige Technologie IST rückgängig zu machen, wenn die soziale Organisation, von der sie abhängt, zusammenbricht. Beispiel: als das Römische Reich zusammenbrach, überlebte die small-scale-Technologie der Römer, weil jeder geschickte Dorfhandwerker in der Lage war, ein Wasserrad herzustellen, jeder geschickte Schmied konnte den Stahl nach römischen Methoden herstellen usw. Aber die römische organisationsabhängige Technologie bildete sich zurück. Die Aquädukte verfielen und wurden nie wieder aufgebaut. Die Technik des Straßenbaus ging verloren, das römische System der sanitären Anlagen in den Städten geriet in Vergessenheit, bis man in moderner Zeit in den europäischen Städten nach dem Vorbild des alten Roms wieder sanitäre Anlagen baute.
Ein Vordenker von small scale-Technologie war E. F. Schumacher mit seinem Buch Die Rückkehr zum menschlichen Maß, das wiederum von Leopold Kohr beeinflusst war.
Frithjof Bergmann sieht vor allem in den heutigen 3D-Druckern einen Trend zu small scale-Technologie und Dezentralisierung auf höchstem Niveau und damit einen Ausweg aus dem scheinbaren Gegensatz von Technologie und menschlicher Freiheit. Bergmann hatte immerhin 2 Jahre lang ebenfalls in einer Hütte im Wald gelebt, ist dort aber zu dem Schluss gekommen, dass ein solch radikaler Verzicht auf die Zivilisation eben keine Freiheit bringt. Er setzt statt dessen auf High-Tech-Eigenproduktion. Bergmann liefert dabei eine weitere mögliche Antwort auf die Frage, wie eine hochtechnisierte Gesellschaft trotzdem auf kleinen, überschaubaren Einheiten aufgebaut sein kann.
Auch die Keimform-Leute basteln an Gesellschaftsformen, in denen moderne Technologie den Menschen dient und nicht umgekehrt, ein Stichwort lautet Commons-basierte Peer-Produktion. Es gibt sogar Ansätze, dafür eine Software zu entwickeln.
Weniger optimistisch ist Johannes Heimrath, der uns auf dem Weg in die Post-Kollaps-Gesellschaft sieht und darüber ein ganzes Buch geschrieben hat.
Kommen wir ganz zum Schluss noch zum Grundthema meines Blogs & meines Lebens: Kaczynski wendet sich einerseits gegen die zunehmenden Versuche des industriellen Systems, das Verhalten der einzelnen Menschen zu kontrollieren, andererseits definiert er Freiheit als Kontrolle über das eigene Leben. Dabei lässt er die Möglichkeit wie auch die Notwendigkeit des Vertrauens außer Acht. Denn wir haben nie vollkommene Kontrolle über unser Leben, weder als Jäger & Sammler noch in einer hochkomplexen Gesellschaft. Um im Leben klarzukommen, brauchen wir immer eine Balance von Kontrolle und Vertrauen. Sobald das Pendel zu sehr in eine Richtung ausschlägt, wird das System im einen Fall starr und im anderen instabil. In diesem Sinne formuliere ich Lenins Satz um:
Vertrauen ist gut, Kontrolle auch.
Das erlebe ich jedes Mal auf der Slackline. Und zur Zeit ist das Vertrauen bei uns deutlich unterrepräsentiert, weshalb ich ja auch ausgezogen bin, es zu üben. :) Auf der gesellschaftlichen Ebene ist daher kollektive Weisheit statt noch mehr Kontrolle gefragt.
Wenn man Vertrauen noch nicht ausgiebig geübt hat, macht jeder Kontrollverlust Angst. Und auch Geübte wie ich sind davor nicht gefeit. Deshalb ist Vertrauen immer wieder eine Entscheidung: die Entscheidung, in Vorleistung zu gehen und damit ein Risiko einzugehen. Das ökonomische Wort dafür heißt Kredit.
Update vom 17.11.: Neun Wissenschaftler haben in Spektrum der Wissenschaft ein Digital-Manifest geschrieben, das “Digitale Demokratie statt Datendiktatur” fordert.
Update vom 25.06.2016: Soeben habe ich das Buch Die Herrschaftsformel von Kai Schlieter entdeckt. Im Interview mit Telepolis sagt er:
Virginia Rometty, die CEO von IBM, sagte kürzlich, dass bald keine Entscheidung des Menschen mehr getroffen wird, ohne zuvor solche Systeme zu konsultieren. Worüber wir uns Sorgen machen sollten und auf was wir sehr genau achten müssen, ist dann unsere Autonomie.
Update vom 16.12.2016: Das britische Gegenstück zu Lutz Dammbeck ist Adam Curtis, dessen Dreiteiler All Watched Over by Machines of Loving Grace ich mir gerade anschaue. Da geht es auch noch um Ayn Rand, die Alan Greenspan und das ganze Silicon Valley massiv beeinflusst hat. Die Computerisierung des Finanzwesens gehört hier also auch noch mit rein. Ebenso kriegen die Phantasie vom ökologischen Gleichgewicht und das egoistische Gen im Film ihr Fett weg. Die Phantasie vom ökonomischen Gleichgewicht hatte ich schon an anderer Stelle behandelt, gehört hier auch mit hin.
Und vor ein paar Tagen fand das Symposium re:claim autonomy. Selbstermächtigung in der digitalen Weltordnung im Gedenken an Frank Schirrmacher statt, die Vorträge gibt es auf der Webseite.