Wettbewerb oder Gleichgewicht - man kann nicht beides haben

Und immer wieder die Griechenlandkrise: Deutschland als Exportweltmeister leugnet seine Verantwortung und ist damit in bester Gesellschaft “führender Ökonomen”. Denn die (neoklassische) Mainstream-Wirtschaftstheorie sagt ja zum einen, dass Wettbewerb bzw. Konkurrenz (sowohl zwischen Unternehmen als auch zwischen Staaten) das Geschäft belebt und für alle gut ist. Andererseits behauptet die Neoklassik, dass Wirtschaft immer zu einem (Markt-) Gleichgewicht strebt.

Nehmen wir an, der Idealzustand sei erreicht und die Wirtschaft befindet sich im Gleichgewicht. Nun gilt immer noch, dass alle Unternehmen wie auch Staaten miteinander im Wettbewerb stehen. Was heißt das in dieser Situation? Dass alle Marktteilnehmer versuchen, das Gleichgewicht zu ihren Gunsten zu kippen. Und das passiert natürlich auch ständig, so dass sich nie ein dauerhaftes Gleichgewicht einstellt. Die neoklassische Theorie blendet das aus, weil sie Marktteilnehmer gar nicht als aktiv handelnde Menschen modelliert, sondern als homo oeconomicus-Roboter. Menschen versuchen in einer solchen Situation, die Spielregeln zu ändern. Roboter sind den Regeln unterworfen.

Es zeigt sich also, dass man in der Wirtschaft nur entweder Gleichgewicht oder Wettbewerb haben kann, niemals beides zugleich. Ein Zustand von annäherndem Gleichgewicht zwischen konkurrierenden Marktteilnehmern lässt sich höchstens mit permanentem Wirtschaftswachstum erreichen. Da dieses inzwischen immer mehr an seine Grenzen stößt, zeigen sich die Widersprüche in der Theorie und Praxis der Marktwirtschaft immer deutlicher. Wenn alle Staaten sich um die “Wettbewerbsfähigkeit” ihrer Volkswirtschaft sorgen und Exportweltmeister werden wollen, kann das natürlich nur Reibung verursachen, denn: es kann nur einen geben. Das ergibt sich schon logisch zwingend aus der Saldenmechanik.

Joseph Schumpeter hat das erkannt und sich auf die Seite des Wettbewerbs geschlagen, wenn er von der “kreativen Zerstörung” durch Unternehmer spricht. Ein Gleichgewicht ließe sich nur erreichen, indem man vollständig auf kreative Zerstörung verzichtet.

In der bevorstehenden Postwachstumsgesellschaft lässt sich ein Gleichgewicht schon eher realisieren, denn in einer solchen spielen weder Wachstum noch Wettbewerb eine zentrale Rolle. Allerdings bezweifle ich, dass sich ein dauerhaftes Gleichgewicht je erreichen lässt, und finde das auch gar nicht erstrebenswert. Zugleich atme ich schon bei der Vorstellung auf, nicht mehr konkurrieren zu müssen. Unter Nicht-Konkurrenzbedingungen arbeitet auch das menschliche Gehirn viel besser und vor allem kreativer.

Mein Fazit lautet daher: Weder Gleichgewicht (zu langweilig) noch Wettbewerb (zu anstrengend), sondern gemeinsames schöpferisches Handeln im Sinne von Bewusstseinserweiterung.

Nachtrag vom 12.08.: Renée Menéndez hat mich darauf hingewiesen, dass im Arrow-Debreu-Gleichgewichtsmodell die theoretische Möglichkeit eines Gleichgewichts unter Wettbewerbsbedingungen existiert. Menéndez schreibt aber selbst dazu “Existenz ist gesichert, Stabilität ist fraglich. Und wie das Gleichgewicht erreicht werden kann ist auch nicht geklärt.” Daher hat diese theoretische Möglichkeit für meine Argumentation keine Bedeutung.