Schlaraffenland revisited

Gestern Abend im Gespräch mit Sabine ist mir klar geworden, dass ich im Grunde genommen gar nicht für mich zu sorgen brauche. Solange ich das tue, bleibe ich in der Selbstversorgermentalität von der Götz Werner spricht. & solange ich das tue, vertraue ich noch nicht vollständig darauf, dass mir das Leben jederzeit genau das Richtige beschert.

Im Grunde ist so ein Schlaraffenland doch eine wunderbare Sache: Im Schlaraffenland gibt es keinen Zwang, ich muss dort nichts tun. Das ist auch die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens: Alle bekommen was sie brauchen (jedenfalls zur Existenzsicherung), niemand stellt irgendwelche Bedingungen. Es ist tatsächlich ein Geschenk - so wie wir als Neugeborene alles geschenkt bekommen, Geborgenheit, Muttermilch, Schutz usw. Auf dem Boden dieser Freiheit entsteht ganz von selbst Initiative, wenn die Menschen darauf vertrauen, dass ihnen kein Mangel droht egal was sie tun oder nicht tun. Das ist allerdings der Knackpunkt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen funktioniert nur dann, wenn die große Mehrzahl der Menschen daran glaubt, dass es tatsächlich an keine Bedingung geknüpft ist.

Für mich gab es zwar bis zum Studium ebenfalls keinen Zwang, mich um meinen Lebensunterhalt zu kümmern. Ob jedoch das Geschenk meiner Eltern, mich finanziell zu versorgen, so bedingungslos wie das Grundeinkommen war, ist mir nicht klar. Vermutlich hingen daran unbewusste oder zumindest unausgedrückte Erwartungen meiner Eltern.

Zwischenzeitlich glaubte ich, dass aktiv “für mich selber sorgen” ein Fortschritt gegenüber dem In-den-Tag-hinein-Leben sei. Seit gestern ist mir klar, dass dahinter immer noch meine Existenzangst steckte - das Gefühl für diesen Flecken Erde Miete zahlen zu müssen. Vorher habe ich lediglich kaum Energie dafür aufgewendet, weil ich dadurch meiner Angst begegnet wäre. Meine neue Sichtweise ab heute ist, dass unsere Gesellschaft zur Zeit so organisiert ist, dass ich dafür bezahlen muss wenn ich etwas Bestimmtes will. Im Gegenzug kann ich aber auch etwas tun das anderen nützt. & weil unsere Gesellschaft eben so organisiert ist, nehme ich bis auf Weiteres Geld dafür, dass ich etwas beitrage. Ausnahmen sind die Familie, Freunde & Projekte die mir am Herzen liegen wie die Freie Schule.

Jetzt wieder Grundsätzliches: Wenn ich davon ausgehe, dass ein Kind in einer Umgebung aufwächst, in der die anderen Menschen ihm vertrauen, ihm etwas zutrauen & sein Angebot etwas zur Gemeinschaft beizutragen dankend annehmen, dann wird dieses Kind nicht träge werden, weil es ein Grundeinkommen erhält. Es ist vielmehr die konsequente Weiterführung dessen was das Kind erlebt, während es aufwächst: Vertrauen ins Leben ist das Grundgefühl, nichts muss, alles kann. Die anderen Menschen freuen sich über das, was ich beitrage, & mir selbst bereitet es Freude, mich zu entfalten. Ich muss nicht alles selber machen. Um meine Bedürfnisse zu befriedigen kann ich jederzeit andere bitten. Die sind wiederum frei Ja oder Nein zu sagen, irgendwer wird schon Ja sagen. & wenn nicht dann bricht für mich deshalb nicht gleich die Welt zusammen, denn was mir wirklich am Herzen liegt, darin unterstützen mich die anderen.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen (oder besser weil umfassender & nicht ausschliesslich an Geld geknüpft: grundsätzliches Auskommen für alle) ist Teil der neuen Kultur & gedeiht auf dem Boden absoluter Freiwilligkeit. Solange in anderen Bereichen der Gesellschaft noch Zwang ausgeübt wird (z.B. Militär, Strafvollzug), wird es den Menschen schwer fallen zu glauben, dass sie das Grundeinkommen erhalten, um damit zu tun & zu lassen was sie wollen.

Der einleitende Text im Unverdient-Wiki bringt das Ziel auf den Punkt:

Unverdient dazu gehören…

…ist vielleicht der älteste Traum der Menschen:

einfach dabei sein dürfen, selbstverständlich teil haben. Um sein gutes Leben, seine Anerkennung nicht kämpfen müssen. Mitmachen dürfen ohne Zwang. Sich seine gesellschaftliche Aufgabe selbstverantwortlich aussuchen können.

Es geht bei diesem Traum nicht nur um die ausreichende Versorgung mit guten Lebensmitteln, und auch nicht nur um eine vernünftige Verteilung. Es geht um die Würde jedes einzelnen Menschen, nicht nach seiner Leistung, seiner Funktion _ent_lohnt und beurteilt zu werden, sondern willkommen zu sein, genau so, wie er ist.