Bricht die Konsensrealität auseinander?

Im April letzten Jahres schrieb ich schon mal, dass in der Coronakrise die Konsensrealität gerade massiv zusammenbricht. Diesen prozessorientierten Faden nehme ich im neuen Jahr noch mal auf, weil sich in meiner Wahrnehmung die Gräben in unserer Gesellschaft weiter vertieft haben.

Diese Gräben verlaufen zwischen Gruppen von Menschen, die die Welt unterschiedlich wahrnehmen.

In meinem Beitrag Die Corona-Krise ist eine Vertrauenskrise hatte ich es so dargestellt, dass wir in unserer erdumspannenden Weltgesellschaft alle in einem sehr großen Maße einander vertrauen müssen, damit das alles funktioniert. Im Moment sieht es so aus, dass das vielleicht nicht mehr klappt. Was dann?

Um einen anderen Gedanken aus dem Beitrag Konflikte entstehen an der Grenze zwischen Konsensrealität und Traumland aufzugreifen: Das Ganze wird überhaupt nur zu einem Problem, wenn wir an einer Konsensrealität festhalten. Wenn wir also daran festhalten, uns auf eine Realität zu einigen. In einer Situation wie jetzt, wo verschiedene Seiten einander “Fake News” vorwerfen, erzeugt das eine nahezu unerträgliche Spannung.

Es wäre nun leicht, auf den Konsens zu verzichten und uns ganz ins Traumland aufzulösen – jene Sphäre, die ich schon mal als “das Land von Grinsekatzen und verrückten Hutmachern, von Ekstase, Rausch und Wahn, wo Menschen und Tiere in Zungen reden, wo nichts ist wie es scheint” bezeichnete.

Wollen wir wirklich ausschließlich da leben? Und was würde passieren wenn nicht? Würden sich mehrere voneinander getrennte Konsensrealitäten entwickeln? So was wie Paralleluniversen?

Ich schrieb auch schon

Im Grunde erzeugt also die Konsensrealität alle Konflikte, indem sie versucht, neue Inhalte aus dem Traumland in ihren bisherigen Konsens zu integrieren, oder aber diese mit Gewalt auszuschließen (“es kann nicht sein, was nicht sein darf”). Bewusstseinserweiterung geht offenbar notwendigerweise mit großen Spannungen einher.

Um mit diesen Spannungen umzugehen, empfiehlt sich immer wieder Robert Anton Wilsons Rezept zum Ausbruch aus der Filterblase. Da kommen wir wohl nicht drum herum, das gehört offenbar zum kosmischen Spiel dazu.

Und es tut gut, uns immer wieder daran zu erinnern, dass wir eigentlich keine Ahnung haben was hier läuft.

Nachtrag vom 19.02.: Charles Eisenstein hat nen guten Essay dazu geschrieben, To Reason with a Madman.

Nachtrag vom 02.03.: Es gibt mindestens 2 unterschiedliche Erklärungsansätze für das, was da geschieht. Fefe macht in erster Linie die Geheimdienste mit ihren Desinformationskampagnen dafür verantwortlich. Da ist bestimmt auch was dran, allerdings bin ich vorsichtiger geworden, um nicht dem Mythos der Macht zu verfallen.
Leute wie Charles Eisenstein weisen hingegen darauf hin, dass die Geschichten, die unsere Gesellschaft(en) die letzten Jahrhunderte zusammen gehalten haben, zunehmend an Kraft verlieren, während eine neue Geschichte sich erst langsam entwickelt.
Mir ist dabei auch wichtig, geistig gesund zu bleiben. In den Worten von Robert Anton Wilson befinden wir uns in der Kapelle der Gefahren:

Bei der Erforschung okkulter Verschwörungen sieht man sich möglicherweise einem Scheideweg mythischer Proportionen gegenüber (Die Kapelle der Gefahren). Auf der anderen Seite kommst du entweder ziemlich paranoid heraus oder als Agnostiker; es gibt keinen dritten Weg. Ich kam als Agnostiker heraus. “Die Kapelle der Gefahren” lässt sich, wie auch das als mystische Wesenheit bezeichnete “Ich” nicht innerhalb des Raum-Zeit-Kontinuums lokalisieren; sie ist schwerelos, geruchlos, geschmacksfrei und mit herkömmlichen Messwerkzeugen nicht auszumachen. Es ist sogar möglich, wie beim Ego, zu bestreiten, dass es so etwas überhaupt gibt. Und doch, viel eher noch als beim Ego, wenn du einmal drin bist, so scheint es keinen Ausweg mehr zu geben, bis du plötzlich entdeckst, dass es einzig durch deine Gedanken zur Existenz gebracht worden war und dass es ausserhalb derselben gar nicht vorhanden ist. Alles, was du fürchtest wartet mit gierigem Rachen in der Kapelle der Gefahren, aber wenn du dich wappnest mit dem Stab der Intuition, dem Kelch der Zuneigung, dem Schwert der Vernunft und der Münze der Tapferkeit, so findest du dort (so will es die Legende) die Medizin der Metalle, das Elixier des Lebens, den Stein der Weisen, echtes Wissen und vollkommenes Glück.

Nachtrag vom 03.03.: Wenn Kapital auf Wissenschaft trifft, wackeln die Grundfesten der Konsensrealität. Arte hat eine aufschlussreiche Doku darüber.

Nachtrag vom 14.07.: Inzwischen habe ich akzeptiert, dass die Konsensrealität sich aufgelöst hat.

Nachtrag vom 23.04.2023: Hagbard Celine schrieb schon im Jahr 1980

Dieses sich steigernde Gefühl der Verdächtigung wird durch die Tatsache verstärkt, dass sich die Geheimpolizei sowohl mit dem Sammeln von Information als auch mit dem Hervorbringen von Fehlinformationen beschäftigt. Man gewinnt bei diesem Geheimpolizeispiel Punkte, indem man Signale sammelt (Informationseinheiten), Tatsachen vor konkurrierenden Mitspielern verheimlicht und falsche Signale (Falschmeldungseinheiten) unter die anderen Spieler ausstreut. Auf diese Weise entsteht jene Situation, die ich als “Optimum Fuckup” bezeichne: Jeder Teilnehmer hat rationale (keine neurotischen) Gründe, anzunehmen, dass ihn alle anderen Mitspieler zu betrügen, zu verleiten, zu verarschen, hinters Licht zu führen und allgemein falsch zu informieren versuchen. Von Henry Kissinger geht das Gerücht, wonach er gesagt hat: “Jedermann, der im heutigen Washington nicht paranoid ist, muss verrückt sein.”

Man könnte diese Bemerkung verallgemeinern: “Jedermann, der in den heutigen Vereinigten Staaten nicht paranoid ist, muss verrückt sein.”