Essenz des Tantra - tantrische Philosophie

Inzwischen habe ich schon bald ein Dutzend Tantra-Seminare im Diamond Lotus in Berlin hinter mir. Doch erst durch das Buch Essenz des Tantra von Frank Lerch a.k.a. Seth ist mir so richtig klar geworden, was wir da eigentlich tun und vor allem wozu. Vorher hatte mir schon die Chaosmagie mit ihrem gnostischen Zustand beim Verständnis ein Stück weitergeholfen. Jedenfalls kommt man zwar ohne praktisches Üben nicht weit, ohne die dazugehörige Theorie tappt man allerdings auch weitgehend im Dunkeln. Oder wie Seth dazu schreibt:

Ab irgendeinem Punkt in deiner Entwicklung (der bei jedem woanders liegen kann) brauchst du ein tief im Geiste eingegrabenes Verständnis dieser Prozesse. Und ja, auch für die sexualmagische Praxis ist diese Form von Verständnis mehr als nur ein wenig hilfreich. Der Kashmir Shivaismus (der aus dem Shaiva Tantra erwachsen ist) lehrt, dass Verständnis (bauddha) ohne Erfahrung (paurusha) nicht zu Befreiung führt, aber paurusha ohne bauddha bedeutet, Befreiung erst nach dem Tode erlangen zu können. Um Befreiung (moksha) im lebendigen Körper und Geist verwirklichen zu können, müssen Verständnis und Erfahrung Hand in Hand gehen.

An dieser Stelle präzisiere ich hiermit: wenn ich bisher im Blog von Tantra geschrieben habe, meine ich immer das linkshändige, nonduale Tantra. Was heißt das, worin unterscheiden sich das linkshändige und das rechtshändige Tantra? Das Buch gibt eine sehr kurze Zusammenfassung:

rechte Strömung: dual, Shiva-zentriert, Einhaltung orthodoxe Werte

linke Strömung: nondual, Göttinnen-zentriert, grenzüberschreitende Praktiken

Hier noch eine Erläuterung bzgl. dual und nondual:

Einer der wichtigsten Unterschiede ist, wie die Anhänger der rechten Strömung, der dualen Lehren des Saiddhanta, das Konzept der malas, der “Unreinheiten”, betrachten. In ihren Augen ist mala eine tatsächliche psychische Substanz, die die Seele befällt. Nur eine rituelle Handlung kann die Reinheit der Seele wiederherstellen. Im Gegensatz dazu glauben die Anhänger des linken Stromes, der nondualen Lehren der Kaulas (hier als Überbegriff verwendet), dass mala tatsächlich nichts anderes ist als die Unwissenheit über unsere wahre innere Natur, und dass dies der einzige Grund für unser Gefesseltsein und unser Leiden ist. Deshalb kann nur Einsicht in die wahre Natur unseres Seins uns vollständig befreien.

Deshalb meine ich insbesondere im Beitrag über Wäsche waschen und Klo putzen das nonduale Tantra.

Beim Lesen wurde ich übrigens oft an das Andere Totenbuch von Wulf Mirko Weinreich erinnert. Die 36 Tattvas finde ich ein überaus hilfreiches begriffliches Konstrukt, um zu verstehen, was hier eigentlich los ist. Vor allem beim folgenden Satz musste ich an den Urknall als das ultimative Blitzdingsen denken:

Der Prozess der Selbstlimitierung des Bewusstseins, das sich in Formen hüllt wie in verschiedene Gewänder, bringt die Tattvas hervor.

Und das Ego wird im nondualen Tantra nicht als etwas zu Überwindendes betrachtet:

Die Erfahrung des Ego ist eine anhaltende Kontraktion der Bewusstheit in Form einer Sammlung von Selbstbildern, die durch künstliche Selbstlimitierung Leid verursachen. Das Leben selbst ist Teil der inneren Dynamik des Bewusstseins, das kontinuierlich durch Zyklen von Ausdehnung und Zusammenziehung pulsiert. Doch wann immer wir uns festfahren – sei es in der Ausdehnung oder in der Zusammenziehung – verlieren wir diese Übereinstimmung mit der dynamischen Natur des Bewusstseins und erfahren Leid. Das Ego sollte eine “flüssige” Wesenheit sein, doch stattdessen wandelt es sich zu einem starren Korsett, das uns einsperrt.

Viele spirituelle Traditionen betrachten deshalb das Ego als einen Feind des spirituellen Pfades. Die tantrische Tradition jedoch betrachtet jeden sogenannten “Feind” als einen Gefährten, der noch nicht richtig verstanden wurde. Deshalb wird das Ego durch die Praktiken des Tantra Yoga auch nicht vernichtet, sondern vielmehr gereinigt und ins Unendliche ausgedehnt. In diesem Sinne bedeutet die Ausdehnung deines Ego auch eine Ausweitung Deines Sinns für Dein Selbst. Wenn das Ego sich unendlich ausdehnen darf, erfährst Du alle Dinge in Dir selbst und Dich selbst in allen Dingen – es gibt dann keine Grenzen mehr für Dein Selbst.

Bewusstseinserweiterung!

Die Haltung der Tiefen Demokratie ist eine zutiefst tantrische:

Ein Tantrika lehnt keinen Teil der Existenz ab und strebt unaufhörlich danach, das Göttliche in allen Aspekten und Ebenen des Seins zu verwirklichen.

Und das nonduale Tantra zeigt sich hier als eine wahrhaft integrale Theorie.

Mit dem Karma geht das nonduale Tantra sehr trickreich um:

Wenn Du jede einzelne karmische Spur Deines Seins zu heilen und zu verarbeiten hättest, um das Ziel der Befreiung zu erreichen, dann würde Befreiung in unendliche Ferne rücken. Deshalb gibt es aus tantrischer Sicht nur eine wirkliche Lösung: hör auf, die Person zu sein, die mit diesem Karma verstrickt ist.

Den gleichen Ansatz verfolgt Don Juan, indem er dazu auffordert, die (Anhaftung an die) persönliche Geschichte zu löschen.

Noch ein letzter Absatz als Appetitanreger:

Alles was existiert, ist eine einzigartige, nie mehr wiederkehrende Gestalt des Göttlichen. Dem Tantriker ist tatsächlich jedes einzelne Ding ein Wunder der Schönheit, weil es das Eine auf einzigartige Weise zum Ausdruck bringt. Jedes fühlende Wesen ist deshalb der Anbetung würdig, weil es das Göttliche in einer Weise verkörpert, wie man es niemals zuvor gesehen hat – und wie man es niemals wieder sehen wird. Daher ist es ein Gottesdienst, alle Dinge der Sinne und Wonnen zu genießen und das Göttliche darin in seiner pulsierenden Natur zu erfahren – wenn du gleichzeitig im Nicht-Zustand vollständiger Stille verweilst und das Herz als die Essenz allen Seins, allen Werdens und aller Erfahrung realisierst. Doch diese Erfahrung kann nur vollständig verstanden, kultiviert, und fest verwurzelt werden als dauerhafte Verwirklichung durch kontinuierliche spirituelle Praxis.

Nachtrag vom 25.11.2016: Eben habe ich Helmut Poller entdeckt, dessen Artikel Was ist linkshändiges Tantra? mir bei Recherchen zu chaosmagischen Themen über den Weg lief. Das ist nur einer von vielen Texten zu Tantra, die Helmut Poller veröffentlicht hat. Er arbeitet an einem Buch über buddhistisches Tantra, das Ende 2017 erscheinen soll. In seinem Artikel definiert er linkshändiges Tantra alias Vāmamārg in einem Satz so:

Es gibt kein Unterscheiden zwischen Rein und Unrein, und um dieses Nicht-Unterscheiden zu trainieren, werden Dinge verwendet, die als unrein gelten.

Das heisst vor allem:

Hier enden die Erklärungen des Unreinen meistens, und das Wichtigste fehlt: Es gibt viele menschliche Eigenschaften wie Stolz, Falschheit oder Eitelkeit, die als unspirituell oder eben unrein gelten, diese werden von den Vāmācāras für den Pfad verwendet. Es gibt unreine Geister, Unglücksbringer, Krankheitsdämonen und so weiter, auch diese werden vom Vāmācāra unterworfen und verwendet. Genau genommen gibt es absolut nichts, egal wie verworfen, abgründig, übel beleumundet, schädlich, gefürchtet es sein mag, woraus ein Vāmācāra keinen Nutzen ziehen könnte.

In einem Absatz zusammengefasst:

Ich fasse zusammen: Linkshändig heißt nicht Unrein, sondern das Nicht-Unterscheiden von Rein und Unrein, das Verwenden aller Substanzen, das Verwenden aller Formen von Sex und aller sexuellen Sekrete zu magischen Zwecken, das Benutzen sämtlicher negativer Kräfte aller Art ohne Unterschied, all das, um ohne Umwege, ohne gehorsames Empordienen auf einem Stufenweg (sondern die Abkürzungen auf der Rückseite benutzend), ohne Reinigung und Buße, ohne Unterwerfen unter irgendwelche Regeln des Tuns und Lassens direkt die nonduale Natur des Geistes und die genauso nonduale Natur des umgebenden Raums und aller Phänomene darin zu erfahren. Das sind Ziel, Inhalt und ständige Methode des hinduistischen linkshändigen Tantra, des Vāmamārg. Linkshändig ist also keineswegs etwas, wovon es einen Gegensatz gäbe, sondern es ist ein Pfad, der in die Sphäre jenseits aller Dualitäten führt.

Punkt.

In Nondualität für Adeptinnen schreibt er:

Nondualität bedeutet, dass es keine reinen und unreinen Phänomene gibt, keine mehr und weniger erleuchteten Wesen, keinen prinzipiellen Unterschied zwischen innen und außen (wird doch das eigene Innere von anderen als außen wahrgenommen), keinen prinzipiellen Unterschied zwischen den bewussten Wesen überhaupt, warum sollte auch das eine Bewusstsein, welches die gleiche Evolution hinter sich hat wie das andere, ein ganz anderes sein? Es gibt auch keinen Fortschritt zu welchem Ziel auch immer – alles im Universum ist gleich weit fortgeschritten.

Der letzte Satz geht vor allem raus an die Integralen dieser Welt, die von einem Streben des Universums hin zu einem Punkt Omega phantasieren.

Und weiter:

Ob uns das gefällt oder nicht: Die Dinge und Wesen nehmen einen Raum ein, der alle Phänomene gleicherweise aufnimmt, die Welt und das Bewusstsein (das eigentliche oder Urbewusstsein wenigstens) sind nondual. Jeder Mensch kann sich sogleich in den umgebenden Raum versenken bis das Bewusstsein die Vereinigung mit dem Raum erfahren hat. Wir sind so sehr daran gewöhnt, uns durch selbst ausgedachte Götter und deren Priester den Blick auf die unmittelbar vor uns liegende Realität zu versperren, dass wir sogar Leute fürchten, die diese Konzepte wegräumen wollen.

In einem Punkt gehe ich allerdings nicht mit:

Wer andere quält und foltert, beraubt und betrügt, dominiert und manipuliert, wer all diese Dinge tut, die von gebildeten Menschen als unethisch verstanden werden, wer ohne Güte und Mitgefühl handelt, hat Nondualität nicht verstanden.

Nein, lieber Helmut Poller, hier hast Du selbst Nondualität offenbar noch nicht verstanden. Ethik ist ein soziales Konstrukt ohne inhärenten Wahrheits- oder Realitätsgehalt. Quälen, foltern, berauben, betrügen, dominieren und manipulieren gehören zu dieser nondualen Welt ganz einfach mit dazu. Und wie ich schon zum inneren Anarchismus schrieb:

Das heißt im übrigen, dass Werte, Überzeugungen, Ideale und Moral der Freiheit entgegenstehen.

Das Eine Bewusstsein schränkt sich nicht selbst durch welche Art von Ethik auch immer ein. Es spielt vielleicht eine Weile damit; mehr nicht.

Und auch wenn es sich nicht direkt um Tantra dreht, in seinem Artikel über Austin Osman Spare findet sich folgender schöner Absatz:

Mit anderen Worten, die nonduale Sichtweise ist herzlich wenig dafür geeignet, gesellschaftliche und religiöse Strukturen und Hierarchien zu stützen, sondern sie dient zur Befreiung des individuellen Bewusstseins. Ihr typischer menschlicher Vertreter ist der verrückte Heilige, der sich an keine religiösen Konventionen hält, der von Ort zu Ort wandernde tantrische Yogi, der Erotik, Drogen, Musik und andere Sinneserfahrungen in Mittel seines Pfades zu verwandeln versteht, der im geheimen wirkende Magier, dessen Magie nicht mit religiösen Konzepten verbunden ist, der Freistil-Schamane, Chaos-Mystiker, Psychonaut, der furchtlose Erforscher der Mysterien.

Und noch einer:

Die Methode ist einfach und klar: Machen Sie das Gegenteil von dem, was in einer religiös oder esoterisch motivierten Gruppe als Wahrheit gelehrt wird, und Sie werden feststellen, dass Ihnen nichts passiert, den Mut zum Aufbegehren müssen Sie allerdings selbst haben, und Sie müssen sich soweit über die Sphäre des Dualismus erheben, dass kein Rückfall möglich ist. Das nonduale Gewahrsein erfordert im Übrigen, wenn einmal verwirklicht, keinerlei Anstrengung und Übung mehr, der Weg dorthin kann aber durchaus alptraumartige Sequenzen enthalten, und man sollte sich nicht zu früh am Ziel wähnen!

Und weiter:

Hier gibt es keine Wahrheit, Reinheit, keinen “authentischen Dharma”, keine “spirituelle Evoultion”, kein “Neues Zeitalter”, kein täuschendes Wortgeklingel der weißwaschenden Geschäftemacher, hier gibt es nur die ungefilterte Realität von Mensch und Natur, voller Schönheit und Weisheit, aber auch voll Grausamkeit und abgrundtiefer Dummheit. Nondualität bedeutet nicht, keine Unterscheidungen bezüglich des eigenen Tuns und Lasssens zu treffen, sondern sie bedeutet, die eigenverantwortlichen Unterscheidungen nicht mehr länger mit nicht existenten höheren Wahrheiten zu begründen. Da alle Worte letztlich Täuschung sind, ist der höchste Ausdruck der Nondualität das magische Schweigen.

Hierbei bekomme ich Gänsehaut:

Zos Kia ist ein Weg zurück zu den Anfängen des menschlichen Bewusstseins, zum ursprünglichen Bewusstsein an sich, zu dem Bewusstsein, das sich nicht mit seinen Objekten identifiziert, Zeiten und Räume weit überspannend. Dieses Bewusstsein ist die Quelle der ursprünglichen Hexenkraft, die man auch als ursprüngliche Schamanenkraft oder eben magische Kraft bezeichnen könnte, es ist nicht jenseits von Gut und Böse, sondern niemals in die Unterscheidung von Gut und Böse involviert gewesen. Diese Kraft hat nicht unbedingt eine gesellschaftliche Funktion, sei es in Gestalt des Dorfschamanenen oder Beraters eines heidnischen Fürsten, sie ist das Unbezähmbare, Unberechenbare, frei von Regel und Gesetz, sich selbst genügend und sich heimlich fortzeugend.

Weiter:

Zos ist der Körper, vor allem der konsequent dem sexuellen Instinkt folgende Körper, auch der mit der Welt der Erscheinungen verbundene Körper. Kia ist das undifferenzierte Bewusstsein, das alte Bewusstsein, das von Leben zu Leben wandernde. Zos ist das Medium der Ekstase, Kia das sich an der Ekstase erfreuende Bewusstsein.

In Sexualmagie - Licht und Schatten schreibt er wiederum:

Man kann nicht gleich mit Sexualmagie beginnen, weil deren erfolgreiche Ausführung eben einer Erfahrung in anderen Formen der Magie bedarf. […] Sexualmagie kann sehr bald unerwartet kraftvoll sein, aber genau deswegen gibt es eine gewisse Gefahr der Einseitigkeit oder Besessenheit, daher müssen die Übenden in der Lage sein, alles wieder zu bannen und aufzulösen, was sich ungerufen im Geist manifestiert.

Weiterhin:

Es ist sehr wichtig, die Sexualität weitgehend von religiösen Beschränkungen zu befreien, aber auch möglichst tiefgreifend von kulturellen oder anerzogenen Werthaltungen. So ekeln sich viele Männer davor, eine menstruierende Frau oral zu verwöhnen, manche möchten nicht einmal normalen genitalen Verkehr, auch manche Frauen erklären sich selbst während der Regel als sexuell desinteressiert. Im Sinn der Einvernehmlichkeit ist es ganz normal, sich auf bestimmte Grenzen zu einigen, aber wer Sexualmagie betreiben möchte, muss sich alle Grenzen bewusst machen und sie hinterfragen. […] Wir benötigen eine gewisse Bandbreite im Ausdruck unseres sexuellen Begehrens, eine gewisse Vielfalt an Erfahrungen, eine Freiheit von einschränkenden religiösen, kulturellen und persönlichen Konditionierungen. Wenn wir die höchsten Höhen erreichen wollen, welche die Sexualmagie bieten kann, brauchen wir eine vertrauensvolle Verbindung zu einem ebenbürtigen Partner, also mit ähnlichen Voraussetzungen bezüglich der technischen Fähigkeiten und der sexuellen Möglichkeiten. [… Sexualmagie ist eine Form von Gruppenmagie, die Kräfte der Beteiligten addieren sich nicht, sondern sie multiplizieren sich. Genauso wie im normalen Leben ein liebendes Paar sich gegenseitig stützen und ergänzen kann, können besondere Effekte eintreten, wenn ein Paar magisch zusammen arbeitet. Aus diesem Grund ist es oft vorteilhaft, wenn gegensätzliche Eigenschaften in einem Paar zusammenkommen, zum Beispiel ein Künstler und eine Wissenschaftlerin oder ein physisch sehr starker Mann, der Kampfsport betreibt und eine zarte feenartige Frau. Es muss nicht so sein, ich möchte nur zeigen, dass es in keiner Weise gleichgültig ist, wer mit wem Sexualmagie betreibt.

Er kommt dann zu dem Schluss:

Da es immer häufiger wird, dass Magie und Tantra von einer Person betrieben wird, verwischen auf diese Weise die historischen Grenzen zwischen Sexualmagie und Tantra immer mehr. Auch aus diesem Grund halte ich es gerechtfertigt, die sexuelle Praxis als Teil der Tantras und die Sexualmagie als Teil der westlichen magischen Tradition unter dem Überbegriff “Erotische Gnosis” zu stellen.

In Tantra, Neo-Tantra und die Synthese schreibt Poller:

Tantra ist Praxis, kontinuierliche Praxis, tägliche Praxis, Praxis nicht als Hauptbeschäftigung oder Beruf sondern als ständiges Streben nach weiterer Entwicklung, neben Beruf, neben Familie, alle Schönheiten des Lebens integrierend. Im Leben eines Tantrikers vergeht kaum ein Tag ohne Praxis, genauso wie Sportler, Musiker, Schachspieler immer in Übung bleiben, wird die Übung zu einem essentiellen Teil des Lebens.

Und weiter:

Zielgerichtetheit bedeutet, dass Sie Übungen machen, um bestimmte definierte Ziele zu erreichen, haben Sie diese erreicht, setzen Sie sich selbst neue Ziele. Es hat etwas mit Willenskraft zu tun, mit Planung, systematischer Vorgangsweise, mit Disziplin. Es hat nichts zu tun mit der in der heutigen Kommerz- und Pseudospiritualität so bevorzugen Passivität, Entspannung, sich nach vier Wochen Meditation “erwacht” fühlen, der Ablehnung von Macht, Kontrolle, Präzision. Es handelt sich immer um demonstrierbare, sichtbare Kenntnisse und Fertigkeiten, nicht nur irgendwelche Visionen oder “Eingebungen”.

Im Unterschied definiert er Neo-Tantra so:

Neo-Tantra ist kein Übungsweg wie Yoga, es ist keine kontinuierliche Praxisdisziplin erforderlich. Es gibt zwar eine Menge einfacher Übungen, sehr häufig solche, die von Paaren oder in Gruppen durchgeführt werden können. Diese Übungen werden in Tantra-Seminaren, richtiger Neo-Tantra-Seminaren gezeigt und gemeinsam durchgeführt, wodurch solche Seminare auch zu Gruppenerlebnissen werden, aber außerhalb des Tantraseminars (ein paar Wochenenden im Jahr) wird keine ständige, d. h. tägliche Übung verlangt. Ein Großteil der Übungen ist psychologischer Natur oder dient zur Erweiterung der erotischen Ausdrucksmöglichkeiten, ähnliche Übungen sind in den originalen Tantra-Lehren nicht zu finden.

Damit fällt auch das Diamond Lotus, so wie ich es heute erlebe, eindeutig ins Neo-Tantra. Dieser Absatz passt allerdings nicht aufs Diamond Lotus; wir bemühen uns aufrichtig, es mangelt allerdings an SeminarteilnehmerInnen, die dazu bereit sind (geschweige denn einer Sangha von kontinuierlich Praktizierenden):

Im Neo-Tantra gibt es kein Ziel. Streben nach Erleuchtung ist verpönt, täglich konzentriert meditieren gilt als Erleuchtungsstress, Streben nach magischen Kräften oder Macht ist völlig tabu und gilt als Äußerung eines unspirituellen Ego. Studieren und Lernen, überhaupt der Intellekt, gelten als Hindernis und auch wieder irgendwie als “Ego”.

Nebenbei räumt er noch gründlich mit Satsang-Lehrern auf:

Originales Advaita (Nondualität), eine hinduistische spirituelle Strömung (eigentlich wieder mal mehrere davon) lehrt sehr stark vereinfacht ausgedrückt, dass alles bereits göttlich ist, somit keine Anstrengung erforderlich ist, um das Göttliche zu erfahren. Diese Erkenntnis steht allerdings am Ende eines Prozesses von Übungsdisziplin, wie das Beispiel aller Advaita-Gurus zeigt. Neo-Advaita schließt nun, dass alles an dir bereits vollkommen ist, und Sie sich daher nicht anstrengen sollten, um sich weiter zu vervollkommnen, diese Lehre wird von sogenannten Satsang-Lehrern verbreitet, Menschen, die den Stil von Osho nachahmen, stundenlang allerlei nach Weisheit Klingendes zu sagen. Mittlerweile gibt es natürlich etliche Satsang-Lehrer, die ihr vermeintliches “Erwachen” von anderen Satsang-Lehren ableiten oder davon, irgendwann mal ein paar Wochen in einem indischen Ashram verbracht zu haben. Wer sich stark von Neo-Advaita-Lehrern beeindrucken lässt, wird irgendwann unfähig, nach einer noch nicht vorhandenen Fähigkeit zu streben, ein Weg zur Verdummung, sicher das genaue Gegenteil von dem, was mit Advaita gemeint ist. Im echten Tantra gibt es tiefgründige nicht-duale Lehrrichtungen, die sich stets auf ein Bewusstsein jenseits der dualistischen Unterscheidungen ausrichten, aber dieses zu erlangen, erfordert Disziplin und Zielstrebigkeit.

Vergleiche an dieser Stelle auch wieder den inneren Anarchismus.

Er sieht durchaus den Wert von Neo-Tantra:

Durch die Teilnahme an Neo-Tantra-Seminaren kann wirklich jeder Mensch etwas Neues und Schönes erfahren, eine Steigerung der Lebensqualität. Mit originalem Tantra hat das alles nichts zu tun, aber das macht nichts, dieses Etikett hat sich nun mal eingebürgert, die Ergebnisse sind nützlich für alle, die solche Erfahrungen machen.