Meme Wars am Beispiel Fefe vs. Feminismus

Mit “Meme Wars” spiele ich auf die wMeme von Spiral Dynamics (SD) an (ich verlinke Wikipedia, weil die Website der tollen 6seitigen Kurzzusammenfassung “temporarily disabled” ist).
Weiterhin schieße ich voraus, dass “der Feminismus” alles andere als einen homogenen Block bezeichnet (siehe die Strömungen innerhalb des Feminismus).
Zur Erläuterung beschreibe ich im Folgenden, wie ich selber die Entwicklung durch verschiedene Wellen à la SD erlebt habe. Dabei vereinfache ich, um es kurz zu halten, & versuche eine grundlegende Vorstellung zu vermitteln, worum es dabei geht.

SD bezieht sich in erster Linie auf gesellschaftlich-kulturelle Entwicklung, diese spiegelt sich jedoch (näherungsweise) in der individuellen Entwicklung eines Menschen. Auf die letztere geht z.B. Susanne Cook-Greuter ein. Ich benutze die Terminologie von SD, weil ich diese eingängiger finde.

An den Übergang von beige zu purpur kann ich mich bewusst nicht erinnern. Jedenfalls handelt es sich bei purpur um die “magische” Phase des Bewusstseins als Kleinkind. Das Magische äußert sich z.B. darin, dass ich damals, wie wohl alle Kleinkinder eine Zeitlang, geglaubt habe, dass beim Versteckspielen die anderen auch nichts sehen, wenn ich mir die Augen zuhalte. Das hängt damit zusammen, dass “ich” in dieser Phase “mich” noch nicht als von den anderen getrenntes Wesen mit eigenständiger Wahrnehmung erlebt habe.

Die rote Phase habe ich in Teilen erst sehr spät nachgeholt, als Kleinkind habe ich mich eher brav als trotzig verhalten. Erst als Erwachsener habe ich gegen meine Eltern rebelliert & dabei sogar ein Jahr lang mit ihnen “Schluss gemacht”. In dieser Zeit habe ich z.B. auch im Wald Äste zerkloppt & mich dabei abreagiert. Und sogar erst in den letzten Jahren ist mir klar geworden, welche wichtige Rolle der Willen spielt, ganz unabhängig von rationalen Überlegungen wie auch Konventionen, sondern als eine vitale Kraft.

Als Kind hatte ich mich daher regelrecht über rot hinweg gleich nach blau hineingemogelt und mich an die Normen zunächst meiner Familie angepasst. Auch im Kindergarten & später in der Schule habe ich nie wirklich aufgemuckt. Übrigens hatte ich schon als ziemlich kleiner Junge, angeregt und unterstützt durch meine Mutter, meine Legoteile ziemlich ordentlich sortiert & fand das schon damals sehr praktisch. Außerdem bin ich von Anfang an gut mit der Rechtschreibung klargekommen. Das heisst ja, sich ein umfangreiches Regelwerk einzuprägen und sich auch bereitwillig an diese Regeln zu halten, um mit anderen schriftlich zu kommunizieren. Rot würde sagen, was sollen diese ganzen blöden Regeln, ich schreibe so wie ich will. Ebenso fiel in diese Zeit meine Erziehung in der evangelikalen Jungschar, was eine sehr blaue Angelegenheit des “rechten Glaubens” ist.

In der Schulzeit wuchs ich über solch einen Glauben hinaus, fing an, immer mehr anzuzweifeln. Damit war ich in orange angekommen. Kants Motto “Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen”, ist einer der Wahlsprüche dieser Ebene. Daraus ergeben sich dann auch solche Errungenschaften wie allgemeine Menschenrechte oder eben die Trennung von Staat und Kirche. Ich persönlich hatte zu orange lange ein ambivalentes Verhältnis, denn dazu gehört auch das Leistungsprinzip, mit dem ich während meiner Schulzeit immer gehadert habe. Zugleich war ich ein guter Schüler, & das ohne große Anstrengung, weil ich mich gerne intellektuell betätigt habe. Die Wahl von Informatik als Studienfach passte perfekt in diese Phase. Ich war begierig, zu lernen, immer auch über den Tellerrand der Informatik hinaus. Damals prägte ich für mich auch den Satz “Wer mich nicht kritisiert, nimmt mich nicht ernst”. “Wahrheit” existierte für mich damals, wenn ich sie auch für niemals vollständig erreichbar hielt. Doch immerhin kann man sich ihr beliebig nähern, bis man sozusagen infinitesimal nahe an der “Wahrheit” dran ist. Popper lässt grüßen. In einem Streit siegt das beste Argument.

Mein Unbehagen mit dem Leistungsprinzip rührte daher, dass ich schon früh das Gefühl hatte, da muss doch noch mehr sein als nur die Anerkennung für meine Leistungen. Erste Berührungen mit grün kamen dadurch zustande, dass ich emotionale Nähe erlebte, wie ich sie vorher noch nicht kannte. Ich kann mich auch noch genau daran erinnern, wie ich irgendwann mit Anfang 20 die Straße entlanglief und mir auf einmal der Satz kam “Ich habe Bedürfnisse!”, den ich etliche Male wiederholte, weil dieser Gedanke wirklich neu für mich war. Damit bin ich vermutlich kein ganz typisches Beispiel. Jedenfalls hat grün viel mit Gefühlen zu tun, vor allem mit dem Gefühl von Verbundenheit und Gemeinschaft. Bei mir ging es damals so weit, dass ich über mehrere Jahre hinweg das Motto “Denke bringt nix!” pflegte. Ich hatte also eine anti-rationale Haltung eingenommen. Als ich dann zunehmend doch wieder nachdachte, bemerkte ich nach & nach, dass sich das mit “der Wahrheit” doch nicht so einfach darstellt, wie noch auf orange. Ich stellte die Relativität der verschiedenen Glaubenssysteme fest. Das rüttelte auch massiv an meiner eigenen Identität. Die wissenschaftliche Strömung dazu heißt Poststrukturalismus, mit dem ich mich in dieser Zeit auch intensiv befasste. Schicht um Schicht bemerkte ich, wie ich mir meine eigene Identität selber zusammengebaut hatte, und das natürlich nicht völlig frei, wonach mir gerade der Sinn stand, sondern abhängig von den Zuschreibungen der Menschen in meinem Umfeld und der weiteren Gesellschaft.

Das zieht einem gehörig den Boden unter den Füßen weg. Wenn ich mich weiter entwickeln will, kommt es nun darauf an, ob ich angesichts dieser Erfahrung wieder anderen festen Boden unter meinen Füßen suche, oder ob ich mich an das Schweben gewöhne. In meinem Fall habe ich mich, nicht gleich von vornherein, aber nach einigen Festhalteversuchen dann doch, ins Schweben dreingegeben. Damit hing für mich der radikale Konstruktivismus zusammen, der, wie Paul Watzlawick in seinem Vortrag “Wie wirklich ist die Wirklichkeit?” erklärt, auch zu einer radikalen Selbstverantwortung führt. Später hat mir dann Robert Anton Wilson noch viel heftiger die letzten Reste Boden unter den Füßen zerstört. In der Sprache von SD geht es an dieser Stelle nach gelb weiter, was die erste wirklich integrale Ebene ist in dem Sinne, dass sie die ganze Enwicklung bis zu diesem Punkt erfassen und alle vorherigen Ebenen als wertvoll anerkennen kann.

Suche ich festen Boden in grün, dann betreibe ich Identitätspolitik. Das gehört zu dem, was Wilber das “Mean green meme” (das “fiese grüne Mem”) oder auch Boomeritis nennt. Und hier kommen wir zu Fefe. Dieser wundert sich, “dass so viel Indignation und Hass in meine Richtung schwappt” (von feministischer, aber auch linker Seite). Eine Antwort darauf gibt Joscha Bach in seinem Blog, indem er schreibt

Es läuft darauf hinaus, dass es zwei grundlegende Auffassungen davon gibt, was Realität ist. Im Fefe-Modell ist die Realität durch (natürlich nicht immer erkennbare) objektive Fakten bestimmt, und die bessere Meinung entsteht dadurch, dass man sich diesen Fakten annähert (Meinung ist true oder false). Im Modell der Sozialkonstruktivisten (wozu insbesondere auch die Gender Studies gehören) ist Realität eine soziale Konstruktion, die sich aus einem Verhandlungsprozess ergibt, und Fakten sind Verhandlungsmasse (Meinung ist right oder wrong).

Das schränke ich ein bisschen ein, indem ich sage, es gibt natürlich noch viel mehr grundlegende Auffassungen davon, was Realität ist, mindestens mal so viele wie Entwicklungsebenen. Mit jeder dieser Entwicklungsebenen geht eine unterschiedliche Weltsicht einher.
Fefes Antwort auf Joscha Bachs Analyse ist aufschlussreich (und auch sein neuester Beitrag dazu klingt etwas hilflos):

Da habe ich echt Null Zugang zu, ist mir völlig fremd.

Die integrale Theorie würde jetzt sagen, da hat Fefe zumindest im Bereich des Denkens (der kognitiven Entwicklungslinie) noch keinen Zugang zu grün, er bewegt sich klar auf orange. Dafür finden sich in seinem Blog weitere Belege:

  • in seinem Beitrag zu Alternativlos 35 unterscheidet er streng zwischen “Fakten” und “Einschätzungen”
  • noch deutlicher im gleichen Beitrag: “Für mich ist es intellektuell viel gewinnbringender, Unrecht zu haben, als Recht zu haben. Mein Ziel ist die persönliche Weiterentwicklung, die schrittweise Annäherung meines Wissens an die Wahrheit. Ich freue mich, wenn ich irgendwo Unrecht habe, das ist wie wenn ich einen Bug in Code finde!” – da haben wir sie, “die Wahrheit”
  • er zitiert Kant
  • insgesamt erscheint seine Haltung mir sehr individualistisch

Zu dem Individualistischen eine Anmerkung: Laut SD pendeln die Entwicklungsebenen immer zwischen “ich” und “wir” hin- & her, also zwischen einer mehr individualistischen und einer mehr gemeinschaftsorientierten Ebene. Rot ist natürlich klar ich-orientiert, blau wir-orientiert, orange wieder ich-orientiert und grün wieder mehr wir-orientiert. Nerds sind quasi schon per Definition ich-orientiert & gesellschaftlich eher Außenseiter. Obwohl es für mich selber selbstverständlich ist, betone ich an dieser Stelle dennoch, dass diese Unterscheidung für mich keinerlei Wertung bedeutet.

Dabei stimme ich in vielen Punkten mit Fefe überein, so habe ich z.B. auch den Eindruck, “dass die angeblich Linken immer von Grund- und Menschenrechten reden, aber sie den Nazis nicht gewähren wollen”, siehe Ein Herz für Nazis. Oder auch das hier in seinem Beitrag zu Sarah Sharp:

Toleranz geht in beide Richtungen. Du kannst nicht von mir Toleranz für deine Ideen und Gedanken fordern, und dann keine für meine Ideen und Gedanken haben. Und nein, du bist nicht automatisch im Recht, nur weil du das glaubst. Die Merkel hält sich auch für im Recht. Wenn es für deine Positionen keinen Weg gibt, dich von ihrer Falschheit zu überzeugen, dann ist das keine Position sondern eine Religion und du solltest dich was schämen.

Full Ack!

An einer Stelle hat er allerdings auch ziemlich tief ins Klo gegriffen, nämlich indem er diese Studie in den einen Satz Das Gender Gap konnte daher kommen, dass Frauen schlicht nicht so viel Wert auf berufliche Beförderung und Macht legen zusammenfasst. Dabei schreiben die AutorInnen selber, dass sie nur eine Korrelation festgestellt haben und in der Kürze dieser Studie über kausale Zusammenhänge gar keine Aussage treffen können. Darüber hinaus:

People learn how to think and behave based on their experiences, observations, and interactions in the world. For example, work on gender and volubility has shown that women speak up less often than do men owing to an acute awareness of the backlash that women frequently receive for voicing their opinions. Similarly, a woman may innately desire power, but she may see how women in high-level positions act and are treated and decide that power is an undesirable goal for her.

Lieber Fefe, das so zusammenzufassen ist daher unredlich. Aber das nur am Rande.

Das, was Fefe hier als “Übergang von der Kultur der Menschenwürde zur Kultur des Opfertums” beschreibt, macht mir auch Sorgen, da zeigt sich m.E. überdeutlich das fiese grüne Mem.

Leuten wie Fefe könnte diese Unterscheidung helfen, dass grün sich nicht nur auf korrektes Gendern und Identitätspolitik beschränkt, sondern dass es da auch noch mehr gibt, das sich lohnt zu erkunden. Ich breite das mal anhand dieses Statements aus:

Ja aber aber aber du sprichst dich doch nicht ernsthaft gegen einen zivilen Ton aus, Fefe? Doch, tue ich.

Das schreibt er im Kontext der Linux-Kernel-Mailingliste, also einer technischen Mailingliste, und findet, dass man dort “beschissenen Code” “brandmarken” dürfen muss.
An anderer Stelle wiederum bemängelt er:

Ihr müsst mal aufhören, andere Leute durch Brüllen überzeugen zu wollen. Mich schreckt das eher ab, als dass es mich auf eure Seite zieht. Mein Denkmuster ist: Wenn der so laut brüllen muss, dann hat er offensichtlich überhaupt keine inhaltlichen Argumente, sonst würde er ja die bringen, und dann müsste er nicht brüllen.

Ja, warum muss man denn dann auf einer technischen Mailingliste brüllen? Warum reicht es da nicht, einfach sachlich darauf hinzuweisen, warum das im Einzelfall schlechter Code ist?

Ziviler Umgangston ist m.E. eine Errungenschaft von blau, die dort noch sehr steif und formal wirkt, und auf grün dann mit Mitgefühl gefüllt wird. Orange hält sich nur daran, solange es persönlichen Nutzen daraus zieht, und scheisst sonst darauf in der Überzeugung, dass die anderen das schon aushalten werden. Ich stimme zu, wenn sich jemand von einer Äußerung verletzen lässt, hat diese Person da wohl auch in sich selbst noch etwas aufzuarbeiten. Dennoch finde ich es wichtig, da nicht einfach drüber hinweg zu gehen mit der Aussage, dass persönliche Befindlichkeit von anderen mich nicht interessiert. Im Umkehrschluss bedeutet das nämlich, dass auch meine eigene persönliche Befindlichkeit die anderen nicht interessiert, und das macht die Atmosphäre sehr kalt. Und wenn du jetzt sagst, na und, das stört mich nicht, dann frage ich noch mal nach: stört es dich wirklich nicht? Wünschst du dir nicht manchmal etwas anderes als so einen rauhen Umgangston?

Ein anderer Punkt von grün, mit dem Fefe, so wie ich ihn einschätze, wohl gut mitgehen kann, ist die Aufforderung check your privilege! Zu deutsch “Überprüfe dein Privileg/deine Privilegien!” In der Prozessarbeit, konkret im Bereich Weltarbeit, haben wir das sehr nützliche Konzept von Rang. Das meint schlicht, dass in jeder Beziehung Unterschiede in Fähigkeiten, Ressourcen, Ansehen, usw. usf. bestehen, was sich auch gar nicht vermeiden lässt. Wir sind eben nicht alle gleich, wir unterscheiden uns alle, & diese Unterschiede bringen notwendig auch verschiedenen Rang mit sich.
Check your privilege meint ganz einfach, sich dessen bewusst zu sein, & zwar nicht bloss abstrakt, sondern der ganz konkreten Rangunterschiede in einer Situation, in einer Beziehung. Das hilft entscheidend dabei, Konflikte abzumildern. Im Fall der unredlich zitierten Gender Gap-Studie wäre das z.B. angebracht gewesen.
Sich den eigenen Rang und die eigenen Privilegien bewusst zu machen erweitert das Bewusstsein, man kann dabei eine Menge über sich und über die Welt, in der wir leben, lernen.

Auch auf orange selbst gilt es aufzupassen. Rupert Sheldrakes TEDx-Vortrag The Science Delusion macht deutlich, dass man unterscheiden muss zwischen der wissenschaftlichen Methode (scientific method, es gibt allen Ernstes keine deutsche Übersetzung dieses Wikipedia-Artikels!!) und Wissenschaft als einem Glaubenssystem, das heute in erster Linie auf einer materialistischen Weltsicht beruht. Alle Ismen, eben auch der Materialismus, sind Glaubenssysteme und damit per se unwissenschaftlich. Es gilt also, gerade sie immer wieder zu hinterfragen. Wilson trieb das so weit, “dass er sogar der Skepsis gegenüber skeptisch war”. Damit hat er die wissenschaftliche Methode und das Falsifikationsprinzip konsequent auf alle Bereiche seines Denkens und Handelns angewendet.

Damit habe ich, was Fefe angeht, für heute genug zu diesem Thema gesagt. Allerdings bekommt in der Folge auch Ken Wilber (dessen Buch “Integrale Psychologie” ich gerade lese) sein Fett weg, ich habe nämlich im Zuge der Recherchen für diesen Artikel den Text Unmögliche Rhetorik: Boomeritis und ihre rhetorischen Probleme von Mathias Larsen entdeckt. Der verdeutlicht, was mir schon länger Unwohlsein bereitet:

Das heißt nun, dass Wilber mit den meisten seiner Kritiker nicht ernsthaft diskutieren wird, da er glaubt, dass ihnen die Tiefe fehlt, und dass sie unfähig sind, 2nd-tier (sekundärschichtige) Werte zu erkennen.

Es geht hier auch um den Umgangston, Wilber provoziert nämlich absichtlich:

Wilber’s Kommunikationsstrategie ist es dann, mit denen zu kommunizieren, die schon damit übereinstimmen, und die zu provozieren, die das nicht tun.

Die Frage ist nun, ob Wilber damit mehr Leute verärgert, als er überzeugt. Die Antwort ist komplex, da Wilber viele wirklich verletzt hat, die sich auf seinen unversöhnlichen Tonfall konzentriert haben. Doch das Problem ist, dass es teilweise Wilber’s Meinung ist, dass Leute nur dann negativ auf seinen Tonfall reagieren, wenn sie in Grün feststecken. In den Endnoten zu Boomeritis erklärt Don Beck in einer lecture, wie er einen polemischen Ton in einer Debatte als taktisches Mittel nicht ablehnt: „weil Gelb auf den „Tonfall“ nicht achten wird, aber Grün sehr oft wutschäumend reagiert“. Anders gesagt, nur Menschen mit fehlender Einsicht werden auf Wilber’s Wortwahl negativ reagieren.

Damit hat Wilber natürlich eine selbsterfüllende Prophezeiung installiert: Diejenigen, die sich aufregen, stecken per Definition in Grün fest. Seine Strategie eignet sich gerade nicht, grün zu integrieren, sie spaltet grün eher noch gezielt ab. Das lässt in mir den Verdacht aufkeimen, dass Wilber selber grün noch nicht wirklich in sich integriert hat. Sonst wäre ihm klar, dass man mit Provozieren zwar rot und auch orange gut dazu bringen kann, mit einem zu reden, bei grün aber das glatte Gegenteil erreicht.
Gerald Hüther hat da eine wesentlich besser funktionierende Strategie: Einladen – Ermutigen – Inspirieren.

Eine weitere hochinteressante Studie in diesem Kontext, The Mean Green Hypothesis: Fact Or Fiction von Natasha Todorovic, zeigt auf, dass Menschen, die ihren Schwerpunkt in gelb haben, grün nur sehr wenig ablehnen, während diese Ablehnung von orange aus viel stärker ist. Das bestätigt meine Vermutung, dass Wilber selber das integrale Bewusstsein noch gar nicht wirklich erreicht hat, wenn er sich so an grün abarbeitet. Ein weiteres Ergebnis der Studie ist nämlich, dass viele, die durch Tests als gelb eingeordnet werden, tatsächlich eher in reifem orange zuhause sind. Die Autorin begründet damit auch “Sekundärschicht-Elitismus”:

This might explain much of the ‘second tier’ elitism coming from MGM advocates. The Blue need to rank order combined with classism and right thinking minds at Orange, results in a drive to convince self, and others, of living at ‘second tier’ (if such a thing actually exists!).

Übrigens, dass ich so weit ausholen muss, um meinen Punkt in Sachen integraler Theorie zu machen, bestätigt einen weiteren Kritikpunkt von Mathias Larsen:

Und da sein System eine große Zahl an Argumenten und zugleich auch Gegenargumenten enthält, bringt es seine Bemühungen in Gefahr, insgesamt beiseitegelassen zu werden, da sie als Gesamtpaket angesehen werden, bei dem es nicht möglich ist, nur einem Teil seiner Theorien zuzustimmen, sondern man muß dem System als Ganzem beipflichten. Ich leite daraus nicht ab, dass die integrale Bewegung nicht Diskussionen darüber und Abänderungen des Modells bewältigen könnte, sondern nur, dass allein um schon an diesen Diskussionen teilhaben zu können, ein so großer Konsens vorhanden sein muß, dass nur wenige daran teilnehmen werden.

Klarer Fall von Sekundärschicht-Elitismus, wenn ihr mich fragt.

Bei meinen Recherchen fand ich ein ganzes Buch im Netz, das ich erst noch lesen muss, das aber vielversprechend klingt: Unverhüllter Ehrgeiz. Eine Kritik von Ken Wilbers Eine Theorie von Allem.

Mein Namensvetter, der Herr Leary, hat festgestellt

Das Universum ist ein Intelligenztest.

Ob Wilber diesen Test derzeit bestehen würde, bezweifle ich.

Und mich erinnert es daran, mich nicht zu sehr auf eine Denkrichtung einzuschießen, so “integral” sie sich auch immer geben möge. Der schon genannte Wilson (Stichwort Realitätstunnel) gefällt mir da wesentlich besser. Er schreibt z.B. in Cosmic Trigger:

Seit dieser Zeit macht es sich der Skeptiker zur Gewohnheit, jeden Monat ein oder zwei Periodika von politischen oder religiösen Gruppen, die er verachtet, zu lesen; er will damit feststellen, welche Art Signale von seiner gewohnten Realitätsgrundlage ausgelöst werden. Es ist äusserst aufschlussreich. (Aleister Crowley und Bertrand Russell, der hervorragendste Mystiker und der hervorragendste Rationalist des 20. Jahrhunderts, haben diese Praxis ebenfalls empfohlen.)

Als ich Cosmic Trigger gerade gelesen hatte, habe ich mich eine Weile auch daran gehalten & so z.B. ein Compact-Magazin gelesen. Das fand ich tatsächlich sehr aufschlussreich, das meiste, was sie da schreiben, konnte ich nämlich gut nachvollziehen. Offensichtlich gibt es in mir auch einen Teilzeit-Rechtskonservativen. Im Sinne einer integralen Weltsicht gehört der natürlich zum Ganzen dazu (siehe auch Marina Weisband).
Und John Lillys Buch Simulations of God steht noch im Regal & wartet darauf, gelesen zu werden.

Zum Schluss stellt sich mir bei dem Ganzen die Frage, inwieweit Sprache überhaupt Ebenen über grün hinaus beschreiben kann, denn grün hat ja die Sprache schon dekonstruiert

Kommentare sind, wie immer, herzlich eingeladen.

P.S.: Unter Meme Wars findet ihr im Netz in erster Linie ein Buch der Adbusters, das der neoklassischen Wirtschaftstheorie den Memkrieg erklärt. ;-)

Update vom 25.10.: Zu meiner letzten Frage nach der Sprache liefert John Lilly im Dyadischen Zyklon eine Antwort (bezogen auf den berühmten Satz von Wittgenstein “wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen”):

G. Spencer Brown zeigt (in The Laws of Form), dass Wittgenstein sich wahrscheinlich auf beschreibende Sprache bezog und nicht auf injunktive (Unterrichts-) Sprache. Injunktive Sprache (in ihren weitreichenden Anwendungsmöglichkeiten) lehrt, wie man etwas tut/macht/schafft in der inneren Realität und/oder in der äusseren Realität.

Das hat ja schon Buddha damals gemacht, indem er vor allem seine Methode gelehrt hat.

Update vom 05.08.2016: Fefe hat inzwischen immerhin begriffen, “dass die wirklich glauben, sie tun das Richtige”. So wie das alle Entwicklungsebenen bis einschliesslich grün tun. Er schreibt weiter:

Das ist im Übrigen eine der wichtigsten Lektionen im Leben. Jeder glaubt immer, was er tut sei gerechtfertigt oder gar Das Richtige und er kämpfe für Die Gute Sache. Auch die Nazis. Die haben halt ein anderes Denkgerüst, sonst könnten sie sich das nicht zurecht konstruieren.

Dabei gilt es einzuschränken: “Jeder im ersten Rang (1st tier) glaubt immer, was er tut sei gerechtfertigt oder gar Das Richtige”.
Und was in der zitierten Einsendung steht, klingt sehr nach Boomeritis:

Aber Links ist heute nicht mehr linke Wirtschaftspolitik sondern nur noch so vielen Menschen wie möglich zu unterstellen das sie Nazis, Querfrontler, Sexisten, Rassisten und sonstige Etiketten sind um Empörung zu erzeugen und in die nächste Anne-Will-Sendung eingeladen zu werden.

Update vom 22.10.2016: Frank & Fefe haben den Konstruktivismus immer noch nicht begriffen. In der aktuellen Folge 37 von Alternativlos sprechen sie immer noch von “Fakten”, und Fefe sagt um Minute 56 herum “Wenn wir aber nicht Zugang zur Faktenbasis haben, können wir nicht zum richtigen Ergebnis kommen”. Der Punkt ist, es existiert kein objektiv richtiges Ergebnis. Es existieren viele verschiedene mögliche Ergebnisse, die je nach Betrachtungsweise mehr oder weniger Sinn ergeben. Da zerbröckelt eine blau-orange Überzeugung.

Nachtrag vom 08.01.2017: Soeben habe ich im Wikipedia-Artikel zum Kritischen Rationalismus folgenden Absatz gefunden, der perfekt die Grenze zwischen orange und grün markiert:

Trotz der Schlussfolgerung, dass man nie wissen kann, ob man die absolute Wahrheit gefunden hat, hält der Kritische Rationalismus an ihrer Existenz fest und lehnt den Relativismus, also die Abhängigkeit der Wahrheit vom Blickwinkel, ab. Man kann also die Wahrheit gefunden haben und einen wahren Satz aussprechen, aber man kann nicht beweisen, dass er wahr ist. Das trifft für alltägliche Behauptungen ebenso zu wie für die Theorien der Wissenschaft.