Warum unser Gehirn darauf programmiert ist, die Klimakrise zu ignorieren

Den Titel habe ich von der ausführlichen Rezension des Buches “Don’t even think about it” von George Marshall übernommen. Es bestätigt, was mir auch schon während der Rebellionswelle im Oktober aufgefallen war: Die (Welt-) Untergangsrhetorik großer Teile der Klimaschutzbewegung, insbesondere Extinction Rebellion, greift nicht.

Zu Beginn des Buches absolviert Marshall einen Parforceritt durch Psychologie, Risiko- und Verhaltensforschung. Konzise und gut lesbar fasst er die einschlägigen Erkenntnisse der Wissenschaft zusammen: Beispielsweise hat der Mensch im Laufe der Evolution gelernt, wirksam auf Bedrohungen zu reagieren – allerdings vor allem auf solche, die plötzlich auftreten und jetzt, die von einer Person ausgehen und aus unmoralischen Handlungen resultieren. Doch der Klimawandel passt nicht in dieses Schema, er sendet sozusagen keine Alarmsignale, zitiert Marshall etwa den Glücksforscher Daniel Gilbert: “Würde der Klimawandel durch das Abschlachten niedlicher Hundewelpen verursacht, würden Millionen von Amerikanern auf die Straße gehen.” Oder wäre ein düsterer Diktator für die Erderwärmung verantwortlich, hätte der UN-Sicherheitsrat längst drastische Maßnahmen beschlossen.

Da war ich vor 13 Jahren offenbar selber auf mein eigenes Gehirn reingefallen, als ich mich in die Reihe der Klimaskeptiker einreihte.

Damit bin ich in guter Gesellschaft, sogar die Klimawissenschaftler:innen unterschätzen das Ausmaß der Klimakrise systematisch.

Inzwischen bin ich da bekanntlich einen Schritt weiter & sage sogar Klimagerechtigkeit braucht die Agrarwende.

Aber zurück zum Buch von George Marshall. Er analysiert nicht nur, was falsch läuft & warum die bisherige Kommunikationsstrategie nicht funktioniert, er bietet auch für vieles konkrete Lösungen & Vorschläge an:

Zuallererst, rät Marshall, sollten Klimakommunikatoren an ihrer SPRACHE arbeiten. Sollten zum Beispiel über das reden, was man sicher weiß – statt wissenschaftliche Unsicherheiten zu betonen. Sie sollten die Folgen des Klimawandels im Hier und Jetzt ansprechen und zeigen – statt künftige Generationen oder die Eisbären in der Arktis (weil dies die emotionale Distanz zum Klimawandel nur erhöht). Sie sollten Katastrophenschilderungen eher vermeiden, zumindest immer Handlungs- und Lösungsmöglichkeiten mitliefern, um Abstumpfung und Lähmung zu vermeiden. Allerdings dürfe man auch nicht in eine Haltung verfallen, die Marshall bright-siding nennt, also schönfärberisch und überoptimistisch technologische Lösungen für die Klimakrise ausmalen – weil das den Eindruck bestärkt, man könne man in den Industrieländern weitermachen wie bisher.

Auch die regenerative Kultur kommt bei ihm vor, auch wenn er sie so nicht nennt:

Ganz am Schluss fragt das Buch, was Klimakommunikatoren VON KIRCHEN LERNEN können. Eine Menge, meint Marshall. Üblicherweise wird ja am Klimaschutz kritisiert, er komme zu sehr daher wie eine Religion – George Marshall aber argumentiert in den Kapiteln 39 und 40 das Gegenteil. Er findet, man solle sich bei Kirchen zum Beispiel abschauen, wie sie Menschen zu einer Gemeinschaft zusammenbringen oder wie sie Schuld in konstruktive Gefühle umwandeln. Oder auch, wie sie RAUM FÜRS TRAUERN bieten – genau solchen nämlich müssten Klimaschützer auch geben für den emotionalen Abschied vom fossilen Zeitalter, das ja liebgewonnene Vorzüge hatte. “Die klimaschonennde Welt wird neue Freuden bereithalten”, so Marshall, “aber halt nicht mehr das süße Röhren eines Ford Mustang V8.”

Bei XR UK macht das Buch offenbar gerade die Runde, der Text Rushing the ‘Emergency’? Story and vision for XR in 2020 klingt jedenfalls danach, dass die Autor:innen es gelesen & verinnerlicht haben.

Dass die Klimakrise für sehr viele Menschen auf der Erde schon hier & jetzt da ist, wird auch im Vortag zu Klimakrise, Migration und Gerechtigkeit beim Datengarten 107 des Chaos Computer Club Berlin deutlich. Das darin gezeigte 7,5minütige Video “The Move” von der Rosa-Luxemburg-Stiftung bringt es auf den Punkt & eignet sich hervorragend zum Zeigen für Menschen, die bisher noch nichts mit dem Begriff “Klimagerechtigkeit” anfangen konnten.

Im Herzen bin ich immer noch ganz bei Charles Eisenstein, der die Betonung von der Krise als Bedrohung für uns selber verschiebt darauf, dass mit den Tieren und Pflanzen ganz viele Wesen bedroht sind, die wir lieben. Ich zitiere noch mal aus seinem Essay Klimawandel – ein größerer Zusammenhang:

Was würde passieren, wenn wir das Lokale, das Unmittelbare, das Qualitative, das Lebendige und das Schöne neu bewerten würden? Wir würden immer noch das meiste von dem ablehnen, was auch die Klimaschutz-Aktivisten ablehnen, allerdings aus verschiedenen Gründen: die Ölförderung aus Teersand, weil sie die Wälder zerstört und die Landschaft verunstaltet; die Gipfelabsprengung, weil sie heilige Berge vernichtet; Fracking, weil mit dem Wasser Schindluder getrieben wird und sich die Wasserqualität verschlechtert; Offshore-Ölbohrungen, weil auslaufendes Öl die Tierwelt vergiftet; Straßenbau, weil er das Land zerstückelt, totgefahrene Tiere verursacht, zur Suburbanisierung und zur Zerstörung von Lebensräumen beiträgt und den Verlust der Gemeinschaft beschleunigt. Andererseits könnten viele der Technologien, die ich für wunderbar halte, auch aus Gründen des Klimawandels gerechtfertigt sein: landwirtschaftliche Praktiken, die den Boden regenerieren; Wiederherstellung von Wäldern und Feuchtgebieten; kleinere Häuser in dichter besiedelten Gemeinden; Wirtschaftssysteme, die auf Wiederverwendung, Upcycling und Schenkung beruhen; Fahrradkultur; Anlegen von Hausgärten.

Dabei gilt es allerdings, nicht nur auf den eigenen Nutzen zu schauen:

Das verbreitete Argument, der Klimawandel sei schlimm, weil er unsere Zukunft bedroht, stärkt die Mentalität des instrumentellen Utilitarismus: die Natur ist wertvoll, weil sie für uns von Nutzen ist. Haben nicht der Planet und alle seine Wesen einen eigenständigen Wert? Oder ist die Welt letztlich nichts weiter als ein Haufen von nützlichem Kram? Natürlich liegt es in unserem eigenen Interesse, CO2 zu begrenzen, aber gewöhnlich liegt es auch im eigenen Interesse eines Landes, eines Unternehmens oder einer Einzelperson, es weniger stark als seine Konkurrenten zu begrenzen. Indem wir auf Eigennutz und Angst abzielen, stärken wir diese Gepflogenheiten von Eigennutz und Angst, die sich, seien wir ehrlich, normalerweise zusammentun, um den Planeten zu zerstören, nicht ihn zu retten. Wir werden niemals das Maß an Fürsorge in der Welt erhöhen, wenn wir nach Eigeninteressen trachten. Wir müssen Fürsorge, Respekt und Liebe anstreben.

Aho!

Da kann dann unser Gehirn wieder mitgehen (außer bei ausgeprägten Soziopathen), wir sind schliesslich soziale Wesen.

Nachtrag vom 25.02.: Ich habe heute mindestens 2 neue Worte gelernt, Solastalgie und (dazu habe ich bisher keine deutsche Übersetzung als Begriff gefunden) Eco-anxiety. Entdeckt habe ich diese und andere Worte im seeehr ausführlichen Artikel Under the Weather, in dem es um die psychologischen Auswirkungen der Klimakrise geht. Das Bureau of Linguistic Reality kreiert viele solcher neuen Worte. Und mir ist bei der ganzen Sache das Unabomber-Manifest wieder eingefallen.

Nachtrag vom 26.07.: Der Beitrag Unsere eingebaute rosa Brille schließt sich direkt hier an.