Gewaltfantasien

Die Anschläge von Paris zeigen mir vor allem eines: dass es uns in der globalisierten Welt immer schlechter gelingt, die Folgen der von uns praktizierten Ausbeutung zu ignorieren. Denn jenseits aller Religion gehören diejenigen, die da auf “uns” geschossen haben, zu denen, die “wir” routinemäßig ausbeuten. Wie z.B. Tina Kaiser von der Welt schon im Sommer letzten Jahres für sich ermittelt hatte: Mein Konsum macht 39 Menschen zu Sklaven. Ich habe das für mich noch nicht ausrechnen lassen, auf die genaue Zahl kommt es dabei auch gar nicht an. Schon ein einziger Sklave ist einer zu viel. Die neuzeitliche Völkerwanderung ist im vollen Gange. Wie Freundeskreis schon 1999 in Sternstunde / Revolution der Bärte textete:

Bald stürmen 144 mit geballter Faust Von Gibraltar aus das europäische Haus Und vor den Straßen Behrings fegt ein Zauberlehrling über Flora und Fauna des amerikanischen Traumas Und sie holen sich was ihr’s ist treten über babylonische Ufer wie Euphrat und Tigris

Sie holen sich was ihr’s ist. Und die “Terroristen”, die in Paris geschossen und sich in die Luft gesprengt haben: hat ihnen vorher irgendwer aus der westlichen Welt auch nur zugehört? Wer nimmt die Menschen im Nahen Osten wirklich ernst? Ich erinnere noch mal an den Postillon. Assad hat in Syrien immer noch die höchsten Umfragewerte (im Sinne des geringsten Übels – alle anderen werden schlechter beurteilt). Aber was interessiert uns schon die syrische Bevölkerung?

Jetzt fragt ihr euch bestimmt, was das mit der Überschrift zu tun hat. Schon bei den Days of Rage gegen den Vietnamkrieg hieß es bring the war home. So etwas ähnliches schwebte mir vor für die deutsche Waffenindustrie. Konkret hatte ich mir ausgemalt, mit einem Heckler & Koch GMW auf der nächsten Hauptversammlung von Rheinmetall die hauseigenen Hochexplosivgranaten zu verschießen, um den Investoren die Effektivität der Produkte mal am eigenen Leib zu demonstrieren. Auch über mit C4 beladene Drohnen, die dann auf Milliardärsvillen abgesetzt und gezündet werden, habe ich nachgedacht.

Schließlich habe ich aber gemerkt, dass sowohl die Rheinmetall-Aktionäre als auch die Milliardäre Teil des Ganzen sind, und ich nicht getrennt von ihnen bin. Und ich will ja weniger Gewalt, während solche Aktionen noch mehr Gewalt in die Welt bringen würden.

Deshalb betrachte ich das Veröffentlichen dieses Beitrags als Weltarbeit. Ich mache transparent, dass ich solche Fantasien in mir trage und entsprechende Gefühle und Gedanken.

Und ich erkläre, dass ich diese Fantasien nie in die Tat umsetzen werde.

Statt dessen übe ich mich weiter darin, Spannungen auszuhalten und lade euch alle dazu ein, das ebenfalls zu tun. Denn was mehr Gewalt und Leid über die Menschheit als alles andere gebracht hat, ist die Sehnsucht nach einer Endlösung. Die Sehnsucht, dass irgendwann mal alles gut werden würde, wenn nur alle “das Richtige” tun. Und wehe, einer tut etwas Falsches. Da bleibe ich doch lieber jenseits von Gut & Böse. Auch die Waffenhändler und Milliardäre sind nicht böse. Genau so wenig wie die “Terroristen”. Sie alle spielen mit in dem großen Spiel, das wir alle gemeinsam spielen. Tja, und auch Gewaltfantasien gehören zum Spiel dazu.

Update vom 9.12.: Wenn ich mir dieses Informationsvideo zur aktuellen TTIP-Fassung anschaue, kriege ich schon wieder Gewaltfantasien… “Richter”, deren Gehalt davon abhängt, wie viele Klagen die Konzerne erheben und wie schnell sie die Verfahren durchziehen!! Shadowrun, ick hör dir mal wieder trapsen.

Update vom 15.12.: Dieses US-Gerichtsurteil kommt mir sehr gelegen. ;-)

Update vom 30.07.2017: Die Russen haben meine Idee mit der Drohne konsequent zu Ende gedacht. ;-)

Update vom 18.08.2020: K.I.Z. können das unbestritten viel besser als ich mit den Gewaltfantasien: