Eine neue Kultur

Ich lese im Moment wieder (wie auch meiner Bücherliste zu entnehmen) in Sei nicht nett, sei echt von Kelly Bryson. Gemeinsam mit Neue Arbeit, neue Kultur von Frithjof Bergmann, das die neue Kultur schon im Titel hat, weist dieses Buch wie ein Leuchtfeuer den Weg in eine grundlegend andere Kultur als unsere bestehende. Diese Kultur basiert nicht mehr auf der Annahme von Mangel, sondern geht davon aus dass immer genug für alle da ist (der schon öfters hier angesprochene Paradigmenwechsel von dem auch Götz Werner spricht).
Im Zentrum dieser Kultur stehen die Bedürfnisse der einzelnen Menschen. Diese werden als etwas Wertvolles betrachtet, als Möglichkeit miteinander in Kontakt zu kommen. Darin besteht der grundlegende Wandel: dass ich die Bedürfnisse der anderen nicht als Last empfinde, weil ich das Gefühl habe sie befriedigen zu müssen. Nein, denn die neue Kultur beruht in ihrem Kern auf Freiwilligkeit – darauf, dass eben niemand etwas muss. So kann ich die Bedürfnisse meiner Mitmenschen und vor allem auch meine eigenen Bedürfnisse als ein Geschenk auffassen, das es mir ermöglicht mich zu verbinden.

Vereinzelung prägt unsere bestehende Kultur. Sich verbinden – & damit meine ich wirkliches Verbinden von Herz zu Herz – läuft dieser Kultur entgegen bzw. unterwandert sie.
In der Wirtschaft bedeutet das, nicht mehr künstliche “Anreize” zu schaffen, damit Menschen etwas kaufen, das sie gar nicht wirklich wollen (siehe dazu meinen Beitrag Verkaufen war gestern). Sondern das tun, was ich selber wirklich will & darauf vertrauen, dass ich damit konkrete Bedürfnisse bestimmter anderer Menschen erfülle.

Einer meiner absoluten Lieblingssätze aus “Sei nicht nett, sei echt” ist

Wenn Sie auf irgend jemanden in der Welt eifersüchtig sind, dann wahrscheinlich deshalb, weil Sie nicht um alles bitten, was Sie wollen.

Das ist Medizin für meinen alten Glaubenssatz “The best things in life aren’t for me”. Doch! Sind sie! Ich brauche nur darum zu bitten. Das heisst dann noch lange nicht dass ich auch alles bekomme worum ich bitte. Wenn ich mich aber von vornherein nicht traue darum zu bitten, habe ich erst gar keine Chance.
Ein tolles Buch im Zusammenhang mit Geld ist Macht und Magie des Geldes – Das Sterntalerprinzip von Barbara Stern. Gibt’s auch vielfach gebraucht zu kaufen.

Noch zwei wunderbare Sätze:

Arbeit ist keine Aktivität, sondern eine Einstellung, die auf Angst und Mangel gründet.

Menschen, die wirklich mit dem spielen, was sie lieben, tun für sich selbst und die Welt das Beste, was sie tun können.

Angst & Mangel, genau. Ich kann bisher nur erahnen, wie die Kultur aussehen wird, die nicht mehr von Angst & Mangel geprägt ist. Beides wird weiterhin vorhanden sein, jedoch nicht mehr das Denken & Fühlen der Menschen bestimmen wie es jetzt der Fall ist.
Wenn ich keine Angst hätte, würde ich nur noch das tun, was ich gern tue, & dabei darauf achten dass niemand anderes zu kurz kommt (denn ich selber brauche nicht zu befürchten dass ich zu kurz komme). Ich würde einen funktionierenden Egoismus leben, der nicht gegen andere gerichtet ist. Hierzu noch ein Satz aus dem Buch:

Tun Sie nie etwas für andere Lebewesen. Tun Sie Dinge nur, wenn Sie sie für sich selbst tun, um der Freude des Gebens willen.

Diese Freude des Gebens kann nur aus Freiwilligkeit erwachsen. Sobald ich den Eindruck habe, ich müsste etwas tun, vergeht mir die Lust daran.
Alexander Fluhr hat dazu in seinem Blog ArtSelling einen passenden Beitrag geschrieben: Geben statt nehmen.

Ich finde es schwer, mich innerlich von den vielen Zwängen, die unser Geld- & Wirtschaftssystem & unsere Kultur den Einzelnen auferlegt, zu befreien. Dabei ist es “nur” ein Gedankensprung. Die äusseren Umstände sind so wie sie sind, ich kann sie auf ganz unterschiedliche Weisen betrachten. Im Moment erscheint mir am wichtigsten klarzukriegen, dass ich mich den äusseren Umständen anpassen & gleichzeitig das tun kann, was ich wirklich wirklich will. Denn nur wenn ich das beides verbinden kann, gelingt mir der Übergang in die neue Kultur. Nur wenn es leicht ist, kann ich diesen Weg gehen.
Mit leicht meine ich, dass ich aus freien Stücken handeln kann. Dabei kann ich mich durchaus anstrengen. Solange ich mich nicht zu etwas zwingen muss, bleibt es trotzdem leicht in diesem Sinne. Reinhold Messner gehorcht ja auch keinen Befehlen oder Sachzwängen, sondern folgt seiner inneren Stimme.

Konkurrenz ist in der neuen Kultur überflüssig, weil ja genug für alle da ist. Das klingt sehr platt & mag “objektiv” in vielen Bereichen nicht gelten, es geht jedoch um einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Denken. Wenn offensichtlich von irgendetwas nicht genug da ist, dann ist das eine Aufgabe für alle, sich gemeinsam darum zu kümmern (Beispiel: sauberes Trinkwasser). Das Denken der neuen Kultur geht wie gesagt von den Bedürfnissen aus anstelle der äusseren Gegebenheiten. Die Frage in so einem Fall ist, wie kooperieren wir miteinander, um unser aller Bedürfnisse zu befriedigen? Die Rahmenbedingungen sind natürlich die der Freien Kooperation.

Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass diese neue Kultur wächst & gedeiht, & ich werde mit aller Kraft dafür gehen! Ahow!

Am 21.01.2008 ergänzt: Ich will eine Kultur, in der nicht nur jeder Mensch sein volles Potential entfalten kann, sondern die jeden Menschen auch ermutigt das zu tun!

Update vom 23.12.2015: Ein großer Wegbereiter dieser neuen Kultur ist Gerald Hüther, der sich u.a. für einen Kulturwandel in Unternehmen und in Schulen einsetzt. Sein Credo

Wir brauchen Gemeinschaften, deren Mitglieder einander einladen, ermutigen und inspirieren, über sich hinauszuwachsen.

von der Akademie für Potentialentfaltung bildet das perfekte Schlusswort dieses Beitrags.

Nachtrag vom 29.09.2019: Durch Extinction Rebellion hat die neue Kultur einen Namen bekommen: regenerative Kultur.