Volksherrschaft mit beschränkter Haftung

Schon in der Schulzeit hatte ich mir gedacht, dass selbst ein Adolf Hitler wohl die ein oder andere gute Idee gehabt haben kann. Jetzt, beim Lesen von “Mein Kampf”, habe ich eine davon entdeckt. Die ist mir übrigens schon in “Er ist wieder da” aufgefallen, wo der Autor seinen Hitler diese Sätze sagen lässt:

Wir brauchen Verantwortung und Stärke. Eine Führung des Landes, die Entscheidungen trifft und für sie haftet, mit Leib, Leben, allem.

Das erinnerte mich sofort an Don Juan Matus, dessen Prinzip der Makellosigkeit auf genau einer solchen Verantwortung beruht, die mit Leib und Leben für ihre Entscheidungen haftet. Ich wiederhole noch mal das Zitat aus Reise nach Ixtlan, das ich schon im Beitrag über den Tod als das Ende jeden Wachstums gebracht hatte:

Ich kenne weder Zweifel noch Reue. Alles, was ich tu, ist meine Entscheidung und meine Verantwortung. Die einfachste Sache, die ich tu, zum Beispiel dich in die Wüste mitnehmen, könnte sehr wohl meinen Tod bedeuten. Der Tod wartet auf mich. Darum habe ich keinen Platz für Zweifel oder Reue. Wenn ich als Folge dessen, dass ich dich mitnehme, sterben muss, dann muss ich eben sterben. Du hingegen glaubst, dass du unsterblich bist, und die Entscheidungen eines Unsterblichen können bereut oder bezweifelt oder rückgängig gemacht werden. In einer Welt, wo der Tod der Jäger ist, mein Freund, da ist keine Zeit für Reue oder Zweifel. Da ist nur Zeit für Entscheidungen.

Diese persönliche Haftung für die eigenen Entscheidungen bildet den Kern des Prinzips Führung.

Im Bereich der Wirtschaft sind Kapitalgesellschaften geschaffen worden, um sich gerade vor dieser Haftung = Verantwortung zu drücken.

Nun geht es Hitler allerdings konkret um die Staatsform der repräsentativen/parlamentarischen Demokratie, und er liefert eine Fundamentalkritik derselben:

Was mir zuallererst und am allermeisten zu denken gab, war das ersichtliche Fehlen jeder Verantwortlichkeit einer einzelnen Person. Das Parlament faßt irgendeinen Beschluß, dessen Folgen noch so verheerend sein mögen – niemand trägt dafür eine Verantwortung, niemand kann je zur Rechenschaft gezogen werden. Denn heißt dies etwa Verantwortung übernehmen, wenn nach einem Zusammenbruch sondergleichen die schuldige Regierung zurücktritt? Oder die Koalition sich ändert, ja das Parlament sich auflöst? Kann denn überhaupt eine schwankende Mehrheit von Menschen jemals verantwortlich gemacht werden? Ist denn nicht der Gedanke jeder Verantwortlichkeit an die Person gebunden? Kann man aber praktisch die leitende Person einer Regierung haftbar machen für Handlungen, deren Werden und Durchführung ausschließlich auf das Konto des Wollens und der Geneigtheit einer Vielheit von Menschen zu setzen sind?

Auch wenn man Hitlers Einschätzung der Bevölkerung(smehrheit) nicht teilt –

Denn eines soll und darf man nie vergessen: Die Majorität kann auch hier den Mann niemals ersetzen. Sie ist nicht nur immer eine Vertreterin der Dummheit, sondern auch der Feigheit. Und so wenig hundert Hohlköpfe einen Weisen ergeben, so wenig kommt aus hundert Feiglingen ein heldenhafter Entschluß.

– trifft seine grundsätzliche Kritik an der fehlenden Haftung sowohl der Wähler als auch der Gewählten ins Schwarze. Sie wird u.a. geteilt von Andreas Tögel, Lysander Spooner und Frank Karsten, der wie Tögel ein Buch darüber geschrieben hat: Wenn die Demokratie zusammenbricht. Im Gegensatz zu Adolf Hitler sind alle diese eben genannten Leute Anarchisten bzw. Voluntaristen (bei letzteren handelt es sich um Eigentums-Fetischisten). Tögel schreibt über die repräsentative Demokratie:

Es ist die völlige Entkoppelung von Macht und Verantwortung.

Diesen Satz hätte Hitler sofort unterschrieben. Interessant, wo er doch sonst in den meisten anderen Punkten Tögel & Co. diametral entgegensteht.

Was bleibt nun aber, wenn man wie ich diese “Volksherrschafts-Fata-Morgana” (O-Ton Känguru) ebenfalls ablehnt, aber auch keinen Führerstaat errichten will und ebensowenig eine libertäre Eigentums-Gesellschaft? Holakratie ist eine Möglichkeit, Freie Kooperation eine andere, Liquid Democracy eine dritte, vielleicht lassen sich diese miteinander kombinieren. Anders als Hitler schwebt mir nämlich eine Gesellschaft vor, in der nicht ein einziger Führer alle Entscheidungen verantwortet, sondern jeder einzelne Mensch. Anders ausgedrückt, eine Gesellschaft von wirklichen Erwachsenen. Dabei wissen wirkliche Erwachsene, dass wir hier gemeinsam ein Spiel spielen; es geht also nicht darum, bierernst zu sein. Das wusste Don Juan sehr gut. ;-)

Und um es noch mal deutlich zu sagen: die Freiheitliche demokratische Grundordnung lehne ich ab, mit freundlichen Grüßen an den Verfassungsschutz (den ich an dieser Stelle an Artikel 5 des Grundgesetzes erinnere).

Dass “Demokratie” als ein solcher Fortschritt erscheint, liegt wohl daran, dass diejenigen, die für das allgemeine Wahlrecht gekämpft haben, sich eine herrschaftsfreie Gesellschaft noch gar nicht vorstellen konnten. Volksherrschaft ist immer noch Herrschaft, und die besteht darin, dass eine Gruppe von Menschen eine andere Gruppe von Menschen beherrscht. Demokratie unterscheidet sich von Absolutismus oder Feudalismus also nur dadurch, dass sich die Beherrschten nun aussuchen können, von wem sie sich beherrschen lassen. Wie die Scherben singen:

Ich bin nicht frei, denn ich kann nur wählen Welche Diebe mich bestehlen, welche Mörder mir befehlen

Nach Jahrtausenden von Herrschaft konnten sich die VorkämpferInnen der Demokratie wohl tatsächlich nicht vorstellen, dass es ohne Herrschaft gehen könnte; so wie sich Fische nicht vorstellen können, dass man ausserhalb des Wassers leben kann.

Zurück zum GröFaZ (der die Scherben natürlich umgehend nach Buchenwald geschickt hätte). Dieser sagt über die Öffentliche Meinung folgendes:

Was wir immer mit dem Worte „öffentliche Meinung“ bezeichnen, beruht nur zu einem kleinen Teile auf selbstgewonnenen Erfahrungen oder gar Erkenntnissen der einzelnen, zum größten Teil dagegen auf der Vorstellung, die durch eine oft ganz unendlich eindringliche und beharrliche Art von sogenannter „Aufklärung“ hervorgerufen wird. […] Der weitaus gewaltigste Anteil an der politischen „Erziehung“, die man in diesem Falle mit dem Wort Propaganda sehr treffend bezeichnet, fällt auf das Konto der Presse.

Bekanntlich lautet der Slogan der auflagenstärksten so genannten Zeitung in Deutschland BILD Dir Deine Meinung… Und Noam Chomsky spricht von Manufacturing Consent, dargelegt in seinem Propagandamodell. Deshalb bezeichnen demokratische Politiker ihre Politik gerne als alternativlos, angefangen hat damit Margaret Thatcher.

Ich finde es übrigens recht einfach, solche guten Ideen bzw. Beobachtungen Hitlers aus dem Wust von Antisemitismus und ähnlichem Quatsch rauszufischen, und kann immer weniger nachvollziehen, warum das Lesen dieses Buches verboten sein sollte (ist es ja auch nicht).

Aus persönlichen Gründen habe ich jetzt allerdings wieder aufgehört, Mein Kampf zu lesen.