Schöpfertrance

Beim Nachdenken über das, was Charles Eisenstein im Kapitel 21 Arbeit im Geist des Schenkens schreibt, ging mir auf, dass Menschen neben der Opfertrance auch in eine Schöpfertrance fallen können. Diese besteht darin, zu glauben, das, was durch mich gekommen ist, sei “mein Werk, meine Schöpfung”. Dabei sagen ja schon die Worte im Deutschen aus, dass Schöpfer etwas aus dem großen Ozean der Möglichkeiten schöpfen, was dort schon vorhanden ist. Mit welchem Recht kann ich also behaupten, das sei “mein Werk”?

Eisenstein schreibt dazu:

Wir werden zum Instrument dessen, was wir schaffen. Sei es eine materielle, menschliche oder soziale Schöpfung, wir stellen uns in den bescheidenen Dienst an etwas, das schon existierte, sich aber noch nicht manifestiert hat. Daher hat der Künstler Ehrfurcht vor seiner eigenen Schöpfung.

Dennoch verleitet unser auf Privateigentum beruhendes Wirtschaftssystem dazu, sich selbst in eine Schöpfer-Trance hinein zu hypnotisieren und eben zu glauben, meine Schöpfung gehöre mir. Die Voluntaristen haben eine ganze Theorie aus dieser Trance gebaut.

In dem Zusammenhang fiel mir Johann Sebastian Bach ein, der viele seiner Werke mit den Worten Soli Deo Gloria (“allein Gott die Ehre”) überschrieb. Wie ich finde, eine wirkungsvolle Methode, sich selbst vor der Schöpfertrance zu bewahren. Bach war sich bestimmt dessen bewusst, dass seine Schöpfungen ihm nicht gehören, sondern zu ihm gekommen sind. Und er hat sich mit der Überschrift selbst daran erinnert.

Diese Form der Schöpfertrance beschränkt sich auf einzelne Werke. Sätze wie “Ich bin Schöpfer meiner Welt”, die aus einem nur halb verdauten radikalen Konstruktivismus entstehen können, führen in eine umfassende Version. Auf den Unterschied kommt es an: der radikale Konstruktivismus besagt, dass wir uns unsere Wahrnehmungen immer selbst konstruieren und nicht wissen können, wie die Welt “in Wirklichkeit” beschaffen ist. Er sagt nicht, dass es gar keine Welt gebe, dass diese sozusagen nur ausgedacht sei. Der Satz “Ich bin Schöpfer meiner Welt” kann schnell in einen metaphysischen Solipsismus führen. Warum sollte ich noch Beziehungen eingehen, wenn doch eh alle anderen nur Erfindungen meines Geistes sind? Dabei wird doch der Mensch am Du zum Ich, wie Martin Buber so treffend formuliert.

Der eigentliche Knackpunkt liegt gar nicht bei dem Wort Schöpfer, sondern bei den Pronomen 1. Person Singular. Ich bin Schöpfer meiner Welt. Wer oder was ist dieses “Ich”? Wie weit reicht es? Welcher Anteil der Welt gehört diesem “mir”? Da finde ich wieder Arnold Mindells Unterscheidung des Großen Ich und des Kleinen Ich sinnvoll. Wenn das Kleine Ich sagt “Ich bin Schöpfer meiner Welt”, dann kann damit nur die kleine Welt seiner Wahrnehmungen gemeint sein. Wenn das Große Ich sagt “Ich bin Schöpfer meiner Welt”, dann meint es die ganze große Welt.

Und in gewisser Weise befindet sich sogar das Große Ich in einer Schöpfertrance, weil es sich selbst geblitzdingst hat. In diesem Sinne:

**Mögen alle Wesen bewusst

am kosmischen Witz teilhaben!**