Mitfühlen statt nach Schuld fragen

Gestern habe ich mir den Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter nebst der dazugehörigen Dokumentation angesehen. Hier der Trailer:

Die im Film porträtierte Generation liegt genau zwischen der Generation meiner Eltern und meiner Großeltern. Meine Eltern waren im 2. Weltkrieg Kinder.

Für mich geht es bei diesem Film nicht um historische Aufklärung im klassischen Sinn. Also nicht darum, wer hat wann was gemacht, und damit wer ist woran schuld. Wer ist Täter, wer Opfer. All diese Fragen kann man natürlich stellen, ich bezweifle zunehmend, dass sie uns zur Zeit weiterbringen. Vor allem, wo sollen wir dann aufhören? Das habe ich schon in wir sind alle ver-rückt ausgeführt. Demnach sind wir alle Täter und Opfer.

Einen Kritikpunkt am Film habe ich allerdings doch, nämlich dass die polnische Untergrundarmee darin als geschlossen antisemitisch dargestellt wird. Auch wenn es Antisemitismus von polnischer Seite auch gab, gehört das in meinen Augen nicht in diesen Film, und schon gar nicht so pauschalisierend.

Viel dringender als Schuldfragen finde ich, dass wir endlich mal wirklich fühlen was damals los war. Den ganzen Wahnsinn des Krieges. Vermutlich ist erst meine Generation, damit meine ich die Kriegsenkel, wirklich in der Lage dazu. Die im Dritten Reich Erwachsenen haben größtenteils mehr oder weniger überzeugt mitgemacht, viele haben das Grauen aktiv mitgestaltet. Damit sie das überhaupt tun konnten, mussten sie ihre Gefühle, jedenfalls ihr Mitgefühl, abspalten. Einer der in der Dokumentation interviewten Soldaten spricht davon, dass er sich einen Panzer ums Herz gemacht hat. Auch die Widerstandskämpfer mussten sich verhärten, um das Grauen überhaupt aushalten und darin handeln zu können. Die Generation der deutschen Kriegskinder ist zu zwei Dritteln traumatisiert. Die allermeisten werden ihr Trauma mit ins Grab nehmen.

Vor allem von linker Seite kommt fast reflexhaft als Reaktion auf Filme wie diesen der Vorwurf des Revanchismus, sobald die Deutschen mal nicht ausschließlich als die bösen Täter dargestellt werden. Den vielen Linken, vor allem Antideutschen, sage ich: ja klar, eure Eltern und Großeltern waren bestimmt auch Täter, haben anderen Menschen Schmerz zugefügt oder sie umgebracht. Das ist scheiße. Sie waren (s.o.) genauso Opfer und haben Schreckliches erlebt. Und: Das waren eure eigenen deutschen Eltern und Großeltern! Ihr Blut fließt in euren Adern! Also fühlt das doch bitte endlich mal, statt immer nur abzuwehren. Den (revanchistischen) Rechten kann ich genau das gleiche sagen, wie auch der schweigenden Mitte. Irgendwann können wir uns dann hoffentlich alle vor unserem Erbe verneigen.

Die aller-allermeisten Antideutschen sind wohl selber Deutsche. Und, so sehr sie es auch versuchen, sie werden das Deutschsein nicht los. Also was tun? Meine Empfehlung siehe oben.

In der Sprache der Quadranten aus Ken Wilbers Integraler Theorie haben wir Deutschen uns seit 1945 sehr intensiv mit der Aufarbeitung des Dritten Reichs im unteren rechten Quadranten (Ablauf, Daten und Fakten, Faschismus als soziale Struktur), im unteren linken Quadranten (Werte und Moral, also auch die Schuldfragen) und im oberen rechten Quadranten (wie verhalte ich mich, damit so etwas nie wieder passiert) befasst. Oben links ist dabei noch stark zu kurz gekommen, eben die Frage, wie fühlt sich das alles für mich persönlich an. Inklusive der Frage, steckt in mir auch ein potentieller Herrenmensch, Sadist und Mörder (wie ich es für mich bei meinem Auschwitz-Retreat feststellen musste). Unsere Eltern und Großeltern haben ihr eigenes Erleben meist nur angedeutet, wenn überhaupt. Die Welle ist ein, bezeichnenderweise von einem Amerikaner geschriebenes, Beispiel für die Vergangenheitsbewältigung auf dieser Ebene.

Und brandaktuell erinnere ich daran, dass wir, indem wir uns selbst als die Guten und irgendwelche anderen als die Bösen betrachten, die Saat des nächsten Krieges säen. Denn damit folgen wir der Logik des Krieges auch in so genannten Friedenszeiten.