Man kann nicht nicht manipulieren

Spätestens seit meiner Zeit bei der BüSo bewege ich mich im Feld von Verschwörungstheorien. Dazu habe ich ja Grundsätzliches schon im vorletzten Beitrag verlinkt. Ebenfalls seit dem Ende meiner BüSo-Zeit schaue ich bei Verschwörungstheorien immer ganz genau hin, weil sie eben auch ihrerseits als Machtmittel benutzt werden können, um (Gefolgs-) Leute bei der Stange zu halten. Genau das hatte ich bei der BüSo erlebt.

Der Anlass für diesen Beitrag ist der spannende Artikel Die große Manipulations-Erzählung von Michael Seemann, der einen zentralen Aspekt von Verschwörungstheorien beleuchtet: “Wir werden manipuliert.” Darüber lässt sich z.B. Rainer Mausfeld immer wieder sehr ausführlich aus.

Dabei geht auch Seemann davon aus, dass Manipulation stattfindet, aber anders als oft gedacht:

Ich bin skeptisch. Das soll nicht heißen, dass Manipulation nicht stattfindet. Offensichtlich gibt es Manipulation. Ohne wäre der Werbemarkt nicht existent und PR-Fachleute arbeitslos. Manipulation findet statt, doch mir scheint, dass sie anders stattfindet, als gerne erzählt wird. Das mag daran liegen, dass sich die Wahrheit oft nicht so gut erzählt – womit wir schon bei der Problembeschreibung sind. Ich behaupte: die effektivste Manipulation funktioniert über Geschichten und nichts ist manipulativer als die Erzählung von der großen Manipulation.

Die Überschrift spielt auf Paul Watzlawicks berühmten Satz “Man kann nicht nicht kommunizieren” an, das gilt fürs manipulieren ganz genauso:

Manipulation, wissenschaftlich gesprochen, ist erst mal ein neutraler Begriff. Jeder Eingriff in die Welt ist eine Manipulation. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich allerdings durchgesetzt, das Wort dann zu verwenden, wenn dieser Eingriff erstens gegenüber einer Person und zweitens entgegen dessen Willen vorgenommen wird. Man muss den Manipulationsbegriff außerdem gegenüber der reinen Überredung abgrenzen, also dem transparenten Versuch, jemanden von der eigenen Meinung zu überzeugen. Manipulation passiert immer verdeckt.

Die Erzählung von der großen Manipulation verschweigt, dass auch zum Manipulieren immer 2 gehören, einer der manipuliert und einer der sich manipulieren lässt (vgl. meinen Beitrag über das Gehorchen). Stattdessen geht die Geschichte so:

Mit der großen Manipulationserzählung lässt sich ein Präsident Trump nicht nur erklären, sondern auch gut relativieren. Es ist schwer zu akzeptieren, dass viele Millionen Amerikaner bereit waren, einen so plumpen wie korrupten Schreihals und offenen Rassisten ins Weiße Haus zu wählen. In Deutschland kennen wir das. Jahrzehntelang hielt sich nach dem Krieg die Erzählung vom verführten Volk. Allein das demagogische Talent von Hitler und Goebbels sei es gewesen, das Millionen Deutsche zum Massenmord inspirierte. Jede große Manipulations-Erzählung hat den großen Manipulator. Statt ein strukturelles, komplexes Problem hat man durch ihn ein einfaches, adressierbares: der große Bösewicht und seine Schergen. Im Grunde ist es eine optimistische Erzählung.

In den Worten von Niklas Luhmann reduziert die Erzählung von der großen Manipulation die Komplexität der menschlichen Gesellschaft.

Das von Michael Seemann erwähnte Buch The Storytelling Animal klingt seeehr spannend. Seemann schreibt:

Geschichten waren die ersten und wichtigsten Träger von Wissen, die von Generation zu Generation über tausende Jahre weitergereicht wurden. Geschichten bieten evolutionär gesehen einen niedrigschwelligen Zugang zu unserem Gehirn. Eine Erzählung bleibt in Erinnerung, weil sie auf einer emotionalen Ebene funktioniert. Deswegen lassen wir uns von Geschichten eher überzeugen, als von Daten, Studien und harten Fakten.

Ihm zufolge hängen die meisten Menschen faktisch Verschwörungstheorien an, auch wenn sie selber das natürlich weit von sich weisen würden:

Bildungsbürger schauen gerne auf die Verschwörungstheoretiker hinab, die allen möglichen Unfug glauben: von Gehirnwäsche per 5G-Strahlung, Autismus per Masernimpfung oder der Gedankensteuerung über Kondensstreifen. Sicher, die Manipulationserzählung des liberalen Bildungsbürgers sind abstrakter, intellektueller, aber sind sie so viel besser?

Der psychologische Effekt des Ganzen:

Wie die ordinäre Verschwörungstheorie, hat auch die Manipulationserzählung eine distinguierende Funktion. Man fühlt sich erhaben, als auserwählt, denn im Gegensatz zu den meisten anderen hat man das Spiel durchschaut.

Wer uns da manipuliert, sind – na klar – die Dunkelmächte. Tja, es fällt uns Menschen eben schwer, zuzugeben, dass wir sowas von überhaupt gar keine Ahnung haben

Übrigens, das lässt sich 1:1 auf die Geschichte von SARS-CoV-2 als gefährlichem Killervirus anwenden, wie auch auf die Geschichte von Osama bin Laden und seinen Kumpanen. Die Kunst besteht darin, hinter die Geschichte zu blicken und ihr nicht blind auf den Leim zu gehen. Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

Interessant finde ich noch Seemanns Analyse, wie die Manipulationserzählungen mit jeweils neuen Medien zusammenhängen:

Neue Medien bedrohen den Status alter Medien und damit auch den Status von Eliten, ihrer Art zu leben und die Welt wahrzunehmen. Manipulationserzählungen fungieren als zweifache Abgrenzungsbewegung: gegen die neue Medientechnologien auf der einen, und vor allem den sie nutzenden Massen auf der anderen Seite.

Und nebenbei stellt sich raus, dass die Werbemafia sich den ganzen Targeting-Quatsch auch direkt sparen kann:

In einer gemeinsamen Studie zu behavioral Advertisement kommen Forscher*innen der Universitäten von Minnesota, Kalifornien, Irvine und Carnegie Mellon zum Schluss, dass der Unterschied zwischen personalisierter und nicht personalisierte Werbung lediglich 4% Mehrumsatz bringt, als ungetargetete Werbung.

Sein Fazit kann ich mir & euch als Handlungsanweisung nur empfehlen:

Niemand will manipuliert werden, auch ich nicht. Ich bin deswegen vorsichtig geworden, wenn ich eine gute Geschichte höre. Ich analysiere dann die Interessenstrukturen. Wer erzählt die Geschichte und warum? Und wer hat überhaupt ein gegenteiliges Interesse? Besonders mißtrauisch macht es mich, wenn die Geschichte allen nutzt.

Und ich habe gelernt, mir selbst zu mißtrauen. Meinem fehleranfälligen Denken, meinen eigenen Interessen und Ängsten, meinem Wunsch nach einfachen Antworten, meiner Unfähigkeit Unwissen oder Widersprüche auszuhalten. Warum gefällt mir diese Geschichte gerade so gut? Bestätigt sie meine Vorurteile, meine Ressentiments? Nützt mir die Geschichte vielleicht sogar oder passt sie mir anderweitig in den Kram?

Ich muss dabei auch an die 4 Feinde eines Wissenden denken, von den Don Juan Matus direkt im ersten Castaneda-Buch spricht:

  1. die Furcht
  2. die Klarheit
  3. die Macht
  4. das Alter

In diesem Zusammenhang haben wir es mit der Klarheit als Feind zu tun:

Diese Klarheit der Gedanken, die so schwierig zu erlangen ist, vertreibt die Furcht, aber sie macht auch blind.

Sie zwingt den Mann, sich niemals selbst anzuzweifeln. Sie gibt ihm die Sicherheit, alles zu tun, was ihm gefällt, denn er sieht klar in alle Dinge. Und er ist mutig, denn er ist sicher, und er schreckt vor nichts zurück, weil er sich eben sicher ist. Aber all das ist ein Fehler: es ist wie etwas Unvollständiges.

Castaneda fragt zurück, wie er die Klarheit überwinden kann:

»Was muß er tun, um nicht besiegt zu werden?« »Er muß tun, was er mit der Furcht getan hat: er muß seiner Klarheit trotzen und nur mit ihr sehen und geduldig warten und vorsichtig erwägen, bevor er neue Schritte tut; er muß vor allem denken, daß seine Klarheit fast ein Fehler ist. Und ein Augenblick wird kommen, da er verstehen wird, daß seine Klarheit nur ein Punkt vor seinen Augen war.