Jedes Wachstum endet spätestens mit dem Tod

Die Degrowth-Konferenz mit ihren Tausenden Teilnehmern und Hunderten von Veranstaltungen hatte einen blinden Fleck: Die Tatsache, die sich in der Überschrift findet. Dabei ist der Zusammenhang doch so nahe liegend. Jedes Lebewesen wächst über einen gewissen Zeitraum und stirbt irgendwann. Dann, spätestens, ist es vorbei mit dem Wachsen, dann kommt der Zerfall. Solange selbst wir Degrowth-Aktivisten diese unerbittliche Tatsache ausblenden, werden wir keine umfassenden Lösungen finden, wie wir ohne Wachstum wirtschaften können.

Auf diesen Zusammenhang bin ich erst beim Lesen der oya-Ausgabe endlich leben gekommen.

Im Rahmen des Heftes wurde dieses Gespräch aufgenommen:

Damit schließen sich diese Überlegungen direkt an den Beitrag über Makellosigkeit an. Die Grundvoraussetzung für makelloses Handeln ist, den Tod als unabänderliche Tatsache anzuerkennen und sogar als Ratgeber für sich anzunehmen. Dazu noch mal ein Zitat von Don Juan Matus aus Reise nach Ixtlan:

Ich kenne weder Zweifel noch Reue. Alles, was ich tu, ist meine Entscheidung und meine Verantwortung. Die einfachste Sache, die ich tu, zum Beispiel dich in die Wüste mitnehmen, könnte sehr wohl meinen Tod bedeuten. Der Tod wartet auf mich. Darum habe ich keinen Platz für Zweifel oder Reue. Wenn ich als Folge dessen, dass ich dich mitnehme, sterben muss, dann muss ich eben sterben. Du hingegen glaubst, dass du unsterblich bist, und die Entscheidungen eines Unsterblichen können bereut oder bezweifelt oder rückgängig gemacht werden. In einer Welt, wo der Tod der Jäger ist, mein Freund, da ist keine Zeit für Reue oder Zweifel. Da ist nur Zeit für Entscheidungen.

Hier, in dieser Welt der Erscheinungen, zeichnet sich ein Leben, ein Lebewesen dadurch aus, dass es begrenzt und endlich ist (daher auch der schöne Titel “endlich leben”). Claudia Cardinal sagt es ganz deutlich: »Denn bereits mit unserer Geburt kommen wir als Sterbende auf die Welt.«

Die buddhistische Grunderkenntnis über die Lebewesen hinaus lautet: Alles (in dieser Welt der Erscheinungen) ist vergänglich. Alles verändert sich. Nichts bleibt ewig so, wie es ist – außer dem Nichts. ;-)

Und an dieser Stelle kommt Silvio Gesell ins Spiel, der glasklar beobachtet hat, dass das Geld, so wie wir es kennen, auf Unvergänglichkeit angelegt ist. Durch diese prinzipielle Unvergänglichkeit unterscheidet sich das Geld grundlegend von allem anderen und hat damit natürlich einen unschlagbaren Vorteil. Daraus erklärt sich auch, dass die meisten Menschen das Geld allem anderen vorziehen und so freudig das Hamsterrad Kapitalismus antreiben.

Und mit der Hoffnung, durch Geld unsterblich zu werden, besteht natürlich auch keine Notwendigkeit er-wachsen zu werden, also mit dem Wachsen aufzuhören. Bloss dass das eben kein makelloses Handeln ist, sondern ein Sich-gehen-lassen.

Nun dürfen wir es uns jedoch auch mit der Vergänglichkeit nicht zu einfach machen und nach dem Motto Nach uns die Sintflut leben. Denn im Sinne der Bewusstseinserweiterung reicht es nicht, sich auf das persönliche Leben, den eigenen, sterblichen Körper zu beschränken, sondern der Weg führt darüber hinaus: vom Kleinen Ich zum Großen Ich.

Nicht nur darum will ich es mir nicht zu leicht machen und einfach sagen, “ja, lasst uns das Geld vergänglich machen”. Denn vor einem halben Jahr habe ich voller Begeisterung Fiat money als Ticket in die Unendlichkeit gewürdigt. Geld kann tatsächlich etwas sein, das über die Begrenztheit der vergänglichen Welt der Erscheinungen hinausweist.

Das Geld wird ja heutzutage immer weniger körperlich. Mag sein, dass es ganz ursprünglich auch schon mal weitgehend unkörperlich war (“anschreiben” wie auf dem Kerbholz oder bei dem chinesischen Fei Lun-System), durch das heute übliche elektronische Geld ist auf jeden Fall eine neue Ebene der Nicht-Körperlichkeit erreicht. Es ist jedoch gerade das Körperliche, das stirbt. Gedanken hingegen sind prinzipiell unsterblich. Ein Gedanke kann immer wieder aufs Neue und auch immer wieder von neuen Wesen gedacht werden (siehe die Meme).

Letzte Nacht kam mir im Bett noch ein weiterer Gedanke dazu: Wir Menschen wachsen körperlich ungefähr bis Anfang 20, dann kommt (vom Bierbauch abgesehen) an Substanz nichts mehr dazu. Allerdings gibt es ja doch einen Bereich, in dem auch biologisch noch eine Form von Wachstum stattfindet, nämlich die Nervenverbindungen, die Synapsen. Und da zeigt sich noch ein weiterer Zusammenhang: So wie die Synapsen die einzelnen Neuronen verbinden, so bezeichnet Geld (das Wort kommt von gelten, es gilt also eine Vereinbarung) eine Beziehung zwischen Menschen. Und, wie Margit Bassler im Gespräch betont, bleibt die Beziehung zu einem gestorbenen Menschen weiter bestehen, auch wenn dieser körperlich nicht mehr antworten kann. Die Beziehung reicht also über den Tod hinaus.

Stellt sich die Frage: “Stirbt” eine Beziehung auch irgendwann? Wenn alle daran Beteiligten das Zeitliche gesegnet haben? Oder reicht eine Beziehung vielleicht sogar ins Unendliche hinein?

Ich bin jedenfalls überzeugt, dass die innige Beschäftigung sowohl mit dem Tod als auch mit dem Geld sehr lehrreich und sogar heilsam sein kann, nicht nur für einzelne, sondern für die ganze menschliche Kultur. Da bewegt einen unweigerlich die Frage, wer oder was stirbt, und wer oder was bleibt? Denn beides geschieht: etwas endet, und etwas geht weiter. Gerade das, was beim Tod eines Menschen offensichtlich weitergeht, liegt zumindest in der westlich geprägten Kultur im Argen: die Beziehung. Wir haben uns zu sehr auf die Einzelnen, auf die Wesen, konzentriert, dabei sind das doch diejenigen, die nach dem Tod dann _ver_wesen.

Und um noch mal auf das Geld zurück zu kommen: Geld soll ja auch ein Maßstab sein, der Wert misst. Aber messen lassen sich nur endliche, begrenzte Werte. Dazu zitiere ich aus einem meiner absoluten Lieblingscomics (Sandman), in denen Death als Frau personifiziert ist:

It always ends. That’s what gives it value.

Und der Wert eines Lebens lässt sich erst an dessen Ende wirklich (er)messen. Leben heisst, aus dem unendlichen Reich der Möglichkeiten beständig auswählen, sich Atemzug für Atemzug neu entscheiden und daraus ein endliches Gesamtwerk bauen. Da wir das in einer menschlichen Gesellschaft tun, ist Geld dazu ein Hilfsmittel, das mir zugleich dient und mich fordert und das immer über mich hinausweist als Ausdruck von Beziehung zu dem Größeren, das mich umfasst.