Evidenzbasierte Ernährung

In den letzten Wochen sind zwei Bücher über Ernährung in mein Leben getreten, die ich euch wärmstens ans Herz lege: zum einen Der Ernährungskompass von Bas Kast (das gibt es übrigens auch als Hörbuch), zum anderen Was die Seele essen will: Die Mood Cure von Julia Ross.

Es war vor allem aufschlussreich, beide parallel zu lesen, weil es viele Übereinstimmungen, aber auch manche deutliche Unterschiede zwischen den beiden gibt. Das liegt zum Teil vermutlich daran, dass sie unterschiedliches bezwecken: Bas Kast untersucht, was eine gesunde Ernährung ausmacht, mit der man möglichst gesund möglichst alt wird, während es Julia Ross um die Auswirkungen unserer Ernährung auf unsere Stimmungslage geht.

Der Titel spielt übrigens auf den Begriff Evidenzbasierte Medizin an, in dessen Dunstkreis sich ja beide AutorInnen bewegen.

Fangen wir mit Julia Ross an, weil ich ihr Buch auch zuerst entdeckt habe. Verkürzt gesagt bewirken unterschiedliche Arten von Mangelernährung, dass wir uns auf unterschiedliche Art schlecht fühlen, obwohl es dafür außer dem Nährstoffmangel keinen Anlass gibt. Sie schreibt in der Einleitung unter der Überschrift Sind Ihre Emotionen echt oder unecht?:

Ihr Gehirn ist für die meisten Ihrer Emotionen verantwortlich, sowohl für die echten als auch die unechten. Gemeinsam mit einigen Bereichen Ihres Herzens und des Magen-Darm-Trakts, die dem Gehirn überraschend ähnlich sind, überträgt es Ihre Gefühle mittels vier hochspezialisierter und leistungsfähiger Arten von Emotionsmolekülen. Wenn Ihr Gehirn viele dieser verschiedenen Moleküle aufweist, macht es Sie, angesichts der jeweiligen Lebensumstände, so glücklich, wie Sie nur sein können. Doch sollte die Anzahl dieser Emotionstransmitter in Ihrem Gehirn zu niedrig sein – ob nun aufgrund eines geringfügigen genetischen Defekts oder dadurch, dass das Gehirn sie durch übermäßige Stressbewältigung aufgebraucht hat oder aber weil Sie nicht die spezielle Nahrung zu sich nehmen, die das Gehirn braucht –, hört es auf, durchgängig normale Emotionen hervorzurufen. Stattdessen beginnt es falsche emotionale Töne zu treffen – wie bei einem verstimmten Klavier.

Sie unterscheidet dabei vier grundsätzliche Stimmungstypen, die sie im Fragebogen ab Seite 21 mit diesen Fragen charakterisiert:

  1. Befinden Sie sich unter einer dunklen Wolke?
  2. Fühlen Sie sich »bla«?
  3. Ist Stress Ihr Problem?
  4. Reagieren Sie zu empfindlich auf die Leiden des Lebens?

Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Aminosäuren, von denen einige direkt auch als Neurotransmitter agieren, während andere Aminosäuren Vorstufen von Hormonen und Neurotransmittern bilden.

Bei mir kam dabei deutlich Typ 3, also Stress, heraus, weshalb ich mir als Nahrungsergänzungsmittel zunächst GABA bestellt habe, ergänzend noch 5-HTP (bevor ihr das jetzt auch macht, lest unbedingt das Buch!). Dazu kommt als nächstes noch Vitamin B-Komplex, denn mehrere B-Vitamine sind sowohl an der Serotonin- als auch an der Cortisolherstellung im Körper beteiligt.

Serotonin ist dabei als “Gute Laune-Hormon” bekannt, es spielt darüber hinaus eine zentrale Rolle im gesamten Hormonhaushalt. Cortisol wiederum interessiert uns in diesem Zusammenhang vor allem als Stresshormon. Cortisol wird von der Nebenniere produziert. Steht man nun unter länger anhaltendem Stress, dann stresst das auch die Nebenniere, bis sie irgendwann schwächelt und nur noch (zu) wenig Cortisol herstellen kann. Das führt dann zu einem Gefühl allgemeiner Überforderung, das ich in letzter Zeit gut kenne. Aufschlussreiche Details zum Cortisolstoffwechsel habe ich auch beim Kompetenznetz Immunthyreopathien gefunden auf dessen Infoseite zu Nebennierenschwäche und Nebenniereninsuffizienz. Das PDF zum Cortisolmangel erklärt kurz & knackig, wie die Cortisolproduktion bei Stress im Körper geregelt wird:

Gesteuert wird die Ausschüttung des Cortisol über zwei Bereiche des Gehirns: Hypothalamus und Hypophyse, die wie Thermostate die Hormonproduktion regulieren. Der Hypothalamus entlässt bei Belastungen und in einer bestimmten Tagesrhythmik das CRH (Corticotropin-Releasing-Hormon). Dieses wiederum veranlasst die Hypophyse das ACTH (adrenocorticotropes Hormon) auszuschütten, das sich an Rezeptoren (Andockstellen) in den Nebennieren setzt und somit die Herstellung des Cortisol auslöst. Die erhöhte Cortisol-Produktion blockiert wiederum die Ausschüttung von CRH und ACTH, so dass die Cortisolherstellung wieder abnimmt. Diesen Mechanismus nennt man „negativen Rückkopplungseffekt“, über den auch andere Hormone unseres Körpers gesteuert werden

Kann nun die Nebenniere nicht mehr genug Cortisol produzieren, dann kommt die negative Rückkopplung nicht zustande, und der Organismus befindet sich im Dauerstress.

Übrigens, Stress ist nicht gleich Stress – es gibt natürlichen (den unser Organismus regelrecht erwartet aus evolutionärer Erfahrung heraus) und künstlichen Stress. Das beschreibt Illian Sagenschneider in seinem Artikel Kälte statt Kaffee…:

Zu den großen Problemen unserer Zeit gehört nämlich paradoxerweise zu viel an Stress auf der einen und zu wenig an Stress auf der anderen Seite. Die meisten Menschen haben sicherlich viel zu viel Stress. Das tut uns nicht gut, nervt und macht auf Dauer krank. Aber bei all dem Stress vergessen wir, dass es zwei sehr unterschiedliche Arten von Stress gibt: natürlichen und künstlichen. Jeden Morgen Stau auf der Autobahn, massiver Zeitdruck bei der Arbeit, Bürozeiten täglich von 8 bis 17 Uhr, Überstunden … hunderte fremde Menschen überall in den Straßen, Zügen, beim Einkauf – und auch diese sind alle leicht gestresst oder genervt. Das ist keine natürliche Situation! Das ist künstlicher, durch unsere Kultur geschaffener Stress. Mit dieser Art von Stress – der zumeist auch noch dauerhaft auf uns einwirkt – kann unser Körper nur schlecht umgehen. Die Evolution hat uns für so etwas nicht wirklich vorbereitet. Solche Faktoren machen krank.

Hingegen:

Ganz anders sieht es mit natürlichem Stress aus. Frieren ist ein solches Beispiel, Nahrungsmangel und kurze Fastenzeiten ebenso. Damit waren wir früher als Mensch häufiger konfrontiert. Aber genauso, wie wir kurze Hungerphasen aus unserem modernen Leben verbannt haben, vermeiden wir auch konsequent jegliche Form von Kälte, weil sie immer im ersten Moment (genauso wie Nahrungsmangel) unangenehm ist. Doch genau solche Impulse tun uns gut. Einfach mal einen Fastentag in den Alltag einbauen oder eben auch regelmäßig kalt duschen …

So viel erst mal zu Julia Ross und dem Aspekt, wie unsere Ernährung sich auf unsere Stimmung auswirkt. Zum Ernährungskompass gibt es sogar einen Trailer bei YouTube, in dem die Ausrichtung des Buches klar wird:

Das Buch von Bas Kast war für mich voller Aha-Erlebnisse, es liefert keine pauschalen Handlungsanweisungen, sondern erklärt die großen Zusammenhänge. Einer davon ist der Eiweiß-Effekt: Lebewesen (der Effekt wurde bei sehr vielen völlig unterschiedlichen Lebewesen beobachtet) haben einen spezifischen Bedarf an Eiweiß (Protein), den sie durch Essen decken. Je nach dem, wie eiweißhaltig die Nahrung ist, müssen sie mehr oder weniger essen, um auf den jeweiligen Bedarf zu kommen. Das erklärt, warum Low Carb-Diäten (jedenfalls kurzfristig) die Leute abnehmen lassen – wer weniger Kohlenhydrate isst, nimmt stattdessen mehr Eiweiß zu sich & ist dadurch schlicht früher satt. Die beiden Entdecker dieses Effekts haben ein Buch darüber geschrieben, The Nature of Nutrition.

Nächster Aha-Effekt aus dem Proteinbereich:

Im mittleren Lebensalter brauchen wir weniger Protein.

Warum das so ist:

Wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, wozu Proteine eigentlich gut sind, ergeben diese Befunde auch einen biologischen Sinn. Proteine dienen dem Aufbau des Körpers. Sie sind das Grundbaumaterial für Zellwachstum. Die Zellen unseres Körpers besitzen in ihrem Innern eigens Moleküle, die registrieren, ob die Zellen wachsen können oder nicht. Ein zentrales Steuermolekül in dieser Hinsicht nennt sich “mTOR” (mechanistic target of rapamycin). die mTOR-Moleküle lauern in unseren Zellen und beobachten, wie die Nahrungs- und Energiesituation gerade aussieht. Steht es gut um die Versorgung, kann mTOR der Zelle mit gutem Gewissen das Signal zum Wachsen geben. Unsere Zellen können also jetzt größer und dicker werden und sich teilen, das heisst sich vermehren. Auf diese Weise wächst Gewebe, zum Beispiel Muskelgewebe.

mTOR wird in erster Linie von Proteinen wach gerüttelt. Ohne Proteine keine mTOR-Tätigkeit. Proteine sind somit das entscheidende Wachstumssignal für unsere Zellen, was insofern nicht allzu überraschend ist, als unsere Zellen letztlich überwiegend aus eben Protein bestehen. […]

Wenn wir uns als Kinder entwickeln, ist ein stetes Gewebewachstum natürlich wünschenswert. Irgendwann aber hat es sich weitgehend “ausentwickelt”. Ein gewisses Maß an Wachstum brauchen wir zwar auch als Erwachsene noch, schon allein, um verbrauchte Zellen, wie Hautzellen und anderes Gewebe und Material, zu ersetzen. Wir brauchen es aber nicht mehr so stark wie in unserer Jugend. Wer jetzt mit großer Begeisterung Proteine vertilgt und mTOR auf Hochtouren bringt, regt seinen Körper zu ständig weiterem Wachstum an, obwohl unsere Körperzellen lieber eine etwas ruhigere Kugel schieben würden. Angefeuert von all dem Eiweiß und mTOR, baut und baut die Zelle, obwohl diese Bauwut in keinem Verhältnis zum Bedarf steht. Die Bauprodukte, die ihrerseits größtenteils aus Protein bestehen, sammeln sich an (statt auch mal abgebaut zu werden), sie “verklumpen” und zerstören die Zellen, zum Beispiel Gehirnzellen, wie bei der Alzheimer-Krankheit. Wenn man so will, könnte man sagen, dass das Wachstum in Zellalterung umschlägt.

Viel hilft an dieser Stelle also gerade nicht viel, sondern es schadet.

Interessanterweise ist das ein Hauptpunkt, in dem Julia Ross anderer Meinung ist, sie empfiehlt nämlich viel, & dabei auch noch gerne tierisches, Eiweiß. Das tut sie deshalb, weil in Fleisch insgesamt mehr Proteine enthalten sind als in Pflanzen, und weil Tryptophan als Vorstufe von Serotonin in Pflanzen so gut wie nicht vorkommt.

Aha-Erlebnis Nummer 3 bei Bas Kast liefert eine mögliche Erklärung für diese Diskrepanz der beiden:

Wenn man einem Tier, sagen wir einer Fliege oder einer Ratte, die freie Wahl zwischen verschiedenen “Diäten” gibt, die in ihrem Anteil an Protein und Kohlenhydraten variieren, dann wählt das Tier nicht jene Futterzusammensetzung, mit der es am längsten lebt, sondern jene, die seinen Fortpflanzungserfolg maximiert. Mit anderen Worten: Das Tier wählt eine Ernährungsweise, die die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es möglichst viele Nachkommen hinterlässt.

Das wiederum heisst aber, es ergibt aus Sicht der Evolution mächtig Sinn, dass wir uns genau dann besonders gut fühlen, wenn wir uns so ernähren, dass wir möglichst viele Nachkommen hinterlassen. Was mit uns passiert, wenn die Kinder aus dem Haus oder spätestens wenn die ersten Enkel da sind, ist für die Evolution einfach nicht mehr relevant. Kulturelle Evolution ist dabei allerdings nicht mitgedacht, die wirbelt das Ganze gehörig durcheinander.

Bei Fisch sind die beiden sich wieder einig, dass man da gerne regelmäßig von essen sollte. Einer von mehreren Gründen dafür sind die Omega-3-Fettsäuren, ein regelrechtes Wundermittel. Bei den Omega-6-Fettsäuren driften die beiden wieder auseinander, Julia Ross verdammt diese regelrecht in Grund & Boden bzw. bezeichnet sie als “Schlechte-Laune-Fett”, während Bas Kast sie fast genau so lobt wie Omega-3. Illian Sagenschneider nimmt eine mittlere Position ein:

Ein Zuviel an Omega-6-Fetten hemmt gleichzeitig die Omega-3-Aufnahme. Und auch wenn Omega-6 ebenfalls sehr wichtig in unserer „Komposition“ ist, sollte es nicht im Übermaß konsumiert werden. Man sagt, das Verhältnis sollte vier zu eins betragen, andere Autoren tendieren sogar zu zwei zu eins. Sonnenblumenöl ist in diesem Sinne ein Problemfall. Es hat ein Omega-6-zu-Omega-3-Verhältnis von 120 zu 1! Täglich verwendet sabotiert es so jeden Versuch, sich gute Biomembranen aufzubauen.

Es kommt also mal wieder auf das richtige Verhältnis an, oder, wie Mai Thi Nguyen-Kim es ausdrückt: Nichts an Ernährung ist einfach!

Das Buch von Bas Kast ist in drei Hauptabschnitte unterteilt, nach dem ersten über Proteine kommt in der Mitte Teil 2 über Kohlenhydrate, zum Schluss dann die Fette. Im Intermezzo nach den Proteinen bekommt ihr einen Eindruck, dass er teilweise echt witzig schreibt:

Die Proteine machen meist nur ungefähr 15 Prozent unserer Kalorienaufnahme aus, womit unser Teller rein rechnerisch immer noch zu 85 Prozent leer ist. Womit sollen wir diesen verbleibenden Teil ausfüllen? Von welchem Hauptnährstoff sollte der Rest kommen? Von den Kohlenhydraten oder den Fetten? Welcher dieser beiden Hauptnährstoffe ist gesünder?

Es klingt nach einer einfachen, harmlosen Frage, doch wer sie stellt, kann sich auf etwas gefasst machen. Es ist, als würde man in den Amazonas springen, in dem sich Massen unterernährter Piranhas tummeln. Es gibt keine Frage, an der sich die Geister auf so aggressive Weise scheiden, und je nachdem, wie man sie beantwortet, landet man früher oder später in einem von zwei zutiefst verfeindeten Lagern.

Spoiler: Er schlägt sich im Buch auf keine der beiden verfeindeten Seiten, sondern er differenziert zwischen unterschiedlichen Menschen wie auch unterschiedlichen kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln. Wir erinnern uns: Nichts an Ernährung ist einfach!

Wenn man verschiedene Diäten (Atkins, Zone, Low-Fat-Ansätze etc.) testet, sieht man, dass der Erfolg einer bestimmten Diät eine hochgradig individuelle Angelegenheit ist. Egal welche Diät man prüft: Es gibt stets eine Reihe von Testpersonen, die damit erfolgreich abnehmen. Sie verlieren 10, 20 oder bis zu 30 Kilo innerhalb eines Jahres, in Ausnahmefällen, Beispiel Skaldeman, sogar noch weitaus mehr. Ihr Körper springt erstaunlich gut auf die neue Kost an – als wäre sie für sie geschaffen. Bei anderen bewirkt die gleiche Diät überhaupt nichts, schlimmer noch: Manche nehmen auf Diät sogar zu!

Das Aha-Erlebnis Nummer 4 hatte ich im Zucker-Kapitel: Dass zu viel Fructose zu einer verfetteten Leber führen kann, wusste ich schon. Hier erschloss sich mir nun auch, welchen evolutionären Sinn das hat. Lewis Cantley sagt dazu:

Früchte werden am Ende der Wachstumssaison reif, was im Allgemeinen, in fast jedem Lebensraum heisst, dass Sie in den nächsten Monaten nicht viel zu essen haben werden. Um zu überleben, ist es am besten, alles, was Sie zu diesem Zeitpunkt essen, in Fett zu verwandeln. […] Das ist der Grund dafür, weshalb Fruktose vor 10000 Jahren so spektakulär für uns war. Sie half uns, diese jährlich wiederkehrenden Hungersnöte zu überstehen. Heute gibt es [bei uns] keine Hungersnöte mehr, und also werden wir einfach nur fett.

Und es geht noch weiter (hier schreibt wieder Bas Kast selber):

Eine Hypothese lautet: Wenn ein Tier oder auch der Mensch eine gewisse kritische Menge Fruktose verschlingt, dann wird diese Fruktose nicht nur in Fett verwandelt – nein, vielmehr kündigt der Fruktose-Ansturm dem Körper darüber hinaus wie eine Art Warnglocke an, dass der Winter bevorsteht. Was also tut der Körper, sobald die Fruktose-Glocke schrillt? Er schaltet in den ultimativen Sparmodus: Was auch immer wir jetzt essen, es wird bevorzugt auf die hohe Kante gelegt, in Form von Fett. Fruktose betätigt so gewissermaßen einen “Fettschalter” in uns und aktiviert ein archaisches Energiespeicherprogramm. Das also blüht uns, wenn wir täglich ordentlich Cola oder Fruchtsäfte runterspülen.

An diese Stelle passt der Hinweis, dass Agavendicksaft eine denkbar schlechte Alternative zu Industriezucker ist, weil er zum größten Teil aus Fruktose besteht. Weiter zu den fatalen Wirkungen des (Industrie-) Zuckers:

Die Tatsache, dass Fruktose – die eine Hälfte des Zuckers – nahezu exklusiv von unserer Leber verarbeitet wird, hat nämlich folgende akute Konsequenz: Obwohl es sich bei einer Cola und anderen Süßigkeiten um hochgradig energiereiche “Nahrungsmittel” handelt, kommt die Hälfte der Energie gar nicht bei jener Kommandozentrale namens Gehirn an. Sie fehlt, weil sie von der Leber abgefangen und in Fett umgesetzt wird. Kein Wunder, dass das Gehirn daraufhin die Botschaft sendet: Du kannst ruhig noch einen Schluck trinken oder weitersnacken, denn mir fehlt es immer noch an Glukose! Um das Gehirn zu sättigen und zufriedenzustellen, braucht man also im Vergleich zu üblicher Stärke beziehungsweise reiner Glukose die doppelte Menge Zucker.

In dem Punkt ist er sich mit Julia Ross völlig einig.

Diskrepanzen gibt es zwischen den beiden wieder beim Getreide, wobei ich bei Julia Ross auch erfahren habe, dass der Weizen in den USA gezielt auf hohen Glutengehalt gezüchtet wurde. Dort ist die Sorge vor Glutenunverträglichkeit daher offenbar berechtigter als bei uns.

Auch Soja findet Bas Kast gut (weil es eine Hülsenfrucht ist), Julia Ross hingegen überhaupt nicht:

Soja enthält eine ungewöhnliche Art von Protein, welches, obwohl reich an den meisten Aminosäuren, so schwer zu verdauen ist (ausser vielleicht im Fall von gegorenem Tempeh oder Miso), dass seine einzelnen gemütsschützenden Aminosäuren nicht leicht aufgenommen werden. Dieses Protein kann auch den Verdauungstrakt schädigen, was zu einer generell gestörten Verdauung und einer dadurch noch stärker verminderten Proteinaufnahme führen kann.

Ein Grund dafür dürfte der hohe Gehalt an Phytat im Soja sein – was leider auch für die von mir geliebten Erdnüsse gilt. Die Menschen in Okinawa hält das jedoch nicht davon ab, besonders alt zu werdenNichts an Ernährung ist einfach!

Auch beim Kaffee scheiden sich die Geister. Julia Ross lehnt ihn ab, weil er (bzw. das Koffein) den natürlichen Neurotransmittern in die Quere kommt, Bas Kast lobt ihn – allerdings speziell den Filterkaffee:

Auch dies hängt mit den im Kaffee enthaltenen bioaktiven Stoffen zusammen. Zu diesen Stoffen gehören zwei ölige, fettähnliche Substanzen namens Cafestol und Kahweol. Cafestol und Kahweol erhöhen sowohl das “böse” LDL-Cholesterin als auch die Blutfette in Form von Triglyzeriden – beides Risikofaktoren für einen Herzinfarkt. Insofern ist nicht jeder Kaffee gut fürs Herz. Im feinen Papierfilter bleiben diese “Fettmoleküle” weitgehend hängen, sodass Filterkaffee nur noch wenig Cafestol und Kahweol enthält.

Vom Olivenöl sind wiederum beide gleichermaßen begeistert. Gemäß der mediterranen Ernährung sollten es sogar mindestens 4 Esslöffel pro Tag sein!

Gesättigte Fettsäuren beurteilt Julia Ross viel positiver als Bas Kast, der sie immerhin neutral bewertet. Sie geht so weit, dass sie diese als “gesunde Fettsäuren” (“Ges”) bezeichnet. Dafür zitiert sie verschiedene Studien und weist darauf hin:

Viele Völker auf der ganzen Welt haben jede Menge dieser vollfetten Nahrungsmittel zu sich genommen, und es ging ihnen dabei sowohl physisch als auch emotional sehr gut. Bei uns [in den USA] war es genauso, bis 1910. Im Jahr 1909 aßen die Amerikaner rund zwölf Kilogramm gesättigte Fette pro Jahr und vier Kilo Omega-6-Fettsäuren (zusätzlich zu dem, was in Eiern, Fleisch usw. enthalten war). 1998 aßen wir weniger als vier Kilo gesättigte Fette und 30 Kilo Omega-6-Fettsäuren! Ges sind nicht unser Problem. Die vielen Omega-6-Fettsäuren – Margarine und Pflanzenöle – sind es (was ich hoffentlich schon in Kapitel 7 deutlich gemacht habe).

Butter lobt sie ganz besonders:

Butter ist mit ihren zehn Vitaminen, zehn Mineralstoffen, 18 Aminosäuren und elf verschiedenen Fettarten so reich an Nährstoffen, dass man gar nicht weiss, wo man anfangen soll. […] Dann gibt es da noch das in Butter enthaltene Butyrat, das am schnellsten verbrennende Fett. Diese ganz besondere Fettsäure wird in hohem Maße in Ihrem Gehirn genutzt. Zum einen dient es als Grundlage zur Bildung von GABA, Ihrem natürlichen Valium (GABA steht für Gamma-Aminobuttersäure, englich gamma-aminobutyric acid). Zum anderen kann es Sie vor Darmkrebs schützen und wird zu genau diesem Zweck als Medikament gegen Darmprobleme eingesetzt, aus denen sich Krebs entwickeln kann.

Helge, das ist dein Einsatz!

Das nächste Aha-Erlebnis bei Bas Kast hatte ich in Kapitel 12 “Das Timing von Essen und die wirkungsvollste Art des Fastens”, aber das verrate ich hier jetzt nicht. Es steht im Buch! ;-)

Als Appetitanreger (sic!) zum Ernährungskompass empfehle ich das Interview von Tilo Jung mit Bas Kast. Für Julia Ross gibt es die Leseprobe beim Verlag, der das Buch auf Deutsch allerdings nicht mehr liefern kann (oder will – eine Neuauflage fänd ich gut).

Im Zusammenspiel der beiden Bücher wurde mir klar, warum mein kalter Zuckerentzug so nicht funktionieren konnte, es fehlten die flankierenden Maßnahmen wie Aminosäuren & Co. und generell sinnvoller Ersatz für den Süßkram.

Weil ich es genau wissen will, habe ich mir angeregt durch Julia Ross einen Labortest Stressprofil Plus und angeregt durch Bas Kast ein Blutzuckermessgerät bestellt. Ich halte euch auf dem Laufenden, was dabei herauskommt. Evidenzbasierte Ernährung ftw!

Übrigens kann ich an dieser Stelle auch mal erwähnen, dass ich Anfang des Jahres bei der NAKO-Gesundheitsstudie mitgemacht habe bzw. immer noch mitmache, denn die läuft über mehrere Jahrzehnte. Auf die Art bin ich das erste Mal in meinem Leben in ein MRT gekommen. Auch mein erstes kleines Blutbild habe ich der Studie zu verdanken. Da war jeweils alles im grünen Bereich. :-)

Nachtrag: Ich vergaß zu erwähnen, dass das mit dem Getreide auch eine historisch-politische Dimension hat.

Weiterer Nachtrag: Was den Dauerstress angeht, erinnere ich an das, was Harald Welzer über Arbeit im Kapitalismus sagt:

Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Künstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifischen Gegenstands oder Werkes. Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafür entgolten – fand also ihren Zweck im finalen Produkt, das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftrag­nehmer. In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks, sondern um ein System, in dem unablässig gearbeitet wird, um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren – also von investivem Kapitel, dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produkt­palette gesteckt wird, um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszu­schieben. Nichts ist jemals fertig, die Arbeit hört niemals auf.

und auch an das, was Fabian Scheidler über die Megamaschine als großen Traumatisierer schreibt:

Der moderne Fortschrittskult ist eine Variante der daraus folgenden apokalyptischen Grundverfassung. Wem ständig der Boden unter den Füßen weggezogen wird, der kann nur rennen, um neuen festen Grund zu erreichen. In der Flucht aus der Gegenwart setzt das ein, was wir Geschichte nennen: die Herrschaft eines unentrinnbaren eindimensionalen Zeitpfeils, der uns vorantreibt, weg von den schlimmen Vergangenheiten, hinein in eine Zukunft, in der wir dem eigenen Sturz zuvorkommen wollen durch permanente Überholung, Modernisierung, Spurenvertilgung, durch einen Krieg gegen die Zeit, der nie zu gewinnen ist, weil das, was wir als einen äußeren Feind bekämpfen, durch unsere eigene Bewegung – die Bewegung des Kampfes – überhaupt erst erzeugt wird.

Und noch ein Nachtrag: Die englischsprachige Wikipedia, sagt, für ein Krankheitsbild Adrenal Fatigue (=Nebennierenschwäche) gibt es keine klinischen Belege.

Nachtrag vom 26.06.: Ich bin darauf reingefallen, dass der Link bei Klett-Cotta von der alten zur aktuellen Auflage nicht funktioniert – das Buch Was die Seele essen will. Die Mood-Cure von Julia Ross ist nämlich lieferbar in der überarbeiteten und aktualisierten Neuausgabe von 2019.

Nachtrag vom 26.08.: Zu viel Protein kann das Leben verkürzen.