Wie die Kriegsenkelgruppe Leipzig/Halle gelungen ist

Am Donnerstag hat sich das erste Mal die von mir gegründete Kriegsenkelgruppe in Leipzig ohne mich getroffen. Wie mir zu Ohren kam, waren acht Personen beim Treffen dabei. Ich selber konnte derweil das erste Mal hier in Berlin zum ShaDo, dem Schamanischen Donnerstag, gehen.

Als Synchronizität erreichte mich just am Donnerstag auch eine Mail von der WASt, dass die Auskunft zu meinem einen Großvater an meine alte Leipziger Adresse unzustellbar zurückgekommen ist. Nun erwarte ich mit Spannung Post.

Schon am 19.12.2016 hatte ich einen Text darüber geschrieben, wie die Kriegsenkelgruppe Leipzig/Halle gelungen ist. Es war auch ein Projekt im Rahmen meiner Ausbildung in Prozessorientierter Psychologie, das nun abgeschlossen ist. Für mich ist es eine neue Erfahrung, etwas aufzubauen und dann in die Welt zu entlassen, während ich mich selber ganz davon zurückziehe.

Den Kontakt zur Gruppe findet ihr unter www.kriegsenkel-le.de.

Wer es eilig hat, kann direkt zum Fazit springen, für alle anderen geht es hier weiter:

Wie die Kriegsenkelgruppe Leipzig/Halle gelungen ist

Nach nunmehr anderthalb Jahren habe ich im Dezember 2016 die Leitung der Kriegsenkelgruppe Leipzig/Halle abgegeben, nachdem ich das Ganze ab Februar schon von Berlin aus organisiert hatte. Da geht für mich eine Ära zu Ende, bei der Gruppe bin ich zuversichtlich, dass sie nun auch ohne mein Zutun weiterläuft. Es war aber echt ein Weg, bis ich das jetzt sagen kann. Es hat durchaus Krisen gegeben, wo ich mir da überhaupt nicht sicher war. Das ging nur, weil viele andere mitgewirkt haben. Dennoch empfinde ich mich als so etwas wie den Kristallisationspunkt der Gruppe. Nachdem es anfangs ungewiss war, ob sich wirklich eine stabile Gruppe entwickeln würde, ist dies nun geschehen.

Gründungsimpuls

Ich fange mal an mit dem ursprünglichen Impuls, diese Gruppe zu gründen. Das entstand seinerzeit in der Facebook-Gruppe Kriegsenkel, in die ich gekommen war, nachdem ich selber auf das Thema gestoßen war; wie so viele durch die Bücher von Sabine Bode. Dann hatte ich mich in besagter Facebook-Gruppe mit den vielen Leuten, die auch 2014 da schon drin waren, über vieles ausgetauscht, und dann aber gemerkt, auf Dauer fehlt mir da was, nur so virtuell sich Textbotschaften hin- und her zu schicken. Ich habe dann einen Aufruf gestartet, ob es denn nicht andere Leute in der Facebook-Gruppe gibt, die auch aus Leipzig und Umgebung kommen, und dass ich selber einfach Lust habe, mich mit Leuten mal persönlich zu treffen. Da war noch gar nicht eine regelmäßige Gruppe die Idee, sondern überhaupt mal ein persönliches Treffen. Es entstand aber bald die Idee, sich auch regelmäßig zu treffen. Weil sich auch zwei Hallenserinnen darauf gemeldet hatten, kündigte ich die Gruppe von vornherein als „Kriegsenkelgruppe Leipzig/Halle“ an und nicht nur als reine Leipziger Kriegsenkelgruppe. (Für alle Ortsfremden: Leipzig und Halle liegen etwa eine Dreiviertelstunde mit dem Auto auseinander.)

Dann ergab es sich, dass auf der Leipziger Buchmesse 2015 gerade das Buch „Nebelkinder“ vorgestellt wurde, das zur Buchmesse erschienen ist. Es fand eine Lesung statt mit mehreren Autorinnen und den beiden Herausgebern (Joachim Süß und Michael Schneider), die auch Vorstände des Kriegsenkel e.V. sind. Michael Schneider erklärte sich bereit, Anfragen von InteressentInnen in Leipzig und Halle an mich weiterzuleiten. Auf der Webseite www.kriegsenkel.de war ich bis Dezember 2016 als Ansprechpartner für die Leipziger Gruppe angegeben. Bei dieser Lesung habe ich das erste Mal öffentlich bekannt gegeben, dass ich vorhabe, so eine Gruppe zu gründen. Eine der bis heute regelmäßigen Teilnehmerinnen, die sich auch schon bei Facebook gemeldet hatte, habe ich dort das erste Mal getroffen. Und eine der Autorinnen des Buches lebt in Halle, sie habe ich damals gleich in meine E-Mail-Liste aufgenommen.

Erste Treffen

Das war im März, und dann hat es doch noch bis zum Juni 2015 gedauert, bis das erste Treffen der Gruppe stattfand. Das haben wir seinerzeit in einem Café gemacht, wir waren immerhin sechs Leute, die sich größtenteils über Facebook gefunden hatten. Wir fingen gleich beim ersten Treffen an, nach anderen Räumlichkeiten zu suchen, weil sich ein öffentliches Café nicht gut eignet für eine Gruppe, in der es doch auch um intime Themen geht. Später im Jahr ergab es sich dann, dass wir uns in den Praxisräumen eines befreundeten Therapeuten treffen konnten. Die ersten Male haben wir die Termine, weil es nur so wenige InteressentInnen überhaupt waren, per Doodle festgelegt, damit von den wenigen möglichst viele jeweils kommen konnten.

In der Zwischenzeit war ich mit einer anderen aus der Gruppe auch mal in Berlin beim dortigen Gesprächscafé und haben uns da inspirieren lassen. Beim zweiten Treffen haben wir gleich schon über die Struktur der Gruppe gesprochen: wie soll das so stattfinden, soll es eine Moderation geben oder nicht (wir haben gesagt Ja), usw. Ich fand es bemerkenswert, dieser Impuls kam gar nicht so sehr von mir, sondern von anderen aus der Gruppe, sich darüber schon mal klar zu werden, gleich beim zweiten Treffen. Es wurde dazu sogar ein Protokoll angefertigt. Es kam da auch schon zur Sprache, wie weit das Anliegen unserer Gruppe reichen soll. Die vier Anwesenden waren sich alle einig, wir wollen jetzt nicht nur im eigenen Saft schmoren und uns gegenseitig unser Leid klagen, sondern auch gucken, was machen wir denn jetzt hier und heute mit unserem Erbe, Kriegsenkel zu sein? Zu der Zeit ging es ja gerade frisch los mit den Flüchtlingen, die nach Deutschland kamen, Pegida, AfD, das waren aktuelle Themen, wo wir auch einen Zusammenhang mit dem unverarbeiteten Trauma des Krieges sehen. Deshalb haben wir schon bei diesem zweiten Treffen gesagt, wir wollen perspektivisch auch in die Gesellschaft hinein wirken als Kriegsenkelgruppe.

Krise

Den Sommer über ging es weiter mit Treffen, die wir jeweils per Doodle organisierten. Im August kam das Treffen gar nicht zustande. Im November waren wir sogar nur zu dritt, und da habe ich schon eine Krise gekriegt: es werden ja immer weniger, löst sich die Gruppe wieder auf, bevor sie sich überhaupt so richtig gebildet hat?

Jetzt erst recht!

Mit den Anwesenden haben wir aber beschlossen, dass wir mehr Werbung machen und die Gruppe über verschiedene Kanäle noch bekannter machen wollen; z.B. über eine regelmäßige Kleinanzeige im Leipziger Stadtmagazin. Wir legten auch einen regelmäßigen Termin fest, der sich leicht weitergeben lässt. Es hat sich danach noch etwas ergeben, ich hatte wegen einer regelmäßigen Terminanzeige beim regionalen Esoterik-Magazin „einfach JA“ angefragt, und dann kam von der Herausgeberin zurück, dass für die Ausgabe April/Mai 2016 genau unser Thema als Titelthema („Alles will gesehen und gewürdigt werden. Über die subtilen Wunden von Krieg und 3. Reich und deren Heilung“) geplant ist und ob wir denn nicht einen Artikel schreiben wollen. Da haben wir natürlich Ja gesagt und das Treffen im Januar diesem Artikel gewidmet. Da haben wir darüber gesprochen, was wir den Leuten erzählen wollen, was hier passiert, worum es hier geht. Eine Teilnehmerin hat das zusammengetragen und dann als Artikel verfasst. Dazu hat auch noch einer aus der Gruppe einen persönlichen Artikel drin gehabt, wo er darüber schreibt, wie er die Kriegsvergangenheit seiner Familie musikalisch verarbeitet. So standen also gleich zwei Artikel im Zusammenhang mit der Gruppe in dieser Zeitschrift. Das hat schon viel bewirkt, es haben sich im Laufe des nächsten Jahres ab dem Erscheinen im April einige Menschen gemeldet und sind zur Gruppe gestoßen.

Noch mal ein Sprung zurück in den Herbst 2015: Ich selber habe in dieser Krisenzeit das Buch „Kriebserbe in der Seele – Was Kindern und Enkeln der Kriegsgeneration wirklich hilft“ von Udo Baer und Gabriele Frick-Baer gelesen und finde es ziemlich gut, weil es praktische Tipps gibt, wie Kriegsenkel mit diesem Erbe gut umgehen können. Deshalb habe ich mich daran gemacht, eine Lesung aus diesem Buch in Leipzig zu organisieren. Die Autoren sind immer fleißig dabei und reisen herum, um Lesungen zu halten, um das Thema voranzubringen. Die Lesung hat schließlich auch stattgefunden am 5. April 2016, gut 40 Leute kamen in die Buchhandlung, wo zwei Jahre zuvor auch schon Sabine Bode gelesen hatte. Das hat auch noch mal viele Menschen auf die Existenz der Gruppe aufmerksam gemacht.

Im Februar bin ich von Leipzig nach Berlin gezogen, habe aber gleich angesagt, dass ich das Jahr 2016 über auch von Berlin aus die Gruppentreffen organisieren werde. So konnte ich für Kontinuität sorgen, gleichzeitig war allen Beteiligten bewusst, dass bis zum Jahresende neue Zuständigkeiten gefunden werden müssen. Durch die lange Vorlaufzeit hat das gut geklappt.

Beim Treffen im März war eine neue Teilnehmerin aus Halle da, die gleich anbot, uns auch mal bei ihr zuhause in Halle zu empfangen. Das taten wir dann im Mai, denn im April fanden wir es kurz nach der Lesung und mit der gerade erschienenen Zeitschrift mit unserem Artikel sinnvoller, uns erst mal wie gewohnt in Leipzig zu treffen. In Halle waren wir insgesamt zu acht, neben der Gastgeberin waren zwei weitere Hallenserinnen das erste Mal dabei.

Der bisherige Teilnehmerrekord bei einem Treffen war im Juni, da waren wir zu zehnt, davon sechs neue. Eine der Neuen lenkte mehrere Male das Gespräch dahin, wie es uns gerade Anwesenden heute mit unserem Erbe der Kriegsvergangenheit geht und wie uns damit ein gutes Leben gelingen kann. Die verschiedenen Werbemaßnahmen hatten offenbar gegriffen, ich konnte mich entspannen.

Bei einer Lesung von Sabine Bode Anfang September in Leipzig haben sich noch mal 7 Personen in die E-Mail-Liste eingetragen, die Stand 19.12.2016 45 Leute umfasst.

Beim Treffen im Oktober haben wir auf meine Initiative hin die meisten meiner Aufgaben innerhalb der Gruppe verteilt, so dass ich im Dezember guten Gewissens den Staffelstab weitergeben konnte.

Im November war ein Journalist der evangelischen Kirchenzeitung „Der Sonntag“ beim Treffen, der einen wirklich tollen Artikel darüber verfasst hat.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann ich sagen, dass folgende Faktoren vor allem zum Gelingen der Gruppe beigetragen habe:

  • mindestens eine Person, die sich voll reinhängt und sich von Rückschlägen nicht entmutigen lässt
  • Kontakte zu Leuten aus der „Szene“ (Kriegsenkel e.V., AutorInnen einschlägiger Bücher)
  • an die Öffentlichkeit gehen, sich an Medien wenden
  • die Facebook-Gruppe war eine gute Ausgangsgrundlage Inwieweit der Wille, auch nach außen wirksam zu werden, zum Gelingen der Gruppe beigetragen hat, kann ich nicht einschätzen. Ich habe ihn jedenfalls immer wieder als kraftvoll erlebt.

Teilnehmerstimmen

Zum Abschluss noch ein paar Stimmen von TeilnehmerInnen:

„Ich bin auf die Gruppe aufmerksam geworden bei meinen Recherchen zum Thema Kriegsenkel. So ganz genau kann ich nicht sagen was mich dazu inspiriert hat. Es spielen einige Faktoren zusammen. Zum einen die Familiengeschichte vor allem meiner Mutter, diese Suche, die mich in den Weiten des Internets irgendwann auf den Begriff Kriegsenkel aufmerksam machte. Da wurde mir erst mal bewusst, dass ich nicht allein damit bin. Der e.V. war mir schon untergekommen, aber ich hab erst in diesem Jahr noch mal genauer nachgesehen und festgestellt, dass es in Leipzig diese Gruppe gibt. Was genau mich veranlasst hat, mich an Dich zu wenden kann ich nicht sagen. Neugier? Interesse? Ich finde es spannend, die Lebensgeschichten so unterschiedlicher Menschen zu hören und oft genug verblüffende Ähnlichkeiten im Erleben oder im Fühlen zu erfahren. Was veranlasst mich, dabei zu bleiben? Die Brisanz des Themas. Ich habe auch in meiner Arbeit festgestellt, dass noch viel zu wenig darüber nachgedacht wird, woher bestimmte Verhaltensweisen kommen. Meine Klienten sind oft überrascht wenn ich sie frage, was ihre Eltern im Krieg erlebt haben, woher sie kommen usw. Die Verstrickungen in der Familie sind mir bereits beim Familienstellen sehr deutlich begegnet. Umso mehr weiß ich, wie wichtig es ist, sie zu (er)lösen.Damit wir sie nicht weitergeben an die nächste Generation. Es darf auch vorbei sein. Und wir brauchen nichts zu tragen was nicht zu uns gehört. Zum dabei bleiben gehört auch die angenehme Atmosphäre, die herzliche Aufnahme in die Gruppe und die interessante Mischung.“

„Ich erinnere mich gar nicht mehr genau wie das anfing: Ich erinnere nur, dass wir am Anfang beide an dem Thema dran waren. Ich selber war mit dem Thema schon schwanger und wurde durch die Sabine Bode Lesung im Mai 2015 zusätzlich infiziert. Die bisherigen Treffen, an denen ich teilnehmen konnte, waren für mich eine sehr wichtige Bereicherung, besonders der persönliche Austausch und der innere und äußere Raum, mich mit Leuten auszutauschen, die ähnlich wie ich, sensibel für die Spätfolgen der NS-Zeit sind. Besonders wertschätzen möchte ich dabei auch das „Nicht-Werten“ und die gute Atmosphäre in der Gruppe.“

„was mich zur Gruppe gebracht hat: Ein Hinweis meiner Schwägerin und dann eine schnelle Suche im Internet. Was mich hält: Das Gefühl, dass auch für andere dort aufgrund der familiären Situation der Zweite Weltkrieg nicht einfach „lang her“ ist.“