Monogamie, Lohnarbeit und Schulpflicht auf den Komposthaufen der Geschichte

Zum Geburtstag hatte ich das Büchlein Lob der offenen Beziehung von Oliver Schott geschenkt bekommen. Nun war es so weit, ich habe es in einem Rutsch durchgelesen. Es war in dem Sinne nichts Neues für mich, als ich schon immer davon ausgegangen war, dass man natürlich mehr als einen Menschen (gleichzeitig) lieben kann. Oliver Schott führt einem auf 100 Seiten A6 allerdings sehr drastisch vor Augen, wie unsinnig die Argumente für Monogamie allesamt sind.

In der Jungle World gab es im Jahr 2007 einen umfangreichen Diskurs zum Thema, den ich bisher noch nicht gelesen habe:

  1. Dem Leben Schönes schenken
  2. Die Beziehungsweise
  3. Effizienz macht hässlich
  4. Monogamie ist keine Lösung
  5. Dialektik der Treue
  6. Experimental Sex
  7. Liebe ohne Staat und Herrschaft

Was hat das Ganze nun aber mit Lohnarbeit und Schulpflicht zu tun? Ganz einfach: Die Monogamie als exklusive Zweierbeziehung gibt es zwar schon sehr lange, in der besonderen Form der Liebesehe bzw. dem romantischen Liebesideal allerdings erst seit etwa 200 Jahren. Nun ist das aber genau auch die Zeit, in der das heutige Lohnarbeitssystem entstand. Und im Zuge dessen kam das heutige Schulsystem mit der allgemeinen Schulpflicht auf.

Alle diese Konzepte sind längst an ihre Grenzen gestoßen und sollten schleunigst auf dem Komposthaufen der Geschichte landen, damit daraus etwas den heutigen Gegebenheiten angemessenes wachsen kann.

Schon die monogame Liebesehe ist eine “paradoxe Institution”, wie Oliver Schott schreibt:

Sie verspricht Stabilität, Sicherheit und Gemeinschaft bis zum Tode. Aber die Ehe selbst konnte dies natürlich nur so lange garantieren, wie sie eine Zwangsgemeinschaft war. Soweit die Ehe aber auf Freiwilligkeit beruht, kann sie nicht mehr sein als eine Absichtserklärung der Eheleute und somit auch nicht stabiler als diese Absichten. Die Institution der Ehe kann daher nicht länger den Eheleuten eine Lebensform vorgeben, in welche sie sich wohl oder übel zu fügen haben, sondern die Eheleute müssen ihre Ehe selbst gestalten und aufrechterhalten. Die Paradoxie der Ehe liegt also darin, dass sie ihres traditionellen Zwangscharakters entkleidet ist, aber noch immer um einer Sicherheit willen begehrt wird, die sie in Wahrheit nur durch ihren Zwangscharakter garantieren konnte.

Dieses Problem, dass Menschen in der Ehe (und nichtehelichen monogamen Paarbeziehungen) eine Sicherheit bzw. Verbindlichkeit suchen, die sie dort meist nicht finden, stellt Antje Schrupp in ihrer Rezension des Buches in den Mittelpunkt.

Monogamie, Lohnarbeit und Schulpflicht sind allesamt Institutionen bzw. Konzepte, die uns Menschen in der heutigen Zeit nicht mehr dienen.

Im Falle der Monogamie plädiert Oliver Schott drum für offene Beziehungen (die Polyamorie sieht er insofern kritisch, als es zumindest Tendenzen gibt, die sexuelle und emotionale Exklusivität lediglich auf “Liebesgruppen” von mehreren Personen auszudehnen, ohne dabei die Exklusivität an sich aufzugeben):

Diese Forderung, sich zwischen zwei potentiellen Geliebten zu entscheiden, gilt allgemein als so selbstverständlich, dass fast nie darüber nachgedacht wird, was sie eigentlich besagt. Dabei wird hier die Fragwürdigkeit der Monogamie so offensichtlich wie vielleicht nirgendwo sonst: Die Monogamie ist ein Arrangement zur Verhinderung von Liebe! Es soll nicht zuviel geliebt werden, es soll nicht zu einfach sein mit der Liebe! Wenn zwei sich lieben, sollen sie nicht einfach zusammenkommen können, nein, zuerst sollen sie jede andere Liebesbeziehung, die sie vielleicht schon haben, beenden!

Hier wird auch sehr klar, dass der Mechanismus der Konkurrenz auch im Beziehungsmodell der Monogamie am Werk ist und Mangel erzeugt, wo gar keiner ist.

Das tut übrigens unser Schulsystem mit seinen Noten für die SchülerInnen, weshalb immer mehr Menschen Goodbye zur Schulpflicht sagen.

Und über das Lohnarbeitssystem habe ich schon des öfteren geschrieben, weshalb ich an dieser Stelle nur auf den Artikel beim Arbor-Verlag verweise. Bei den massenhaft entwurzelten Arbeitern funktionierten arrangierte Ehen nicht mehr, weshalb die oben beschriebene Illusion stabiler monogamer Liebesehen aufkam.

In Michèle Binswangers Artikel Monogamie: Die große Lüge aus der Zeit stieß ich auf die beiden Evolutionspsychologen Christopher Ryan und Cacilda Jethá, die in ihrem (seit drei Jahren immer noch nicht ins Deutsche übersetzten) Buch Sex at Dawn mit vielen gängigen Mythen aufräumen und begründen, dass über die längste Zeit der Menschheit der umherziehende Stamm das soziale Umfeld sexueller Beziehungen war. Durch dessen Verbindlichkeit war Monogamie unnötig, um Verbindlichkeit und Sicherheit herzustellen, und ist biologisch sogar dem Überleben unserer Spezies abträglich. Erst die Landwirtschaft und in Folge die Sesshaftigkeit schuf völlig andere Bedingungen, unter denen die (Zwangs-!) Monogamie als gesellschaftlich sanktionierte Beziehungsform aufkam.

Auf Vimeo gibt es ein Interview mit einem der Autoren von Sex at Dawn, Dr. Christopher Ryan.

Auch der von mir geliebte Kelly Bryson schreibt in seinem Buch Sei nicht nett, sei echt!:

Eine der Wurzeln der historischen Grundlagen von Beherrschungsgesellschaften ist die traditionelle Paarbeziehung oder Ehe.

Und unweigerlich kommen wir (immer noch bei Kelly Bryson) zum Grundthema dieses Blogs:

Ich glaube, daß wir, um eine zutreffende Vorstellung von Liebe zu bekommen, bedingungsloses Vertrauen zu unseren Beziehungen und zur persönlichen Macht in uns entwickeln müssen. Ohne bedingungsloses Vertrauen können wir nicht bedingungslos lieben. Mit bedingungslosem Vertrauen meine ich ein Vertrauen ohne ein “darauf, daß” dahinter. Bedingungsloses Vertrauen würde also nicht sagen: “Ich vertraue darauf, daß du dich immer um mich kümmern wirst” oder: “daß du für mich immer Zuneigung und sexuelle Attraktion empfinden wirst” oder: “daß du nur mich lieben wirst.” Echtes Vertrauen oder echte Treue ist nicht mit Bedingungen oder Erwartungen verknüpft: “Ich vertraue auf dein Bestreben, dem Plan deiner Seele zu folgen, zu lieben und zu wachsen, zu folgen, und ich habe das Vertrauen, es selbst genau so zu machen. Während wir einander in diesem Prozeß unterstützen, wächst unser Vertrauen zu einander.”

Es ist schwer, dieses Bewußtsein bedingungslosen Vertrauens außerhalb eines kollektiven Energiefeldes aufrechtzuerhalten. Zu dessen Schaffung ist meist eine Gemeinschaft erforderlich, deren Mitglieder ein bestimmtes Bewußtsein entwickelt haben und eine bestimmte Absicht verfolgen. Eine solche Gruppe miteinander verbundener Menschen, die im Besitz ihrer Macht sind, muß bedingungsloses Vertrauen und Transparenz schätzen.

Da wird mein Interesse an gemeinschaftlichen Lebensformen wieder akut…

Im Zuge der Recherchen für diesen Beitrag entdeckte ich auch die Seite openlovers.de, wo ich mich gleich mal angemeldet habe. Es ist im Wesentlichen eine Community nebst Blog.

Als letzter Lesetipp noch die Connection Tantra special 85 “Dich alle liebe ich!” (die ich selber noch nicht gelesen habe).

Nachtrag vom 04.06.2018: Die Sache lässt sich zu dem Satz zuspitzen Monogamie macht asozial. Und inzwischen gibt es die deutsche Übersetzung von Sex at Dawn unter dem Titel Sex. Die wahre Geschichte.