Globales Projekt 2018: Ein lebensförderndes Anreizsystem

Ein Geldsystem ist – neben vielem anderem – immer auch ein Anreizsystem. Bestimmte Tätigkeiten sind lukrativer als andere. Es geht also beim Geld nicht nur um abstrakten Wert, sondern auch um ganz konkrete Werte: Was wollen wir als Gesellschaft/als Kultur fördern, was soll weniger werden?

Ich erzähle Euch wohl nichts neues, wenn ich sage, dass unser derzeitiges Geldsystem massiv schädliche Anreize für Planet und Menschheit setzt: Es ist lukrativ, Gewehre und Panzer zu bauen, Wälder zu roden, mit Schleppnetzen zu fischen, usw. usf. Es ist nicht lukrativ, seine dementen Eltern zu pflegen, Wälder aufzuforsten, Böden zu regenerieren, Kinder aufzuziehen usw. usf.

Dass es durchaus ganz anders gehen könnte, und das mit gar nicht so massiven Veränderungen, beschreibt Charles Eisenstein in meinem Lieblings-Wirtschafts-Buch. Ich fasse hier das 11. Kapitel “Die Währungen der Gemeingüter” zusammen. Da sollte die Reise hingehen:

Heute haben nur jene Zugang zu Geld über Kredit, die den Geltungsbereich von Waren und Dienstleistungen am ehesten ausweiten. In einer heiligen Ökonomie wird Geld bekommen, wer dazu beiträgt, dass die Welt schöner wird.

Wie kann das konkret gehen?

Grundlage eines solchen sinnvolleren Anreizsystems sind die Commons, die Gemeingüter:

Die Commons umfassen die Erdoberfläche, die Mineralien unter der Erde, die über- und unterirdischen Wasservorräte, den fruchtbaren Boden, das elektromagnetische Spektrum, das planetarische Genom, die Lebewesen in lokalen und globalen Ökosystemen, die Atmosphäre, das gesamte jahrhundertealte Wissen der Menschheit, die Technologie und die künstlerischen, musikalischen und literarischen Schätze unserer Vorfahren. Wie Sozialreformer seit mehr als zweitausend Jahren feststellen, kann kein einzelner Mensch einen rechtmäßigen Anspruch auf irgendetwas davon erheben.

Wichtig ist, dass über die Parameter des Anreizsystems nicht der Markt selbst entscheiden darf, zumal der das auch gar nicht kann: Ein Markt ist ein Optimierungsverfahren. Auf welche Ziele er optimiert, muss außerhalb des Marktes, also politisch, festgelegt werden (siehe auch Individuelle Freiheit in der Wirtschaft):

Was könnte eine bessere Basis für ein Geldsystem – die Geschichte vom Wert – sein als diese Dinge, die so kostbar, so heilig, so wertvoll sind? Dementsprechend wird ein Teil des Geldes durch eben diese Dinge, deren kollektive Verwalter und Hüter wir sind, „gedeckt“ sein. So könnte es funktionieren: Erst fassen wir einen gemeinsamen, politisch vermittelten Beschluss darüber, was das rechte Maß ist, wie viel von der Natur wir für menschliche Zwecke verwenden wollen: wie viel aus den Meeren, wie viel aus dem Boden, wie viel vom Wasser, wie viel von der Fähigkeit der Atmosphäre, Emissionen zu absorbieren und zu transformieren, wie viel von der Fähigkeit der Erde, die Narben des Rohstoffabbaus zu verkraften, wie viel vom Geschenk der fossilen Brennstoffe, der Erze und der anderen Reichtümer, und wie viel Stille auf der Erde wir dem Maschinenlärm preisgeben, wie viel dunklen Nachthimmel wir für die Beleuchtung der Städte opfern. Diese Entscheidungen erfordern oft ein wissenschaftliches Verständnis, aber genauso oft beinhalten sie auch Werturteile. Beides soll einfließen in unsere Übereinkunft darüber, wie viel natürliches Kapital wir verbrauchen wollen.

Charles ist sich durchaus bewusst, dass das eine unerhörte Vorstellung ist:

Eine solche Entscheidung hat die Welt noch nicht gesehen. Heute ist es zwar so, dass die Regierungen über Regulierungen und Steuern den Verbrauch bestimmter Teileaspekte der Commons beenden oder verlangsamen, aber nie haben wir uns gemeinsam die Frage gestellt: “Wie viel ist genug?” Dörfer schützten früher ihre Gemeingüter durch Traditionen, Bräuche und sozialen Druck (die “Tragik der Allmende” ist großteils ein Mythos), aber im großen Maßstab der heutigen Gesellschaft müssen wir einen politischen Prozess in Gang bringen, um einen Konsens zu erreichen und umzusetzen. Dieser Prozess würde sowohl den wissenschaftlichen Konsens darüber berücksichtigen, welche Nutzung der Commons tragbar ist, als auch den gesellschaftlichen Konsens, beispielsweise über die relative Wichtigkeit von einem Verbrennungsmotor, der Arbeitskraft spart, im Verhältnis zur Freude über einen stillen Herbsttag.

In die gleiche Richtung geht übrigens auch die Gemeinwohl-Ökonomie mit ihren Wirtschaftskonventen. Konkret könnte es dann so umgesetzt werden:

Wenn wir entschieden haben, wie viel der jeweiligen Commons für die Nutzung zur Verfügung stehen sollen, können wir ein Geld ausgeben, das durch sie “gedeckt” ist. Zum Beispiel könnten wir entscheiden, dass die Atmosphäre insgesamt zwei Millionen Tonnen Schwefeldioxid pro Jahr verkraften kann. Dann können wir die Emissionsrechte darauf zur Deckung einer Währung verwenden. Das gilt auch für alle anderen Commons. Das Ergebnis wäre eine lange Liste, auf der alle Arten von Commons enthalten sind, deren wirtschaftliche Nutzung wir vereinbart haben. Sie könnte in etwa so aussehen:

Unser Geld bezieht seinen Wert aus dem Recht, jährlich in der Nordsee 20 000 Tonnen Kabeljau zu fangen, dem Recht, dem Oberrhein-Aquifer 0,5 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr zu entnehmen, dem Recht, jährlich in Europa 2 Milliarden Tonnen CO2 zu emittieren, dem Recht, zwei Milliarden Barrel Rohöl aus der Erde zu pumpen, der Nutzung der X-Mikrohertz Frequenz des elektromagnetischen Spektrums…

Der Clou dieses neuen Anreizsystems (Hervorhebung von mir):

Jede Fabrik, die eine Möglichkeit findet, weniger Commons zu verbrauchen (zum Beispiel indem sie weniger Verschmutzung verursacht oder wiederverwertetes Metall von Schrottplätzen verwendet), wird ihre Kosten verringern können und höheren Profit erwirtschaften. So wird Profitstreben vom Feind zum Verbündeten unseres Wunsches, die Erde zu heilen.

Eigentlich ist die Sache ja ganz logisch:

Es sei an das Prinzip erinnert, dass jede Ware, die wir als Geld benutzen, automatisch wertvoll wird, und wir mehr davon haben wollen. In Gesellschaften, in denen Vieh Geld ist, halten Menschen Herden, die größer sind, als es notwendig wäre. Wenn wir, wie manche vorschlagen, Öl oder Energie zur Deckung der Währung verwenden, dann werden wir versuchen, mehr Öl zu produzieren und zu horten. Aber was, wenn wir unsere Währung mit Öl decken, das noch in der Erde lagert, mit Gold, das noch unter dem Berg liegt, und mit unberührten Wäldern?

Außer Psychopathen wie dem homo oeconomicus kann dagegen niemand etwas haben:

Dieses System würde die sozialen und ökologischen Kosten vollständig internalisieren.

Charles Eisenstein entkräftet auch gleich ein mögliches Gegenargument:

Manche möchten einwenden, dass dieses System eine umfangreiche Bürokratie und viel Papierarbeit erfordert, weil entlang der Produktionskette jede Art von Verschmutzung und alle sozialen Kosten dokumentiert werden müssen. Meine Antwort darauf ist zweifach: Erstens stellt dieses System eine neue Haltung gegenüber der Umwelt dar. Wir wollen wissen, welche Folgen unser Handeln für andere Wesen hat und die Verantwortung dafür tragen. Man schaue sich nur an, was auf der Erde passiert, wenn wir das Risiko von Ölkatastrophen und nuklearen Unfällen ignorieren. Zunehmend möchten wir wissen, was wir tun, wir möchten alle Auswirkungen unserer Handlungen kennen, und wir möchten die Verantwortung für sie übernehmen. Für das Selbst in Verbundenheit ist diese Haltung ganz selbstverständlich: “Was ich dem anderen antue, das füge ich mir selbst zu.”

Und von dieser grundsätzlichen Haltung abgesehen:

Zweitens ist mein Vorschlag sogar weniger aufwendig als das heutige komplizierte und unökonomische System von Regulierungen, das Umweltverantwortung und finanziellen Profit in Konkurrenz zueinander setzt. Aus Sicht des Verbrauchers ist es nichts anderes als eine Verlagerung der Besteuerung weg von Verkäufen und Einkommen hin zu Rohstoffen und zur Umweltverschmutzung. Private Erzeuger müssten für Dinge bezahlen, die jetzt – zumindest für sie – “gratis” sind. Man könnte das als eine Form von indirekter Besteuerung betrachten, aber eine andere Sicht darauf könnte sein, dass die Produzenten einfach für das bezahlen, was sie sich von den Commons nehmen, für das, was sie sich von uns allen nehmen. Das ist nur gerecht. Wir könnten sagen, dass eine solche Besteuerung einfach die Umsetzung des Prinzips ist, dass jene, die von der größeren Gemeinschaft des Lebendigen profitieren, auch zu dieser größeren Gemeinschaft des Lebendigen beitragen sollen. Wer sich der Commons bedient, muss in gleichem Maß zum Gemeinwohl beitragen.

Im folgenden Absatz bringt er noch mal auf den Punkt, welch eine Umwertung der Werte dieses neue Anreizsystem wäre:

Die Art von Steuern, die Methoden, mit denen heute Beiträge für das Gemeinwohl erhoben werden, sind beinahe das Gegenteil dessen, was wir in unserer Welt schaffen wollen. Wir können von den Commons (die keiner besitzen sollte) nehmen, ohne dafür zu bezahlen. Aber das, von dem man sagen kann, dass wir es besitzen (unsere eigene Arbeitskraft), unterliegt einer Besteuerung (der Einkommenssteuer). Wir werden gezwungen, eine Steuer auf das Zirkulieren von Gütern (eine Umsatzsteuer) zu bezahlen; keine Steuer gibt es indes auf die Akkumulation von Reichtum, der nicht für den Austausch verwendet wird. Es läuft bei uns verkehrt herum. Das Geldsystem, das ich in diesem Kapitel beschreibe, dreht die Einkommenssteuer um und verlagert die Steuern weg von dem, was wir verdienen, hin zu dem, was wir uns nehmen. Im nächsten Kapitel wird eine ähnliche Umkehrung für die Umsatzsteuer beschrieben, wodurch die Kosten weg von den Ausgaben und hin zum Horten verschoben werden.

Im (deutschen) Steuersystem verbergen sich noch weitere Fehlanreize. Dazu muss man nur mal den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer von 45% mit der Kapitalertragsteuer von pauschal 25% vergleichen und sich dazu noch vergegenwärtigen, dass seit 1997 in Deutschland keine Vermögensteuer erhoben wird, und die horrenden Freibeträge und Schlupflöcher bei der Erbschaftsteuer. In einem Satz: Arbeit muss sich wieder lohnen!

Zurück zu Eisenstein:

Die oben beschriebene Vorgangsweise zur Geldschöpfung mag den Eindruck vermittelt haben, dass die Emission vornehmlich der Bundesregierung obliegen sollte. So stelle ich mir das aber nicht vor. Viele Commons, auf denen das Geld basieren wird, werden am besten auf bioregionaler Ebene verwaltet. Zum Beispiel richten viele Arten von Umweltverschmutzung die verheerendsten Schäden in lokalen Ökosystemen an und wirken nur indirekt auf den Planeten als Ganzes. Es nützt wenig, die globalen Emissionswerte für Ozon zu begrenzen, wenn diese Werte regional überschritten werden und Menschen und Bäume Schaden nehmen. Daher könnten einzelne Bundesländer oder vielleicht sogar noch kleinere politische Einheiten eine Währung herausgeben, die durch Ozon-Emissionsrechte gedeckt ist. In manchen Fällen, wenn es zu einer Überlappung zwischen lokalen und globalen Effekten kommt, könnten zwei verschiedene Lizenzen für dieselbe Schadstoffemission erforderlich sein.

Diese Ausschnitte skizzieren, wo die Reise hingehen kann und m.E. auch hingehen sollte. Weitere Details lest bitte bei Charles direkt im 11. Kapitel nach.

Übrigens habe ich diese Idee ganz grob schon vor vielen Jahren in Wolfgang Bergers Buch Business Reframing gelesen:

Unsere Technik ermöglicht die Zerstörung der Bedingungen, unter denen auf der Erde Leben weiter existieren kann. In der Kalkulation unserer Unternehmen werden aus Kosten Preise gebildet; dabei wird auch die Natur ökonomischem Kalkül unterworfen. Die Zerstörung der Natur ergibt dabei das wunderbare Prädikat „rentabel“. Diese Rechnung beruht auf drei Prämissen. Erstens: Güter werden aus Rohstoffen hergestellt, deren Vorrat grenzenlos ist. Zweitens: Der Produktionsprozess hinterlässt keine Spuren. Und drittens: Der Konsum verzehrt die Güter vollständig.

Der Verbrauch von Natur wird als Ertrag verbucht; diese Seite der Bilanz lehrt deshalb: je mehr, desto besser. Arbeitsplätze verursachen Kosten, die in vielen Ländern durch darauf erhobene Abgaben künstlich erhöht werden; diese Seite der Bilanz lehrt deshalb: je weniger, desto besser. Beides zusammen vernichtet Natur und Arbeitsplätze, die Erde und ihre Menschen.

Und weiter:

Heute muss die ökologische Frage als das zentrale Thema der Politik angepackt werden und unsere Verfassungen, Rechtsordnungen und Institutionen prägen. Eine nachhaltige Entwicklung („Sustainable Development“) der Wirtschaft zerstört nicht das Wunderwerk des Marktmechanismus; aber sie zerstört erst recht nicht das Wunderwerk der Natur.

Unser transzendentes Ziel, das sich selbst genügt, darf nicht mehr Wachstum sein, welches durch eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität und durch eine Erhöhung der Kapitalproduktivität erreicht wird, sondern die Erhaltung des Kapitalstocks des globalen Unternehmens, in dem wir alle arbeiten – des Unternehmens Menschheit. Dieser Kapitalstock ist die Natur. Durch drei einfache Grundsätze erhalten wir unser globales „Grundkapital“:

  • Natur darf nur im Rahmen ihrer Erneuerungsfähigkeit verbraucht werden.
  • Die Kosten dieser Erneuerung müssen in die Preiskalkulation eingehen und von den Verbrauchern getragen werden.
  • Technische Risiken dürfen nur in Kauf genommen werden, wenn sie versicherbar sind.

Der Grund, warum Berger das fordert, ist, dass es Zeit ist, die volle Verantwortung für unser Handeln als Menschen auf dem Planeten Erde zu übernehmen:

Wir müssen die Verantwortung des Managements in Wirtschaft und Gesellschaft, in Kultur und Politik neu definieren: Verantwortung übernehmen heißt: Ursache sein für das, was geschieht – für alles was geschieht.

Nachtrag: Kryptowährungen fördern Stromverschwendung, setzen also auch falsche Anreize – jedenfalls die derzeit gängigen davon.