Gemeinwohl-Ökonomie und Potentialentfaltung

Heute folgt Teil 2 meiner Auseinandersetzung mit Christian Felber, weil ich dessen Buch Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) jetzt auch gelesen habe. Insgesamt unterstütze ich das Konzept und die daraus entstandenen Initiativen mit voller Kraft, denn die GWÖ nimmt sich des fundamentalen Widerspruchs zwischen den Werten des menschlichen Zusammenlebens einerseits und den Werten in der (kapitalistischen) Wirtschaft andererseits an.
Ich zitiere mal aus der Einleitung:

In unseren Freundschafts- und Alltagsbeziehungen geht es uns gut, wenn wir menschliche Werte leben: Vertrauensbildung, Ehrlichkeit, Zuhören, Empathie. Die “freie” Marktwirtschaft beruht hingegen auf den Grundwerten Gewinnstreben und Konkurrenz. Die Kombination aus Gewinnstreben und Konkurrenz befördert jedoch Egoismus, Gier, Geiz, Neid, Rücksichtslosigkeit und Verantwortungslosigkeit. Dieser Widerspruch ist nicht nur ein Schönheitsfehler in einer komplexen oder multivalenten Welt, sondern eine kulturelle Katastrophe; er spaltet uns im Innersten – sowohl als Individuen als auch als Gesellschaft.

Um diesen Widerspruch aufzulösen, schlägt Felber vor, in der Wirtschaft die gleichen Werte, kurz gesagt das Gemeinwohl, als Ziel und Zweck zu etablieren. Das Mittel dazu ist die Gemeinwohl-Bilanz, die ein ganzes Bündel von sozialen und ökologischen Faktoren mit Punkten bewertet und somit mess- und vergleichbar macht. Die bisher allein verbindliche Finanzbilanz wird damit zu einer Nebenbilanz, da der finanzielle Gewinn nun nicht mehr das Hauptziel der Unternehmen ist.

Weitere Stellschrauben, an denen die Gemeinwohl-Ökonomie dreht, sind:

  • Kapitalüberschüsse von Unternehmen dürfen nicht mehr an Personen ausgeschüttet werden, die nicht im Unternehmen arbeiten – was heute auf die überwiegende Mehrheit der Aktionäre zutrifft. Zu diesem Zweck sollen Aktiengesellschaften abgeschafft werden. An diesem Punkt gehe ich mit meiner Forderung noch einen entscheidenden Schritt weiter, gleich alle Arten von Kapitalgesellschaften abzuschaffen.
  • Weiterhin sollen feindliche Übernahmen verboten werden. Wenn aber die finanzielle Beteiligung von Personen, die gar nicht im Unternehmen arbeiten, eh schon untersagt ist, dann sind solche Übernahmen gar nicht mehr möglich, erst recht natürlich bei Personengesellschaften.
  • Finanzinvestments sollen Unternehmen auch nicht mehr erlaubt sein. Bei meinem Vorschlag, Vollgeld mit einer Umlaufsicherungsgebühr einzuführen, wäre so etwas von vornherein nicht mehr rentabel und müsste daher gar nicht extra noch verboten werden.
  • Die zentrale Stelle des Geldsystems in der Gemeinwohl-Ökonomie ist die Demokratische Bank, die von einem Verein in Österreich bereits konkret geplant wird. In einer voll ausgeprägten GWÖ wäre sie allerdings eine per Gesetz eingerichtete Bank unter demokratischer Kontrolle. Dass es in der GWÖ keine Geldschöpfung durch private Banken, also Vollgeld geben soll, kommt meines Erachtens im Buch zu kurz, denn das ist schließlich eine der Hauptsäulen des Kapitalismus. Gemeinsam mit dem Zinseszins-Effekt führt dieses System zu dem Wachstumszwang, der die meisten unserer heutigen Probleme erst geschaffen hat.
  • Der extremen Ungleichheit, die obiges System nach jedem Crash immer wieder aufs Neue erzeugt, will die GWÖ mit Obergrenzen für Vermögen und Unternehmensgrößen sowie Mindest- und Höchsteinkommen vermeiden. Letzten Endes also immer durch Umverteilung. “Fließendes Geld”, bei dem fürs Liegenlassen bzw. Horten Gebühren fällig sind (statt dass das Geld “für einen arbeitet”, wie es heute oft heißt), begrenzt jegliche Anhäufung von Geld ganz automatisch, denn es schafft einen Anreiz überschüssiges Geld so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Umverteilung wird dadurch überflüssig. Das ist doch ein wesentlich eleganterer Ansatz.

Die konkrete Ausgestaltung der Institutionen der GWÖ will Felber verschiedenen demokratischen Konventen, angelehnt an die historischen Verfassungskonvente, überlassen. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist, bin ich mir nicht sicher. Jedenfalls stimme ich mit ihm überein, dass der ganze Wandel so demokratisch wie möglich vonstatten gehen soll. Die tatsächlichen Tendenzen gehen ja leider genau in die andere Richtung.

Eine Sache nehme ich ihm allerdings echt übel, und zwar:

Der Erwerbszwang ist in der Gemeinwohl-Ökonomie nicht abgeschafft.

Das Zuckerbrot in Form des Gewinnstrebens will er abschaffen, aber weiter fröhlich die Peitsche schwingen? Lieber Herr Felber, das ist mehr als inkonsequent. Es geht schließlich um das Gemeinwohl. Und wer fühlt sich unter Zwang denn wohl? Das kann es also nicht sein. Mein Vorschlag ist deshalb, das Ganze auf jeden Fall durch ein bedingungsloses Grundeinkommen zu ergänzen, um die Menschen vom existenziellen Druck im Kapitalismus zu befreien.

Damit entsprächen wir auch den Anforderungen des menschlichen Gehirns, das unter Zwang und Druck nicht in der Lage ist, sein Potential zu entfalten, sondern auf reinen Überlebensmodus umschaltet:

Da ich wie gesagt die GWÖ insgesamt sehr unterstützenswert finde, tue ich das auch und fahre nächsten Mittwoch zum Treffen der GWÖ-Gruppe in Halle.