Doppeltes Theorieversagen: Purpose Economy

Wer sich mit Wirtschaftstheorie beschäftigt, begegnet dabei früher oder später sowohl dem Marktversagen als auch dem Staatsversagen. Marktversagen bedeutet, dass entgegen dem neoliberalen Mantra, dass der Markt schon alles zum Besten regelt, der Markt das eben manchmal doch nicht tut. Staatsversagen bedeutet, dass der Staat durch sein Handeln nicht das bestmögliche Ergebnis erzielt.

Heute ist mir (bei der Veranstaltung Unfuck the economy #3) eine weitere Form des Versagens begegnet, nämlich das Theorieversagen. Die (neo)klassische Wirtschaftstheorie behauptet bekanntlich, dass Unternehmer nur aus einem einzigen Grund ein Unternehmen gründen: nämlich um aus Geld mehr Geld zu machen. Diesen Teil der klassischen Wirtschaftstheorie unterschreibt auch die marxsche Wirtschaftstheorie.

Nach beiden Theorien dürfte es das also gar nicht geben: Unternehmer, die das Eigentum am Unternehmen an das Unternehmen selbst übertragen und damit auf jeglichen Profit verzichten, den sie aus dem Unternehmen herausziehen könnten. Oder anders ausgedrückt: Kapitalisten, die das Eigentum an den Produktionsmitteln dem Unternehmen und damit den Menschen, die dort arbeiten, übertragen.

Es gibt sie aber doch, & zwar immer mehr davon. Die Purpose-Stiftung bündelt deren Aktivitäten und bietet eine vorläufige Rechtskonstruktion im bürgerlichen Recht, nach dem Modell des Mietshäuser Syndikat. Purpose kenne ich schon seit gut 2 Jahren & verfolge deren Aktivitäten aus der Ferne.

Heute habe ich nun erfahren, dass die schon dabei sind, Lobbyarbeit für eine eigenständige Purpose-Rechtsform in Deutschland zu betreiben, & sich schon drei Mal mit Peter Altmaier, einmal mit AKK & mehrfach mit den Grünen getroffen haben deswegen. Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen:

Kapitalisten arbeiten daran, dass der bürgerliche Staat eine neue Rechtsform einführt, die das Privateigentum an den Produktionsmitteln von Unternehmensfremden verunmöglicht.

Damit dient Steward ownership bzw. Verantwortungseigentum auch dem, was Charles Eisenstein in Ökonomie der Verbundenheit schreibt:

Wir können uns an der bewussten, zweckmäßigen Geldvernichtung beteiligen, statt bei der unbewussten Geldvernichtung mitzumachen, die in einer kollabierenden Wirtschaft passiert. Wenn Sie noch Geld zu investieren haben, investieren Sie es in Unternehmungen, die explizit eine Gemeinschaft aufbauen, die Natur schützen und kulturelle Commons bewahren. Erwarten Sie eine finanzielle Null- oder Negativrendite für Ihre Investition – das ist ein gutes Zeichen dafür, dass Sie nicht unbeabsichtigt noch mehr Bereiche dieser Welt in Geld umwandeln.

Mein persönliches Highlight des Abends war Perry Chen, der Gründer von Kickstarter. Der hat doch tatsächlich mehrfach das Wort Extraktivismus gebraucht & davon gesprochen, dass heutige Kapitalgesellschaften als Soziopathen konstruiert sind (vgl. dazu den Film The Corporation und die Parallele in der Mikroökonomik, den homo oeconomicus als Psychopath).

Mit den Leuten von der Gemeinwohlökonomie sind die Purpose-Leute schon in Kontakt, allerdings bisher nicht mit Rechtsformen für Engagement, wo ich sehr viel Synergiepotential sehe. Da werde ich mich mal wieder als Netzeweber betätigen.

Wenn du tiefer ins Thema einsteigen willst, dann lade dir das E-Book Verantwortungseigentum (auf englisch Steward-Ownership) herunter.

Nachtrag vom 27.11.: Inspiriert von Purpose habe ich nun Punkt 6 meiner persönlichen Liste zur Weltrettung geändert von “Kapitalgesellschaften abschaffen” in “Kapitalgesellschaften in Purpose-Gesellschaften umwandeln”. Auch meinen Beitrag Hayek ohne Kapitalgesellschaften kann funktionieren kann ich nun umformulieren in “Hayek mit Purpose-Gesellschaften kann funktionieren”.

Was ich gestern noch vergessen hatte explizit zu erwähnen: Kickstarter ist seit 2015 eine Public-benefit corporation. Das ist allerdings keine vollwertige Form von Steward ownership, denn das Unternehmen ist immer noch an Investoren verkaufbar.

Das will ich an dieser Stelle auch noch mal klarstellen: Verantwortungseigentum bzw. Steward ownership sagt gar nichts darüber aus, wie die Macht innerhalb des Unternehmens verteilt ist. Es geht allein darum, dass nur diejenigen, die im Unternehmen tätig sind, es steuern können – und zwar solange das Unternehmen existiert. Das kann im Extremfall aber eine einzige Person sein, wie es z.B. zur Zeit bei Ecosia der Fall ist.

Kollektivbetriebe haben zwar keine unternehmensfremden Investoren, die mitbestimmen können, sind aber oft nicht davor geschützt, dass alle Kollektiveigentümer gemeinsam beschließen, den Betrieb zu verkaufen. Das gilt auch für Genossenschaften.

Insofern ist Purpose auch für Kollektivbetriebe eine sinnvolle Ergänzung, um den Betrieb tatsächlich dauerhaft als solchen zu erhalten. Ich kann nur noch mal wiederholen, dass das Mietshäuser Syndikat sich dabei ja auch was gedacht hat.

Ich gehe sogar so weit zu sagen, Purpose ist zwar keine hinreichende, aber eine notwendige Bedingung für echte Unternehmensdemokratie.

Wie wichtig es ist, nicht nur von Purpose zu schwafeln, sondern an die Eigentumsverhältnisse ranzugehen, zeigt exemplarisch der (durchaus interessante!) Dialog zwischen Karsten Schnelle & Andreas Zeuch, der komplett ohne eine einzige Erwähnung des Eigentums auskommt & damit notwendigerweise etwas nebulös bleibt.

Nachtrag vom 26.12.: Mehr zu Purpose, vor allem der Gesetzesinitiative für eine Purpose-Rechtsform, findet ihr auf der Seite der Stiftung Verantwortungseigentum.

Nachtrag vom 06.11.2021: Inzwischen haben sie es geschafft, einen Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia zu Verantwortungseigentum zu platzieren. Und die Bezeichnung hat sich noch mal geändert, es gibt jetzt einen Gesetzentwurf zur “Gesellschaft mit gebundenem Vermögen”.