Die Post-Kollaps-Gesellschaft

In recht kurzer Zeit habe ich nun Johannes Heimraths Buch Die Post-Kollaps-Gesellschaft durchgelesen. Dabei wurde mir sehr deutlich, dass das Buch so etwas wie der rote Faden ist, an dem sich die Zeitschrift Oya entlang hangelt.

Und ich habe das erste Mal wirklich tief die Möglichkeit an mich herangelassen, dass unsere Zivilisation zusammenbrechen wird. Das bedeutet, dass danach wirklich alles anders sein wird als wir es kennen. Der Computer, an dem ich das hier schreibe, wird nicht mehr funktionieren, die Internetverbindung wird nicht mehr vorhanden sein, weil das ganze Internet nicht mehr da sein wird. Kein Stromnetz mehr, keine Tankstellen für unsere Autos und LKWs. Kein Dünger und keine Pestizide mehr für die Landwirtschaft, und natürlich auch kein Sprit mehr für Traktoren.

Auch wenn kein EMP von der Sonne kommt, werden die Satelliten nicht mehr funktionieren, damit z.B. auch kein GPS/Glonass/Galileo/Beidou mehr. Elon Musks Satelliten werden sich als rausgeschmissenes Geld erweisen und allesamt zu Weltraumschrott werden.

Und so weiter und so fort.

Ein Großteil all dessen beruht auf dem metallurgischen Komplex, von dem Fabian Scheidler in Das Ende der Megamaschine schreibt. Schon seit Jahrtausenden schicken Menschen andere Menschen in Minen, um Metalle (und seit dem 16. Jahrhundert auch Kohle) aus der Erde zu holen.Das waren in den ersten Jahrtausenden durch die Bank Sklaven, später dann Lohnsklaven. Wer tut sich das schon freiwillig an? Und über Jahrtausende wurde Holz, die letzten Jahrhunderte dann Kohle verfeuert, um Metalle zu schmelzen und zu verarbeiten. Der Wald ums Mittelmeer wurde bei weitem nicht nur abgeholzt, um Schiffe daraus zu bauen, sondern zu einem guten Teil für Holzkohle für die Metallverarbeitung.

Nebenbei bemerkt, eine aktuelle Nachricht besagt, dass das Grönland-Eis inzwischen unwiderruflich schmelzen wird, auch wenn wir ab sofort unseren Treibhausgas-Ausstoß auf Null reduzieren würden.

Nun ja, über die Blockadehaltung unseres Gehirns für schlechte Nachrichten hatte ich schon geschrieben.

Was nehme ich noch Wesentliches aus Johannes’ Buch mit? Zunächst mal, dass sein Szenario 3 einer Commonie mit einer Wahrscheinlichkeit von gerade mal 1% angesetzt wird, während er selber die Wahrscheinlichkeit dafür sogar nur mit 0,01% einschätzt. Das macht nicht gerade Hoffnung, und das soll es ja auch nicht, denn Hoffnung ist nur Opium fürs Gehirn. Es kommt darauf an, die Chancen realistisch einzuschätzen. In seinen eigenen Worten:

Eine Chance von 0,01 Prozent ist nicht gleich null. Sie existiert, und wenn wir keine Fehler machen, dann ist sie genauso gut wie eine von 10, 20 oder 30 Prozent. Um sie zu nutzen, müssen diejenigen, die von einer guten Welt nach dem Kollaps träumen,

  • für einen Moment aufhören, zu träumen und
  • die Welt nüchtern ansehen, so wie sie tatsächlich ist,
  • nüchtern abschätzen, wie viel Kraft sie besitzen und
  • wofür sie diese Kraft einsetzen wollen – um das Alte zu retten oder sich besser auf das Danach zu konzentrieren?
  • Und wenn Letzteres der Fall ist, müssen wir eine klare Wunschvorstellung davon entwickeln, wie das Leben danach aussehen soll,
  • was dafür nötig sein wird und
  • was wir schon heute dafür vorbereitend lernen und tun müssen.

Seine Vision einer Commonie skizziert er z.B. im Oya-Artikel Essenz der Demokratie: Die Commonie. Gedanken zu einer möglichen Form der Post-Kollaps-Gesellschaft. Ein Gefühl für die Commonie kannst du in Andreas Webers Buch Sein und Teilen bekommen (gerne auch von mir geschenkt).

Direkt im Anschluss werde ich nun Fabian Scheidlers Buch Chaos. Das neue Zeitalter der Revolutionen von 2017 lesen. Schon die Einleitung zeigt, dass das Buch gerade in Corona-Zeiten äußerst relevant ist:

Im Nebel dieses Chaos zeichnen sich die Umrisse neuer autoritärer Ordnungsversuche ab. […]

In dem Maße, wie die Legitimität von Regierungen angesichts der zunehmenden Spaltung zwischen Arm und Reich bröckelt, werden äußere Feinde immer wichtiger, um Zusammenhalt herzustellen. Der permanente »Krieg gegen den Terror«, von dem heute im Grunde jeder weiß, dass er nicht weniger, sondern mehr Terroristen hervorbringt, dient in diesem Sinne als Versuch, die zerfallende politische Ordnung zu kitten und zugleich den Abbau von Bürgerrechten zu rechtfertigen.

Hier kann man statt “Krieg gegen den Terror” nun auch “Krieg gegen das Virus” einsetzen.

Fabian Scheidler weiter:

Die vor uns liegende Epoche, in der um diesen Wandel gekämpft wird, nenne ich das »neue Zeitalter der Revolutionen«. Weder Dauer, noch Verlauf und Ergebnis dieser Übergangsphase lassen sich voraussagen . Sicher ist nur eines: business as usual wird auf lange Sicht nicht mehr möglich sein.

In Deutschland haben wir offenbar besonders rosa eingefärbte Brillen:

Die verschlafenen Debatten im vergleichsweise satten Deutschland täuschen leicht darüber hinweg, dass wir es in vielen Teilen der Welt mit einem massiven Aufstand gegen die bestehenden Machtstrukturen zu tun haben. Massendemonstrationen sind in Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, den USA, Mexiko, Brasilien, Indien und – in etwas anderen Formen – auch in China seit Jahren an der Tagesordnung. Die Rebellionen des Arabischen Frühlings scheinen vorerst erstickt, doch sind die sozialen und ökonomischen Ursachen, die 2011 zur Revolte führten, in Ländern wie Ägypten nach wie vor unverändert. Der französisch-libanesische Politologe Gilbert Achcar, einer der profundesten Kenner der arabischen Welt, betrachtet die Ereignisse von 2011 als Teil eines langfristigen, möglicherweise Jahrzehnte dauernden revolutionären Prozesses, der gerade erst begonnen hat.

Vergesst eure Komfortzonen, die lösen sich rapide in Wohlgefallen auf. Wir leben in turbulenten Zeiten.

Ich selber werde jedenfalls meine Energie nicht mehr dafür einsetzen, das (menschliche!) Alte, das Gewohnte und Bekannte zu retten. Für die mehr-als-menschliche Welt werde ich dafür um so konservativer. Und wie wir als Menschen zusammen leben werden, dafür begebe ich mich in die Haltung des Nichtwissens und gehe fragend voran.

Nachtrag: Mir ist eingefallen, dass ich so einen Moment 2017 schon mal hatte. Was sind wir doch vergesslich, wenn es um die Möglichkeit des Scheiterns geht… Die Schlusssätze von damals passen auch jetzt:

Angesichts dessen können wir doch nur mit jeder unserer Handlungen unser Bestes geben. Vergesst die Tausendjährigen Reiche. Akzeptiert, dass ihr wieder zu Sternenstaub zerfallt, der sich im Großen Ganzen weiterverteilt und immer wieder neue Lebensformen hervorbringt und auch diese wieder zerfallen lässt.

Nachtrag vom 21.08.: Klimaforscher: Zusammenbruch der Zivilisation ist der wahrscheinlichste Ausgang. Neun von 15 Kipppunkten im Klimasystem der Erde sind bereits erreicht.

Nachtrag vom 25.08.: Miki Kashtan schreibt in ihrem Artikel Apart and Together: Finding Systemic Solutions to Systemic Problems, warum sie gar nicht will, dass sich “die Wirtschaft wieder erholt”:

To many individuals around the world, this pandemic has already been a disaster, and they hang their hope on a quick economic recovery. Before looking at possible alternatives, I want to spell out what that would mean. If there is going to be an economic recovery, it would require restarting the entire consumption machine after a period of dramatic reduction in consumption. Here’s what John Turner, an economics professor Queen’s University in Belfast says about it, in stark terms: “If people aren’t going to spend money, that is going to dampen the economy for a long, long time to come.” He is clearly concerned about that. And, it seems, much more so than about the cost. Because restarting consumption likely means intensifying already stretched supply chains that span the globe, and practices that are at cost to untold numbers of humans and to life beyond humans.

The overwhelming majority of us in the global north don’t grasp the intensity and vulnerability of the supply chains on which we depend even for our most basic staples, and only vaguely know of their existence at all. We are used to showing up at a supermarket trusting there will be food there, without awareness of where it comes from. Whole regions of the world have become beholden to our consumption, having lost their subsistence economy base. They have become dependent on many practices – from dangerous extractive activities to tourism – that are stripping ecosystems and impoverishing the many, keeping them trapped in cycles of growing poverty even as they valiantly aim to exit. And all this is done in such a way that most of us in the global north don’t know about it, unless we cultivate dogged determination to find out. […]

In the second piece in this series I spoke already of how capitalist market economies are unable to attend to needs. Here I am stressing that, in addition, they are actively undermining attending to needs for the many and for life as a whole. This is why I feel no attraction to thinking about how to bring about an economic recovery.

Nachtrag vom 21.10.: Selbst Heiner Flassbeck, der bisher nicht als Crash- oder Untergangsprophet aufgefallen ist, hält einen Zusammenbruch unserer Gesellschaftsordnung inzwischen für möglich.