Auskunft der WASt über meine beiden Großväter

Am 14. Februar habe ich die Auskunft der Deutschen Dienststelle (WASt) über meine beiden Großväter bekommen, fast zwei Jahre nachdem ich den Antrag gestellt hatte. Als ich den geöffneten Brief in der Hand hielt, kamen mir erst mal die Tränen. Das überraschte mich selber, weil er ja an sich erst mal nur trockene Daten enthält. Doch schnell wurde mir klar, dass damit dieser ominöse 2. Weltkrieg endgültig zu einem Teil meiner Familiengeschichte geworden ist. Meine Großväter haben mittendrin aktiv als Soldaten der Wehrmacht gekämpft. Den anderen, passiven Teil, dass meine gesamte Familie aus Ostpreußen vertrieben wurde, kannte ich schon sehr gut. Dieser aktive Teil ist jetzt greifbarer geworden.

Die ersten drei Seiten des Schreibens habe ich mit geschwärzten Namen als WASt-Auskunft.pdf hochgeladen, damit ihr euch einen Eindruck machen könnt, wie so etwas aussehen kann. Als Nicht-Wehrmacht-Experten sagt einem das erst mal relativ wenig, bis auf vielleicht die Ortsnamen. In Białystok war ich z.B. kurz schon mal im Sommer 2014, als ich die Geburtsorte meiner Eltern das erste Mal besuchte.

Um die Bezeichnungen im folgenden kurz halten zu können: Den Vater meiner Mutter nannte ich immer Opi, während ich den Vater meines Vaters Opa nannte.

Die WASt hat mir neben diesen drei Seiten noch die Kopie von Opis Antrag auf Kriegsgefangenenentschädigung kopiert. Durch diesen konnte ich zum einen seine englische Kriegsgefangenschaft lückenlos rekonstruieren. Außerdem gab er darin an, dass er seine Feldpostnummer nicht mehr angeben konnte, “da uns bei Gefangennahme Soldbuch und sämtliche Notizen abgenommen wurden”.

Ich habe dann nacheinander einfach die Bezeichnungen der verschiedenen Einheiten in Suchmaschinen eingegeben (ja, in mehrere, denn in diesem Fall hat manchmal DuckDuckGo bessere Ergebnisse geliefert als Startpage und Ixquick). Das war nach je Einheit sehr unterschiedlich ergiebig.

Im nächsten Schritt habe ich mich im Forum der Wehrmacht angemeldet und dort nach den Einheiten gefragt, über die ich noch nichts gefunden hatte. So viel konkretes kam darüber bisher noch nicht, dafür habe ich mir einen Überblick über die Truppenstärken der Einheiten und Untereinheiten der Wehrmacht verschaffen können. Diese wie auch die meisten anderen Infos kommen aus dem Lexikon der Wehrmacht, das von den gleichen Leuten wie dem gleichnamigen Forum betrieben wird.

Den aktuellen Stand meiner Recherchen liste ich nun auf, angefangen mit Opi, über den ich deutlich mehr herausfinden konnte: Seine erste Einheit war das Bau-Bataillon 322, das nur wenige Monate Bestand hatte. Erst am 6.4.1943 hat die WASt die nächste Information über ihn, da kam er in das Infanterie-Ersatz-Bataillon 151, das zu dieser Zeit wohl schon “Grenadier-Ersatz-Bataillon 151” geheißen haben muss. Dieses Bataillon war zu dieser Zeit in Białystok stationiert, wo ich wie gesagt schon mal kurz gewesen bin. Schon 9 Tage später kam er in eine andere Einheit in Suwałki, das zu jener Zeit Sudauen hieß. Dort wechselte er dann in den Ausbildungsstab seiner Einheit für etwa 2 Monate. Am 25.06.1943 kam er in die 6. Kompanie Festungsstamm-Regiment 89 nach Belgien, die laut WASt-Auskunft dem LXXXIX. Armeekorps unterstellt war. In dieser Einheit blieb er wohl bis zu seiner Gefangennahme.

Die WASt nennt den 12.09.1944 als Tag seiner Gefangennahme in Westende. In seinem Antrag auf Kriegsgefangenenentschädigung nennt er das gleiche Datum, aber Nieuwpoort als Ort. Das liegt allerdings auch direkt nebeneinander. Als vorletzte Einheit vor Gefangennahme gibt er im Antrag an “Festungsstamm Stützpunkt Wenduine bei Ostende”, als letzte Einheit “Schleusenkommando Nieuwpoort”. Zu diesem Zeitpunkt war er Obersoldat.

Im Antrag gibt er weiterhin an, am 3.10.1944 von Dieppe in Frankreich in ein erstes Lager in Devizes in Südengland gebracht worden zu sein.

Über die Kriegsgefangenenlager gibt es haufenweise Informationen im Netz, so z.B. eine Liste mit Prisoner of war camps als Google Fusion Table (im Guardian-Artikel falsch verlinkt), hier noch eine andere Fusion Table. Bei Historic England gibt es ein PDF mit prisoner of war camps. Deutschsprachig findet ihr eine Liste mit Kriegsgefangenenlagern in Großbritannien bei GenWiki. In der englischen Wikipedia gibt es einen Artikel über German prisoners of war in the United Kingdom.

Nun aber zu den einzelnen Lagern: Auch über die beiden mit “oder” angegebenen möglichen Lager Camp 23 Shrewsbury, Shropshire und Sudbury, Derbyshire gibt es Infos (wo er laut seinem Entschädigungsantrag aber gar nicht war). Opi war als erstes im Lager Le Marchant Barracks in Devizes, bis kurz nach Kriegsende. Laut seinem Entschädigungsantrag kam er dann für knapp drei Wochen nach Berechurch Hall in Colchester. Beim Recherchieren nach diesem Lager stolperte ich über den Namen Klaus Kinski. Der war nämlich auch dort interniert. In Berechurch Hall befindet sich übrigens bis heute ein Military Corrective Training Centre.

Die meiste Zeit seiner Kriegsgefangenschaft in England verbrachte Opi im Somerhill House in Tonbridge. Es gibt ins Englische übersetzte Ausschnitte aus dem Tagebuch eines deutschen Kriegsgefangenen dort. Darin schreibt er immer wieder von der Ungewissheit, wie es seiner Familie zuhause ergangen ist. Das hat Opi bestimmt auch lange Zeit nicht gewusst. Wann er das erste Mal wieder von seiner Familie erfahren hat, weiss ich gar nicht. Die Beschreibung von Weihnachten 1945 aus dem Tagebuch geht mir sehr nahe.

Von Opi habe ich ein Foto von 1945 aus einem Album: Opi 1945

Da war er ungefähr ein Jahr älter als ich jetzt.

Die WASt schreibt schließlich, dass er am 10.09.1947 “im Discharge Centre Nr. 1 aus der Kriegsgefangenenschaft entlassen” wurde. Erst biss ich mir eine ganze Weile die Zähne daran aus, dieses ominöse “Discharge Centre Nr. 1” im Netz zu identifizieren, bis ich auf die glorreiche Idee kam, doch auch dazu mal in seinen Entschädigungsantrag zu schauen. Voilà: dort schreibt er, dass er in Munsterlager bei Hannover, allerdings erst am 13.09.1947, entlassen wurde.

Aus allen diesen Puzzleteilen habe ich mal eine Karte bei Google Maps gebastelt:

Über Opa hat die WASt nur sehr spärliche Auskünfte:

Bei Kriegsbeginn kam er ins Infanterie-Regiment 346, welches der 217. Infanterie-Division unterstellt war. Hier konnte ich sogar die Namen der Kommandeure erfahren. Denen bin ich bisher noch nicht nachgegangen. Die Division ist jedenfalls offenbar ziemlich weit rumgekommen im Kriegsverlauf. Das Ende der Division schildert Wikipedia so:

Bei Korosten wurde die Division vernichtet. Die offizielle Auflösung erfolgte am 2. November 1943, die Überlebenden wurden auf die Korps-Abteilung C aufgeteilt.

Über diese Korps-Abteilung schreibt wiederum das Lexikon der Wehrmacht:

Die Korps-Abteilung sollte im Juli 1944 zu einer neuen 183. Infanterie-Division umgewandelt worden, wurde aber vorher vernichtet.

Er muss also wirklich Übles miterlebt haben. Ob er bei dieser Korps-Abteilung C noch dabei war, ist nicht sicher, denn die letzte Meldung, die der WASt vorliegt, ist vom 22.02.1942.

Kurios finde ich wiederum seinen einzigen berichteten Lazarettaufenthalt wegen “Verdacht auf Scharlach”.

Bei der Jahrestagung des Kriegsenkel e.V. gab uns u.a. jemand von der WASt Auskunft über die Arbeit dieser Behörde. Das war ein spannender Blick hinter die Kulissen und hat auch verdeutlicht, welcher Aufwand hinter diesen drei Seiten Brief steckt. Die Informationen sind dort im Archiv über viele verschiedene Stellen verteilt, auch für die Leute dort ist es immer wieder ein Puzzlespiel.

Besonders berührt hat mich in seinem Vortrag, als er die Erkennungsmarken der Soldaten erklärte. Die sind nämlich so gemacht, dass man sie in der Mitte durchbrechen kann, damit die eine Hälfte mit dem toten Soldaten begraben werden kann und die andere ins jeweils zuständige Archiv kommt. Die Soldaten tragen also das Bewusstsein ihres Todes ständig um den Hals. Die Todgeweihten.

Eine Galerie mit Bildern von Erkennungsmarken der Wehrmacht gibt es auf www.emarken.de.