Wenn du es eilig hast, dann gehe langsamer

Auch wenn es sich aus dem Titel vielleicht nicht sofort erschliesst, ist dies der zweite Beitrag zur Theorie von Vipassana. Denn innerhalb der 10 Tage habe zumindest ich mich immer weiter verlangsamt. Es gibt ja auch überhaupt keinen Grund zur Eile, denn man macht fast den ganzen Tag immer das Gleiche: Sitzen und meditieren. Gleichzeitig wird die Wahrnehmung immer feiner. Räumlich übt man die ersten 3 1/2 Tage, sich auf den Bereich unterhalb der Nasenlöcher zu konzentrieren. Das gelingt mit der Zeit immer besser & der Bereich, auf den man sich konzentrieren kann, wird mit der Zeit kleiner. Auch zeitlich verfeinert sich die Wahrnehmung, man registriert immer kürzere Empfindungen.

Durch die feinere Zeitwahrnehmung erscheint deshalb die gleiche Bewegung langsamer. Man kann die Zeit in immer kleinere Abschnitte unterteilt wahrnehmen. Dabei hilft das innere und äußere Schweigen ganz ungemein, allein schon deshalb, weil Sprache viel zu langsam und ungenau ist, um die Fülle der Wahrnehmungen auch nur annähernd zu beschreiben.

Wenn sich um einen herum alles beschleunigt (Stichwort Hamsterrad), ist das natürlich sehr hilfreich. Es ist eine Art innerer Zeitlupeneffekt. Bei mir hielt sich dieser noch sehr in Grenzen, aber wer weiss, vielleicht ist es mit intensivem, ausdauerndem Training tatsächlich möglich, Signale aus dem ganzen Körper in so hoher zeitlicher Auflösung wahrzunehmen, dass man wie Neo in Matrix Patronenkugeln ausweichen kann.

Während des Kurses dachte ich mir noch, dass Manager beim Vipassana Schlange stehen würden, wenn die Methode anders verpackt & verkauft würde. Denn sich vom Leiden zu befreien steht bei den meisten Führungskräften wohl nicht weit vorne auf der Agenda, das Trainieren besserer Entscheidungen in einer sich beschleunigenden Welt allerdings sehr wohl. Jetzt im Nachhinein habe ich allerdings festgestellt, dass es sehr wohl auch spezielle Kurse für Führungskräfte gibt (mehr Informationen auf der englischen Executives-Seite). S. N. Goenka war selber früher Geschäftsmann & weiss daher, was diese umtreibt.

Vermutlich ist ein großer Hinderungsgrund für Manager, dass es beim Vipassana ja darum geht, sich von Verlangen und Abneigung zu lösen (siehe Freiheit ist der Abstand zwischen Reiz und Reaktion). Und Manager werden in aller Regel genau für ihr Verlangen nach wirtschaftlichem Erfolg bezahlt. Schlimmstenfalls kommt also eine Führungskraft vom Vipassana zurück, findet wirtschaftlichen Erfolg nicht mehr so wichtig & wird dann deshalb entlassen. Andererseits wird diese Person dann auch ihre Entlassung nicht mehr so schlimm finden. :)