Stell dir vor, es ist Wahl, und niemand geht hin
Ich bin nicht frei und kann nur wählen,
welche Diebe mich bestehlen, welche Mörder mir befehlen.
Was Ton Steine Scherben in ihrem Klassiker Keine Macht für Niemand besingen, trifft auf die bevorstehende Europawahl zu wie auf jede Wahl in einer Repräsentativen Demokratie. Und wie man z.B. im YouTube-Kanal von Karl Pitz gut nachvollziehen kann, ist die EU eine besonders undemokratische Demokratie.
Aber auch ganz unabhängig von der EU lautet die Grundsatzfrage: wählen gehen oder nicht? Schauen wir uns dazu mal an, was das eigentlich bedeutet. Du hast da so einen Wahlzettel vor dir mit einer Liste von Kandidaten und Parteien, aus denen du eineN auswählst, indem du dein Kreuzchen machst. Mit diesem Kreuz signalisierst du zwei Dinge:
- zum einen, dass du grundsätzlich bereit bist, dich von irgendwelchen Leuten auf dieser Liste regieren, d.h. beherrschen zu lassen
- zum anderen, dass du dich am liebsten von denen beherrschen lässt, bei denen du dein Kreuzchen gemacht hast
Falls du mit Punkt 1 nicht einverstanden bist, dich also von niemandem beherrschen lassen willst, dann darfst du konsequenterweise nicht wählen gehen. Denn andernfalls legitimierst du mit deiner Stimme die Herrschaft des staatlichen Organs, das gerade diese Wahl veranstaltet.
Um es noch mal deutlicher zu sagen: Mit dem Kreuzchen auf dem Wahlzettel wählst du nicht nur eine bestimmte Partei und deren Vertreter, sondern du wählst auch Polizei, Militär, Gefängnisse, Geheimdienste und Steuern. Und was sonst noch so mit dem Herrschaftssystem Staat zusammenhängt.
Die Juristen sprechen in dieser Hinsicht eine klare Sprache, sie definieren Staat nämlich als die Kombination von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Anders ausgedrückt: Ohne Gewalt kein Staat. Der Umkehrschluss gilt zwar nicht, aber die Abwesenheit eines Staates ist schon mal notwendige Bedingung für eine Gesellschaft ohne Gewalt.
Zur Überschrift: Wenn tatsächlich niemand zur Wahl gehen würde, dann hätte der Staat (im aktuellen Fall die EU) ein Problem, nämlich ein Legitimationsproblem. FreiwilligFrei sagt im Beitrag Wählen ist ein Gewaltverbrechen:
Wenn sich niemand oder nur sehr wenige an einer Wahl beteiligen, dann kann der Staat nicht behaupten, im „Namen des Volkes“ zu handeln. Ohne das Schutzschild, das ihm die Wähler geben, könnte sich eine Regierung auf niemand anderen beziehen als auf sich selbst. Die Menschen in der Regierung und in den ausführenden Organen müssten alles, was sie tun, in eigenem Namen tun und persönlich die Verantwortung für alle Konsequenzen übernehmen.
Falls sich jetzt beim Lesen Widerstand regt in der Richtung, dass unsere heutige Demokratie doch allemal besser ist als die Diktaturen und Monarchien der Geschichte & anderswo auf diesem Planeten, dann sage ich: ja, aber es reicht mir noch nicht. Ich bin nicht zufrieden mit dem Status quo, den wir hierzulande erreicht haben. Und ich werde zumindest so lange auch nicht zufrieden sein, wie immer noch eine Staatsgewalt über mich herrscht.
Solltest du damit einverstanden sein, dich regieren zu lassen, dann bin ich als Anarchist der letzte, der dich vom Wählen abhält. Das einzige, was ich tun kann, ist, auf die Konsequenzen hinzuweisen, die den meisten nicht bewusst sind.
Übrigens: vom ungültig wählen halte ich ebenfalls nichts, weil das dem System schon wieder viel zu viel Energie gibt. Immerhin bringt dich der Staat in dem Fall dazu, in ein Wahllokal zu gehen und auf diese Art deine Nicht-Zustimmung auszudrücken. Außerdem erreicht diese Nicht-Zustimmung nur einen verschwindend geringen Teil der Bevölkerung, nämlich im Zweifel nur diejenigen, die deine Stimme auszählen. Und was in der Statistik als ungültige Stimmen zusammengefasst ist, ist eine Mischung von Protest gegen die vorherrschenden Parteien bei grundsätzlicher Zustimmung zum Staat, tatsächlicher Ablehnung desselben sowie Verpeiltheit/Dummheit. Da ist es wesentlich effektiver, so wie ich hier im Internet oder in anderen Medien sich zu äußern.
Also lasst euch nicht ins Bockshorn jagen, wenn jetzt aus allen Ecken wieder die “Demokratenpflicht” ertönt:
Vor jeder Wahl drängen die Politiker deshalb darauf, dass die Menschen zur Wahl gehen und nicht zu Hause bleiben. Eine geringe oder gar keine Wahlbeteiligung ist für sie das Schreckgespenst, vor dem sie sich fürchten. Das Schlimmste, was ihnen passieren kann, ist die persönliche Verantwortung für alle ihre Handlungen selbst übernehmen zu müssen.
Update: Ich gehe noch kurz auf “wahltaktische” Argumente ein, dass man doch das kleinere Übel wählen möge, um das größere Übel zu vermeiden. In diesem Modus laufen heutzutage faktisch alle Wahlen ab: die Leute wählen das geringere Übel. Aber damit wählen sie immer noch ein Übel!! Und Taktik ist ein Begriff aus dem Krieg. Das sagt doch wohl schon alles.