Peak Kapitalismus

Der Begriff “Peak Kapitalismus” stammt aus einem Leserbrief an Fefe vom 21. September:

Ich weiß nicht, wie das in Deutschland ist, aber in den USA sind wir gerade bei Peak Kapitalismus angekommen.
Autoproduktion um die Hälfte reduziert wegen Mikrochips, d.h. Autohändler sind leer und für Gebrauchtwagen werden Mondpreise aufgerufen.
Der IKEA bei uns empfiehlt größere Einkäufe, wie eine komplette Kücheneinrichtung Schritt für Schritt zu machen, d.h. die Einzelteile über mehrere Monate verteilt zu kaufen, bis man alles zusammen hat, da nie alles auf einmal verfügbar ist. “Supply problems” seit mehr als 12 Monaten.
Die Spülmaschinenbestellung kann sich auch schonmal mehrere Monate verschieben, bevor die ankommt. “Microchip shortage”? “supply shortage”? Who knows.
Die Schulspeisung reduziert die Anzahl der angebotenen Mittagessen von 3 auf 1.5 wegen “national food shortage”.
Und den Bus zur Schule können sie auch nicht mehr anbieten, “national driver shortage”. Die reaktivieren jetzt Ruheständler, um das zu kompensieren.
Bauarbeiten, z.B., Badrenovierung, plant man jetzt für frühestens nächstes Jahr.
Bei Bauprojekten, die gerade laufen, muss man damit rechnen, dass alles 1-2 Monate später geliefert wird.

Ich selber spreche ja schon länger vom Kapitalismus im Endstadium, der sich für mich zuletzt in dieser Meldung verdeutlicht hat: Die Mega-Yacht von Jeff Bezos kostete 500’000’000 Dollar.

Jedenfalls kamen noch am gleichen Tag mehrere Leserbriefe bei Fefe an, die von allen möglichen Arten von Lieferschwierigkeiten und Preissteigerungen berichten.

Und noch einer am folgenden Tag, der von Lieferschwierigkeiten zwischen Unternehmen berichtet.

Und noch einer mit krassen Geschichten.

Und noch einer.

Und noch einer aus der chemischen Industrie.

Wir sind immer noch am 22. September…

Ein weiterer Leserbrief von diesem Tag weist auf die irreführenden Anzeigen von Lagerbeständen hin.

Noch ein Leserbrief vom 22. September.

Fefe hat dann noch einen Artikel in The Atlantic verlinkt, Americans Have No Idea What the Supply Chain Really Is. Kostprobe daraus:

Hearsch told me about a friend whose company imports consumer goods—stuff that’s normally available in abundance at any Walmart or Target—from China. Before the pandemic, according to the friend, shipping a container of that merchandise to the U.S. would have cost the company $2,000 to $5,000. Recently, though, the number is more like $30,000, at least for anything shipped on a predictable timeline. You can get it down to $20,000 if you’re willing to deal with the possibility of your stuff arriving in a few months, or whenever space on a ship eventually opens up that’s not already accounted for by companies willing to pay more.

Geht weiter mit den Leserbriefen, Kostprobe daraus:

Dazu passend Preiserhöhungen: Kunststoffgranulat für Spritzguss ist in der letzten Woche (!) teilweise um 80% teurer geworden.

Und aus der Kategorie kosmischer Witz: In Großbritannien wird das CO2 knapp.

Fefes Einschätzung des Ganzen teile ich vollumfänglich:

Zu dem ganzen Lieferkettenkram möchte ich mal darauf hinweisen, dass wir hier gerade sehen, was “Der Markt regelt das” heißt.

Diese ganze weltweite Apokalypse gerade? Das ist der Markt, der das regelt.

Die Leute denken beim Markt immer an die Situation mit Angebotsüberschuss und ausreichend gesunder Konkurrenz.

Der Markt sorgt aber auch dafür, wenn es Knappheit gibt, dass Spekulanten die normalen Menschen aus dem Markt rauspreisen.

Wenn die FDP also mal wieder was vom Markt schwafelt, dann wisst ihr jetzt, was gemeint ist.

Und bei diesem Leserbrief rät Fefe, sich vor dem Lesen stabil hinzusetzen. Das ist tatsächlich eine krasse Nummer:

Kein einziger unserer LKWs fährt irgendwo leer hin um etwas aufzuladen um dann halbgefüllt irgendwo wieder abzuladen. Wir sehen LKWs als rollende Lagerfläche und haben ziemlich ausgeklügelte Systeme damit ein LKW immer voll ist. Bevor ein LKW also halb gefüllt irgendwo hinfährt, befüllen wir die andere hälfte des LKWs mit Lagerbestand und kutschieren den “sinnlos” in der Weltgeschichte herum. Warum tun wir das? Bis zu einem gewissen Füllstand eines LKW mit Lagergut (variiert je nach Strecke/Dauer) ist der m²-Preis im “rollenden Lager” günstiger, als neue Lagerflächen zu kaufen.

Wenn du also das nächste mal einen LKW auf der Autobahn siehst kannst du davon ausgehen, dass der Großteil der Fracht überhaupt nicht dort hin muss, wo der LKW gerade hinfährt.

Fefes Corona-Berichterstattung taugt zwar überhaupt nicht, für andere Themen wie dieses bin ich ihm sehr dankbar. So geballt hatte ich das Ausmaß der Lieferkettenkrise noch nirgendwo anders mitbekommen.

Kein Wunder, dass schon vor 11 Jahren in einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung (!) fast 90% der Befragten angaben, eine andere Wirtschaftsordnung haben zu wollen.

Nachtrag vom 29.09.: Falls das jemandem noch nicht klar sein sollte, Peak Kapitalismus ist ein globales Phänomen. Auch China ist betroffen: China power crunch spreads, shutting factories and dimming growth outlook.

Nachtrag vom 17.10.: Ich werde hier in diesem Beitrag jetzt nicht jede Neuigkeit zu weiteren Lieferengpässen berichten (wie z.B. die Magnesium-Knappheit), allerdings beleuchtet die KonicaMinolta-Geschichte noch einen anderen Aspekt von Peak Kapitalismus:

allerdings sind das weltweit die beiden einzigen Werke, die für Konicas Production Printing (PP) Maschinen Toner herstellen. Seit August wird kein Toner mehr für diese Maschinen hergestellt. Diese PP Maschinen sind in großen Hausdruckereien und auch bei Behörden sehr verbreitet und die können ohne Toner nichts mehr ausdrucken. Auch wir als Digitaldruckerei mit 5 PP-Maschinen sind davon betroffen und bangen jetzt um unsere Existenz, denn es gibt keine Alternative zu dem Originaltoner.

Natürlich bin ich da ganz bei Fefe, was die Alternativlosigkeit von Originaltoner angeht:

Eigentlich gäbe es natürlich überhaupt keinen Grund, wieso Toner für KonicaMinolta-Drucker nur von KonicaMinolta kommen sollte. Im Gegenteil gibt es da draußen tonnenweise Läden, die liebend gerne Toner billig nachfüllen würden. Leider hat die Politik versäumt, den Druckerherstellern zu untersagen, dass sie Selbstnachfüllung oder Fremdbefüllung verhindern.

Gravierender finde ich dabei allerdings, dass offenbar das Unternehmen KonicaMinolta insgesamt ein ziemliches Monopol auf Großdruckmaschinen zu haben scheint. Das fällt für mich unter Peak Kapitalismus – Oligopole und erst recht Monopole.

Das habe ich schon vor vielen Jahren von Paul C. Martin in dessen Buch Der Kapitalismus. Ein System das funktioniert gelernt:

Kartelle sind die Folge von Marktzusammenbrüchen und Preisverfall.

Und weiter:

Die älteste Monographie zum Thema, Kleinwächters “Die Kartelle” (Innsbruck 1883), gibt eigentlich schon den alles entscheidenden Hinweis. Kartelle, schreibt der Autor schlicht, seien “Kinder der Not”. Und in der Tat: Die Bildung von Kartellen, soweit sie sich noch relativ “staatsfrei”, also ohne Verbote, entfalten konnten, geht nicht kontinuierlich vor sich, sondern in Wellen, die sich genau spiegelbildlich verkehrt zum Auf und Ab der großen Konjunktur entwickeln: Floriert die Wirtschaft allgemein, nimmt die Zahl der Unternehmenszusammenschlüsse ab, laufen Kartellverträge oftmals aus; kommt es zur Krise, zumal zu langanhaltenden deflationären Prozessen, steigt die Zahl der Kartelle schlagartig an.

Weiterer Nachtrag vom 17.10.: Peak Kapitalismus gehört für mich in das umfassendere Geschehen der Menschheit in den Wehen.

Nachtrag vom 18.10.: Norbert Häring hat ein passendes Buch geschrieben, das ab 29.10. erhältlich ist – Endspiel des Kapitalismus. Und der Schweizer Gil Ducommun schöpft aus der integralen Theorie, um die Vision eines Wirtschaftens Nach dem Kapitalismus zu entwerfen. Letzteres Buch kostet übrigens nur 4 € beim Verlag.

Nachtrag vom 20.10.: Häring veröffentlicht in seinem Blog bereits Ausschnitte aus ebenjenem Buch. Besonders lesenswert in unserem Zusammenhang ist Kapitalismus ohne Zinsen. Darin finden sich u.a. diese Zahlen:

Tatsächlich schien sich vor Corona der Machtgewinn der größten Konzerne bereits deutlich zu verlangsamen. Zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2018 stieg das Vielfache, um den die Gewinne der 200 größten US-Konzerne den Durchschnitt aller US-Konzerne übertreffen, nur noch um kaum zehn Prozent: vom 15.000-Fachen auf das 16.300-Fache. Zum Vergleich: Von 1984 bis 2000 stieg dieses Vielfache um mehr als das Dreifache, von 4.500 auf 15.000.

Nachtrag vom 23.10.: Peak Kapitalismus auch in der Schweiz – Guy Parmelin ruft zur Vorbereitung auf Strom-Mangellage auf.

Nachtrag vom 24.10.: Diesen Aspekt von Peak Kapitalismus hatte ich noch gar nicht auf dem Schirm – US-Kündigungswelle erreicht neuen Rekord.

Im Land der Niedriglohnarbeit schmeißen so viele Menschen ihren Job hin wie nie zuvor. Andere bleiben und streiken für bessere Arbeitsbedingungen. Eine historische Welle des Unmuts zwingt US-Arbeitgeber dazu, ihre Angestellten besser zu behandeln.