Hagbard Celine über Neuro-Ökonomie

Hagbard Celine hat mir diesen alten Text zugespielt, um ihn dem deutschsprachigen Publikum näher zu bringen. Das ist auf jeden Fall ein weiteres großes Puzzleteil im Mysterium Geld.

Falls du den langen Text lieber ausgedruckt lesen willst, stelle ich ihn auch als PDF zur Verfügung.

Neuro-Ökonomie

Die Gesellschaft leitet sich vom Geschlechtlichen, von reproduktiven Beziehungen ab. Säugetierhafte Paar- und Gruppenbindungen (geprägte Gefühle der Zuneigung und des Vertrauens) hielten die ersten menschlichen Rotten als Arbeitsvereinigungen zusammen. Im Mittelpunkt stand dabei die Zärtlichkeit des Orgasmus – die gemeinsam erlebte Liebe in der genitalen Vereinigung –, aus dem die “sublimierte” Zärtlichkeit ausstrahlt, die zwischen Eltern und Kind, Bruder und Schwester, Onkel, Tanten und Großeltern, kurz in ganzen “Großfamilien” oder Jagd- und Sammelrotten vorhanden ist.

Der bezwingende Staat und die anschließende Spaltung der Gesellschaft in gesonderte Klassen von Privilegierten und Nichtprivilegierten brachte die Armut hervor. Armut als menschliche “Einrichtung” leitet sich von der Eroberung und der Regierungserrichtung ab (die einfallenden Kriegerhorden, die das von ihnen eroberte Gebiet weiterhin beherrschen) – und ebenso von der Statuierung von “Gesetzen”, um damit die Klassenteilung zwischen Eroberern und Eroberten aufrechtzuerhalten.

Wie jeder andere Primat hat der Mensch neurogenetische Schaltkreise, die zur Prägung durch Paar- und Gruppenbindungen bereitstehen. Der evolutionäre Zweck dieser Bindungen ist nach wie vor klassisch säugetierhaft: sie sichern das Bio-Überleben und den Hordenstatus. Sie programmieren auch die Mehrzahl der Saat mit – für das Überleben der Rotte notwendigem – heterosexuellem Fortpflanzungsverhalten, was wiederum die Bio-Überlebenssicherheit kommender Generationen vermittelt.

Der Aufstieg des erobernden Staates, der Feudalstaat und möglicherweise auch der moderne kapitalistische Staat haben die Bindung der Stammeshorden (der “Großfamilie”) zunehmend unterminiert und untergraben. In der fortgeschrittensten kapitalistischen Nation, den USA, sind kleine Hordenbindungen übriggeblieben; kaum ein US-Bürger wird wegen eines Autostoppers anhalten, Bettlern etwas geben und sogar seinen Nachbarn trauen. Normales Hordenbindungsverhalten im Hinblick auf Vertrauen, Mildtätigkeit, Zuneigung usw., wie man es in Feudalstaaten immer noch antrifft, ist hier geschwunden. Gefeierte Symptome der kapitalistischen Gesellschaft, wie “Anomie”1, “Angst”, “Verfremdung” usw., nehmen wegen diesem Mangel an normalen Hordenbindungen ihren Anfang.

Jene Schaltkreise, die normalerweise eine Gruppenbindung prägen, sind – ethologisch gesprochen – immer noch am Leben. (In der Sprache der Psychologie würde man demselben Gedanken Ausdruck verleihen, indem man darauf hinweist, dass das Bedürfnis nach Bio-Überlebenssicherheit immer noch besteht.) Diese säugetierhafte Konstante muss befriedigt werden, und in einer abstrakten Gesellschaft wird die Befriedigung abstrakt: Papiergeld wird in der kapitalistischen Gesellschaft zur Bio-Überlegensprägung.

William S. Burroughs hat den Kapitalismus mit der Heroinsucht verglichen und auf die fürchterlichen Parallelen hingewiesen: der Junkie benötigt seine regelmäßige Dosis, der Kapitalist ein regelmäßiges, sicheres Einkommen. Falls kein Stoff vorhanden ist, wird der Süchtige zu einem von Krämpfen geschüttelten Bündel Angst – falls kein Geld vorhanden ist, durchläuft der kapitalistische Bürger ein ähnliches Entziehungstrauma. Wenn der Stoff knapp wird, begehen Junkies Verzweiflungstaten und werden stehlen oder gar töten. Falls das Geld rar wird, werden auch die kapitalistischen Bürger rauben oder morden.

Laut Dr. Timothy Leary üben Opiate eine Funktion als Neurotransmitter des Bio-Überlebensschaltkreises aus. Das heisst, sie aktivieren an die Mutter-Kind-Bindung angeschlossene neurale Leitungen. (In Worten der prä-neurologischen Freudschen Psychologie gesagt: Der Junkie kehrt in den Armen von Mutter Opium zu den Wonnen der Kindheit zurück.) In einer Gesellschaft ohne normale säugetierhafte Gruppenbindung findet sich eine gleichartige Prägung in bezug auf Geld, indem kindliche Reflexe mit angelernten Assoziationen konditioniert werden. Der kapitalistische Bürger lernt neurologisch, dass Geld der Sicherheit gleichkommt, während Geldmangel Unsicherheit bedeutet.

Kindliche Trennungsangst (Angst, die alles besorgende Mutter zu verlieren) wandelt sich innerhalb der menschlichen Evolution recht bald zur allgemeinen Furcht vor einer Stammestrennung. Der wegen abweichenden oder unsozialen Verhaltens aus dem Stamm vertriebene Mensch erlebt echte Überlebensangst. (Der Stamm – die Horde – hatte unter primitiven Bedingungen eine sehr viel höhere Überlebenschance als das einzelne Individuum. Verbannung bedeutete somit zumeist den Tod, so wie die Trennung von der Mutter für das Kleinkind den Tod bedeuten kann.)

Seit das Geld in der kapitalistischen Gesellschaft den Stamm ersetzt hat, haben die meisten Bürger die althergebrachten Säugetieremotionen – Überlebensbindungen zwischen Kleinkind und Mutter, Individuum und Horde – auf Geld “umkonditioniert”. Diese Prägung beruht auf konditionierten, durch echte Entzugserfahrungen hervorgerufenen Assoziationen. Vor der Entwicklung des Sozialfürsorgewesens starben in der kapitalistischen Gesellschaft eine große Anzahl Menschen an Geldmangel – dasselbe kommt gelegentlich noch heute unter den sehr Unwissenden, sehr Scheuen und sehr Alten vor. (So erfror beispielsweise vor einigen Jahren ein älteres Paar in Buffalo, als ihm die örtliche Monopolgesellschaft – im Januar – die Heizung abstellte, weil es die Rechnung nicht bezahlen konnte.)

Die gängige europäische Bemerkung, wonach die Amerikaner “geldverrückt” seien, zeigt nur, dass die kapitalistische Abstraktion und der Zerfall des Hordenwesens hier weiter fortgeschritten sind als in den europäischen kapitalistischen Staaten.

Der Amerikaner, dem man das Geld entzogen hat, rast umher wie ein Wahnsinniger. “Angst”, “Anomie”, “Verfremdung” usw. werden stündlich größer und durch echten Sicherheitsentzug verstärkt. Die Armen in weniger abstrakten Gesellschaften gehen eine Hordenbindung ein und “lieben” sich gegenseitig (auf der Basis einer Dorfgemeinschaft). Die Armen Amerikas haben keine Gemeinschaftsbindung, sie sind nur an das Geld gekettet und hassen einander. Dies erklärt auch die paradoxe Beobachtung zahlreicher Kommentatoren, wonach Armut in traditionellen Gesellschaften Würde und sogar einen gewissen Stolz sichert, hier aber als entehrend und schändlich gilt. In der Tat hassen sich die Armen Amerikas nicht nur gegenseitig, sondern sehr oft, häufig vor allem auch sich selbst.

Diese Gegebenheiten der Neuroökonomie sind derart mit Schmerz und Verwirrung überladen, dass die meisten Amerikaner gar nicht darüber sprechen wollen. Die sexuelle Prüderie des neunzehnten Jahrhunderts hat sich zur Geld-Prüderie gewandelt. Das fortgeschrittenere Drittel der Bevölkerung spricht dennoch recht deutlich über die fetischistischen Aspekte ihrer Sexualprägungen (“Ich heb ab, wenn ich während des Vorspiels die Unterwäsche meiner Frau trage” oder was immer) – aber eine gleichartige Offenheit in bezug auf unseren Geldbedarf lässt jedes Gespräch versanden und leert den Raum.

Die Beweglichkeit der modernen Gesellschaft trägt zur Eskalation dieses Geld-Angstsyndroms bei. So gewährten beispielsweise während der großen Krise der dreißiger Jahre zahlreiche Lebensmittelhändler und andere Kleinläden ihren Kunden gelegentlich über mehrere Monate Kredit. Dieses Verhalten gründete auf den letzten abgegriffenen Fragmenten der althergebrachten Stammesbindung sowie auf der Tatsache, dass in jenen Tagen – vor 40 Jahren – noch jedermann jeden in seiner Nachbarschaft kannte. Heute käme dies nicht mehr vor; wir leben, wie es in einem Roman ausgedrückt wird, in einer “Welt voller Fremder”.

Im ersten Kapitel von The Confidence Man stellt Melville den Mann mit einem religiösen Tick, der ein Schild mit der Aufschrift “LIEBET EINANDER” trägt, dem Händler gegenüber, dessen Schild “KEIN KREDIT” verkündet. Diese Ironie sollte die ungewisse Mischung von Christentum und Kapitalismus im Amerika des neunzehnten Jahrhunderts widerspiegeln – Christentum wie Buddhismus und andere posturbane Religionen scheinen jedoch größtenteils ein Versuch zu sein, die Stammesbindung auf einer mystischen Ebene im Rahmen “zivilisierter” (d.h. imperialistischer) Zeiten neu zu erschaffen. Die Sozialfürsorge stellt dabei den staatlichen Versuch dar, eine solche Bindung nachzuahmen (auf eine knauserige, paranoide Art und Weise – im Geiste des kapitalistischen Gesetzes). Der Totalitarismus erscheint wie ein rasender mörderischer Ausbruch desselben Bemühens, den Staat in eine Stammesverbindung gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Bio-Überlebenshilfe umzuwandeln.

Das Erscheinen der libertären Philosophie in Amerika hat zwei Tendenzen gezeigt, die von den modernen Indeterministen nicht in Betracht gezogen worden sind – ein unkluges Verhalten, falls sich die obenerwähnte Analyse als stichhaltig erweist. Ich beziehe mich auf die Begriffe freiwillige Verbindung – eine neue Form der Stammesbindung auf höherer Ebene via gemeinsame Evolutionsziele – und alternative Zahlungsmittel. Die erstgenannte Idee findet sich hauptsächlich bei Warren, Greene, Spooner und Tucker – und anderen –, während letztere sowohl bei diesen Autoren als auch bei Dana, Ingalls, C. L. Swartz, Joseph Labadie, Bilgram, Levy usw. zu finden ist.

Freiwillige Verbindungen oder Kommunen ohne alternative Zahlungsmittel werden sehr rasch von der kapitalistischen Bargeld-Verflechtung wieder aufgesogen. Freiwillige Verbindungen, die sich öffentlich zu alternativen Zahlungsmitteln bekennen, werden gerichtlich unterdrückt und zerstört. Freiwillige Verbindungen, die – wie in Illuminatus! – geheime Zahlungsmittel benützen, gibt es möglicherweise schon. Hinweise oder Codes gewisser indeterministischer Publikationen des rechten Flügels lassen darauf schließen.

Keine Form des Indeterminismus oder des Anarchismus (Anarchokapitalismus und Anarchokommunismus inbegriffen) kann unter den gegenwärtigen Bedingungen mit “Welfarismus” – d.h. dem Anstreben eines Wohlfahrtsstaates – oder Totalitarismus konkurrieren.

Die heutigen Wohlfahrtspraktiken entstammen einem siebzigjährigen Kampf zwischen Liberalen und Konservativen; die meisten Schlachten haben dabei die Konservativen gewonnen. Das System funktioniert dabei so, dass das Suchtsyndrom verstärkt wird. Der Lohnempfänger erhält Ende Monat ein kleines Fixum, das akkurat so berechnet ist, dass damit die äußerst karge Misere des Alltags bis ungefähr zum zehnten Tag des folgenden Monats bestritten werden kann. Durch harte Erfahrungen lernt er oder sie so einzuteilen, dass es bis zum fünfzehnten oder vielleicht gar bis zum zwanzigsten Tag reicht – der Rest des Monats wird in akuter Bio-Überlebensangst verbracht. Wie jeder “Pusher” oder Skinnersche Konditionierer weiß, hält diese Entzugsperiode den gesamten Kreislauf aufrecht; Ende Monat wird dem Empfänger erneut ein Fixum ausgehändigt, und das ganze Drama beginnt wieder von vorne.

Die Liste der Fürsorgeempfänger wird stetig länger, da – selbst angesichts der augenfälligsten Unfähigkeit und dito Übergriffe – die Industrie, nach den Worten von Buckminster Fuller, dabei bleibt, mit weniger Personal mehr zu leisten und diesen Vorgang unablässig zu beschleunigen. Jedes Jahrzehnt werden weniger Leute einen Job haben und mehr Menschen von der Sozialfürsorge unterstützt werden. (Bereits besitzen 0,5 Prozent rund 70 Prozent des Vermögens, so dasss 99,5 Prozent sich gegenseitig heftig um des Überbleibsels willen zerfleischen.) Das Endresultat könnte eine vollständig konditionierte Gesellschaft sein, die – vollkommen abstrakt – nur mittels neurochemischer Geldsüchtigkeit zu motivieren wäre.

Um unsere Annäherung an diese Konditionierung zu ermessen, stelle man sich lebhaft vor, was man tun und fühlen würde, falls morgen unser gesamtes Geld und all unsere Geldquellen verschwunden sein würden.

Es ist wichtig, stets deutlich daran zu denken, dass wir hier nach wie vor von säugetierhaftem Normverhalten sprechen. In kürzlich durchgeführten Untersuchungen hat man Schimpansen darauf abgerichtet mit Geld umzugehen. Die Berichte weisen darauf hin, dass die Affen eine normale “amerikanische” Haltung gegenüber den geheimnisvoll mächtigen Wertzeichen entwickelten.

Die Illuminaten-Pyramide auf der Dollarnote, ebenso wie die “magischen” Embleme Lilie, Swastika, Doppeladler, Sterne, Samen, Monde usw., mit denen andere Nationen ihre Zahlungsmittel oder Dokumente umrankt haben, sind wesentlich für das Gespenstische der gesamten Monopolisierung des Mana oder der psychischen Energie durch den Staat. Hier liegen zwei Stücke grünes Papier, eines ist Geld, das andere nicht; der Unterschied liegt darin, dass das erste von den Hexenmeistern im Schatzamt “abgesegnet” worden ist.

Der kapitalistische Arbeiter lebt in derselben ununterbrochenen Angst wie der Opiatsüchtige. Der Quell der Bio-Überlebenssicherheit, die Neurochemie des Sicherheitsgefühls ist an eine äußere Macht gebunden. Die konditionierte Kette Geld bedeutet Sicherheit, kein Geld Angst wird kontinuierlich durch den Anblick jener verstärkt, die “gefeuert” worden sind und auf der Strecke bleiben. Psychologisch könnte dieser Zustand als chronische geringgradige Paranoia bezeichnet werden. Politisch wird das Manifestieren eines neurochemischen Missverhältnisses dieser Art als Faschismus bezeichnet: das Archie Bunker/Adolf Schicklgruber/Richard Nixon-Syndrom.

Wie Leary sagt: “Auf Angst und Gewalt aufgebaute Freiheitsbeschränkungen dominieren nunmehr unser soziales Leben – Angst und einschränkende Gewalt können die Form süchtig machender ‘Kicks’ annehmen, die von schizophrenen Politikern und Wirtschaftssystemen verstärkt werden; diese Politiker und Wirtschaftssysteme stützen sich ihrerseits auf die Freiheitsbeschränkung, auf das Hervorbringen von Angst und auf das Anreizen gewalttätigen Verhaltens.”

In Desmond Morris’ vollendeter Metapher handeln die nackten Affen genau wie Zootiere: Verzweiflung ist die Essenz der Käfighaltung. In unserem Falle bestehen die Gitter aus nicht-fassbaren, eingeprägten Spielregeln: Blakes “vom Geist geschmiedete Handschellen”. Wir sind buchstäblich bis aufs Hemd ausgeplündert worden. Wir haben buchstäblich unseren gesamten Verstand aufgegeben. Das konditionierte Wertzeichen, das Symbol Geld beherrscht unser geistiges Wohlbefinden.

Dieser Zustand scheint das zu sein, was Norman O. Brown in seinem umfangreichen Werk über unsere “polymorphe Perversität” zu sagen versucht; die Zerstörung der natürlichen körperlichen Ekstase innerhalb eines Prozesses, der von der Sublimierung des Geschlechtlichen (Gruppenbindung) zu derartig sozialen “Spielen” wie Geld führt. Die von Brown vorausgesehene “Auferstehung” des Körpers kann nur auf Grund einer neurosomatischen Mutation oder – wie Leary es nennt – mit Hilfe einer hedonistischen Steuerung erfolgen. Historisch gesehen sind die einzigen Gruppen, die sich wirksam von diesem gesellschaftsbedingten Angstspiel zu lösen wussten:

  1. sich vollkommen sicher fühlende Aristokraten; frei, die verschiedenen “geistigen” und “physischen” Freuden auszukosten;

  2. freiwillige, gemeinsame Armut teilende Gemeinden, eine auf klarer Entschlossenheit beruhende Neubildung des “Stammes- oder Hordenwesens”.

Wie andere Idealisten und Unzufriedene der Rechten und der Linken, so leiden auch die Anhänger des Indeterminismus an der gräßlichen Kluft zwischen ihren evolutionären Zielen und der abschreckenden Wirklichkeit des Alltags. Dieses Gefühl kompliziert weitgehend die Auflösung ihres eigenen Geld-Angst-Syndroms, mit dem Ergebnis, dass sich eigentlich alle recht schuldig in bezug auf die Art und Weise fühlen, wie sie sich das zum Überleben in der Welt domestizierter Affen notwendige Geld beschaffen.

“Er hat betrogen”, “sie hat betrogen”, “ich habe betrogen” sind Anklagen, die man täglich in jeder idealistischen Clique hört.

Jede Art “Geld zu machen” setzt uns automatisch schuldinduzierenden Schwingungen der eigenen Partei aus, während es uns paradoxerweise vor weiteren schuldinduzierenden Schwingungen einer anderen Partei bewahrt. Catch-22, das SNAFU-Prinzip usw. sind bloße Ausdehnungen der neuroökonomischen Falle: “Ohne Geld kannst du nicht leben.”

Wie Joseph Labadie folgerte: “Armut macht uns alle zu Feiglingen.”

Schließlich liegt auch im Ertragen der Armut eine Lust. Es ist wie die Lust am Überleben von Kummer, Trauer und Verlust; die Hemingwaysche Freude, standhaft zu bleiben und auf einen angreifenden Löwen weiterzufeuern; die Freude der Heiligen, jenen zu vergeben, die sie verfolgen. Das ist nicht Masochismus, sondern Stolz: Ich bin stärker gewesen, als ich jemals dachte, dass ich es sein könnte. “Ich habe weder geweint noch laut geschrien.” Das ist jene Freude, die Nietzsche und Gurdjieff im Nichtbeachten ihrer grausam schmerzhaften Krankheiten fanden; sie schrieben nur von dem “wachen” Zustand außerhalb von Gemütsbewegungen und Bindungen.

Papiergeld-Paranoia des rechten Flügels (die verschiedenen Verschwörungstheorien darüber, wie Angebot und Rückzug des Geldes manipuliert wird) wird in der kapitalistischen Gesellschaft zu allen Zeiten grassieren. Junkies haben einen ähnlichen Mythos in bezug auf die Pusher.

Nahrung, Kleidung und ein Dach auf dem Kopf sind in ihrer ganzen Realität bedroht, sobald das Geld – auch nur für kurze Zeit – weggenommen wird, und es tritt konkrete Entbehrung ein. Der domestizierte Affe ist von einem Spiel geistiger Symbole gefangen – aber die Falle ist tödlich.

Im unaufhörlichen Zerlegen eines schmerzenden Gegenstandes in all die Seitenwege und Verwicklungen seiner vielverschlungenen Qualen liegt eine Art masochistische Lust. Etwas davon findet sich hinter der “Objektivität” von Marx, Veblen, Freud und Brooks Adams. “So schlimm es auch ist, wir können es zumindest ansehen, ohne zu schreien”; solche Schriftsteller scheinen uns aufzumöbeln – und sich selbst damit!

“Nur diejenigen, die aus demselben Napf getrunken haben, wissen um uns”, hat Solschenizyn gesagt. Er sprach dabei von Gefängnissen, nicht von der Armut, aber beide sind sich gleich, indem sie traditionelle Bestrafungen für Dissidenten darstellen. Man ist stolz darauf, letztere hervorgebracht zu haben – wenn überhaupt einer überlebt.

Einer weitverbreiteten Ansicht nach ist die Gegenkultur der sechziger Jahre von Polizeiverbänden, Drogenschnüfflern und anderen Formen der Gewalttätigkeit zu Tode geschlagen worden. Mein Eindruck ist, dass man sie ganz einfach ausgehungert hat. Man hat den Geldhahn zugedreht; nach genügend langem Entzug krabbelten die Überlebenden auf das erste kapitalistische Rettungsboot, das in Sicht kam.

Kapitalismus, so schrieb Jack London, hat seinen eigenen Himmel (Reichtum) und seine eigene Hölle (Armut). “Und die Hölle ist Tatsache genug”, fügte er aus eigener, bitterer Erfahrung hinzu.

Die Vaterschaft ist etwas äußerst Problematisches, wird aber im Kapitalismus zur echten Heldentat. Wenn die Geldbeschaffung entzogen wird, erlebt der heutige Familienvater eine vervielfachte Angst: um sich selbst und um jene, die ihn lieben und ihm vertrauen. Nur der Kapitän eines sinkenden Schiffes kennt dieses “den Boden-unter-den-Füßen-Verlieren”, diese Wunde.

Das Überleben des Entsetzens ist die Essenz wahrer Einweihung. Denn jene leben am glücklichsten, die am meisten vergeben haben. Und wie Nietzsche sagte: “Alles, was mich nicht tötet, macht mich stärker.”


  1. Gesetzlosigkeit (das Recht des Stärkeren) ↩︎