Commons sind keine Dinge, sondern Beziehungen

Die aktuelle Oya nehme ich zum Anlass, zwei Tags hier im Blog umzubenennen: “Commons” in Commoning und “Gemeingüter” in Gemeinschaffen. Denn, wie Matthias Fersterer in Gemeinschaffen – ein »ander Seyn« schreibt:

Commons sind keine Dinge, sondern Beziehungen. Sie fordern uns zu prozesshaftem Denken heraus und lassen sich besser durch Verben als durch Substantive ausdrücken. Als gemeinschaffender Mensch eigne ich mich einem mehr-als-menschlichen Zusammenhang zu – sei es ein Wohnprojekt, ein Unternehmen, Acker- oder Weideland. Erst durch diese gelebte Beziehung entsteht ein Commons – in den Worten des Historikers Peter ­Line­baugh: »Es gibt keine Commons ohne Commoning«. Die je spezifischen Regeln des Pflegnutzens werden von den beteiligten »Commoners« (gemeinschaffende Menschen) auf Augenhöhe ausgehandelt. Eine übernutzte Lebens­quelle ohne klare Regeln mag alles mögliche sein, aber keine Allmende. Selbst Garret Hardin, Schöpfer des vielzitierten Mythos von der »Tragik der Allmende«, räumte dies in seinem – leider weit weniger bekannten – Nach­folgeessay »The Tragedy of the Unmanaged Commons« ein.

Hardins Artikel findet sich übrigens auch in dem Buch Evolutionary Perspectives on Environmental Problems neben einem Artikel von Elinor Ostrom u.a.

Hardin ist offensichtlich ein größeres Thema; die einen sagen, dass er Commons gar nicht wirklich verstanden hat, weil er immer nur durch die kapitalistische Eigentums-Brille drauf schaut, andere, dass auch diejenigen, die seinen Aufsatz als Argument aufführen, Commoning könne ja gar nicht funktionieren, ihn ebenfalls falsch verstanden haben. Im Wiki der Peer2peer Foundation findet ihr einen ausführlichen Artikel darüber.

Gemeinschaffen ist kein “Gemeineigentum”, sondern eben gerade gar kein _Eigen_tum. Die Oya hat dafür ebenfalls ein neues Wort geprägt: Gemeintum.

Nachtrag: Ein paar Kostproben aus Von der Kartoffel in der ­Kartoffelsuppe:

Simon Sutterlütti, Soziologe und im Commons-Institut aktiv, wird immer wieder mit folgender Aussage konfrontiert: »Für die Utopie brauchen wir gute Menschen. Darauf können wir lange warten.« Der Gedanke, dass die Menschheit erst geläutert werden oder erwachen müsse, um den Weg zu einer »besseren Welt« ­ebnen zu können, ist weit verbreitet. Simon ist anderer Meinung: »Wir brauchen keine guten Menschen, wir brauchen gesellschaftliche Bedingungen, die es uns nahelegen, gut zu sein. Commoning schafft diese Bedingungen. Im Kapitalismus leben wir auf Kosten anderer, auf Kosten der Umwelt, der Menschen, die unsere täglichen Lebensmittel herstellen, auf Kosten von uns selbst. Dies ist kein Resultat von Egoismus und Gier, sondern eine gesellschaftliche Nahelegung. Der Kapitalismus schafft Bedingungen, die Exklusion nahelegen. In diesem System können wir unsere Bedürfnisse besser befriedigen, wenn wir diejenigen anderer ausschließen. Wir kooperieren mit 7,7 Milliarden Menschen, indem wir die Preise der Konkurrenz unterbieten, bei Lohn und Umwelt sparen, mittels Kultur, Geschlecht und Staaten Grenzen ziehen, Kriege führen und uns selbst zu stetig steigenden Leistungen disziplinieren. In Commons kann ich meine Bedürfnisse besser befriedigen, wenn ich diejenigen anderer einbeziehe. Aber welche Bedingungen legen Inklusion nahe? Ich glaube: ›Freiwilligkeit statt Arbeit‹ und ›kollektive Verfügung statt Eigentum‹ – womit etwas anderes als ›kollektives Eigentum‹ gemeint ist. In Commons tun Menschen, was ihnen wichtig ist, wozu sie motiviert sind, und nicht, wofür sie bezahlt werden; darum müssen Commonsprozesse die Bedürfnisse der Beitragenden einbeziehen: Wie sind sie gerne tätig? Mögen sie Flexibilität oder klare Aufgaben? Schaffen Commons das nicht, zerfallen sie.«

»Hat das Miteinander eine gemeinschaffende Ausrichtung, schwindet eine höchst destruktive Empfindung: Angst – im Sinn von elementarer Angst, von Existenzangst. Fällt der Konkurrenzdruck weg, weil niemand mehr gewinnen oder sich durchsetzen muss, sondern ich mich darauf verlassen kann, dass meine Bedürfnisse und Fähigkeiten die zentrale Rolle spielen, erübrigt sich die Angst, nicht zu genügen, es nicht zu schaffen, gar die Lebensgrundlage zu verlieren. Nichts besetzt das menschliche Gehirn so einseitig wie Angst. Notwehr-Mechanismen werden aktiviert; es geht nur noch ums eigene Überleben und nicht mehr um das große Ganze. Vielleicht ist das Schaffen angstfreier Räume einer der Effekte, der es in Commoning-Zusammenhängen einfach macht, sich sozial zu verhalten. Damit ist keine heile Welt ohne Streit, Furcht und Zorn gemeint. Es macht aber einen großen Unterschied aus, ob die große Erzählung, der das Zusammenleben folgt, eine der Angst vor den anderen ist oder eine des Vertrauens in andere.«

Die beschriebenen Vorgänge sind anstrengend und auf Dauer potenziell frustrierend, aber sie machen »Commoning« aus. Es ist das informelle, kulturelle Schmiermittel einer funktionierenden Kollektivität. Es geht dabei nicht um Effizienz – im Gegenteil, manchmal ist genau Ineffizienz der Schlüssel zu gelingendem Gruppenhandeln! Commoning hat seinen eigentlichen Nutzen darin, dass es sich besser anfühlt, ein Ergebnis gemeinsam erreicht zu haben, als wenn ein Haufen gut instruierter und motivierter Einzeltäter das gleiche Ergebnis in der halben Zeit erreicht hat.

Und Michaela I. Abdelhamid führt das Gemeinschaffen auf das Kernthema meines Blogs zurück:

Vertrauensbeziehungen sind Beispiele gelingender sozialer Praxis, die gesellschaftliche, gemeinwohlorientierte Koordination jenseits von Tauschlogik und Berechnung möglich machen. Was macht diese Beziehungen so unvergleichlich stabil und zugleich lebendig? Warum fühlen sie sich so leicht, fraglos und in existenzieller Weise mit dem eigenen Selbstverständnis verwoben an? In Vertrauensbeziehungen zeigt sich auf eine beispielhafte Weise, dass wir keine isolierten Atome sind. Wir sind vielmehr Inter-Subjekte – erst durch den anderen gewinnen wir in einem Prozess gegenseitiger Anerkennung ein Verständnis unserer selbst im Verhältnis zur Welt. Vertrauen vollzieht sich im Rahmen eines intersubjektiven, höchst freiwilligen Prozesses. Im Vertrauen erkennen wir einander in unserem spezifischen, unverwechselbaren Sein an; es kann nicht einseitig hergestellt, erzwungen oder eingefordert werden – im Gegenteil: Vertrauen ist tiefste Anerkennung spezifischen, unverwechselbaren Seins. Diesem Sein, das stets schöpferisch ist, sind im Vertrauen keine Grenzen gesetzt. Insofern ist Vertrauen eine Gabe, die sich die Vertrauenden einander erweisen – jenseits der Berechnung und Kontrolle von Leistung und Gegenleistung, Geben und Nehmen, Kredit und Schuld. Vertrauen ermöglicht Hingabe – das Sich-selbst-Hingeben an das schöpferische Sein, das immer dasjenige des anderen und das schöpferische Sein-in-der-Welt einschließt. Solche Gegenseitigkeit würdigt, fördert, nährt und erhält unser Sein. In der Logik von Tausch, Berechnung und Egoismus sowie den zugehörigen Prozessen von Kommerzialisierung und Ökonomisierung werden diese lebenswichtigen Erfahrungen strukturell unterbunden und grundsätzlich missverstanden. Im Unterschied zur rein marktlichen Koordination sind es aber jene gelingenden kooperativen Beziehungsformen, die verlässliche, selbstverständliche, am Gemeinwohl orientierte gesellschaftliche Koordination ermöglichen. Wenn wir Beispiele gelingender sozialer Praxis verstehen und kultivieren wollen, müssen wir auch die Dogmen und Strukturen des liberalistischen und physikalistischen Denkens zur Sprache und ins Bewusstsein bringen.

Nachtrag vom 09.02.2020: Mir gefallen die Gedanken der Oya-Redaktion zu Gemeinschaffen als eine Form ­gelebten Widerstands.