Studiert Chemie!

Der Artikel Über kurz oder lang von Wolf Lotter aus dem brand eins Magazin hat mir aus mehreren Richtungen Impulse gegeben. Für meine Forschungsfrage in Sachen Konsensentscheidungen relevant ist ein Zitat des Münchener Soziologen Armin Nassehi:

“Die Demokratie hat man vor allem auch deshalb eingeführt, um Entscheidungsprozesse zu verlangsamen. Wenn einer allein entscheidet, geht das in der Regel ganz schnell. Die Willkür ist eine sehr schnelle Angelegenheit. Aber wenn man Parlamente hat, Ministerien, demokratische Strukturen, dann kann nicht schnell über einen Kamm geschert werden. Man kann mehr Meinungen berücksichtigen und Komplexität besser verarbeiten, wenn man ganz bewusst auf die Bremse tritt.”

Das gilt natürlich umso mehr für Entscheidungen im Konsens aller Betroffenen.

Der Unternehmensberater Ulrich Golüke sagt:

“Risiken sind immer in der Zukunft liegende Ereignisse, man muss sie also mit Langfristigkeit behandeln. Eine kurzfristige Gesellschaft ist nicht mehr in der Lage, eine Übereinkunft darüber zu treffen, wer wofür verantwortlich ist – sie kann also die Risiken nicht mehr verteilen.”

Nun aber zum Hauptteil dieses Beitrags, der auch die Überschrift erklärt. Michael Braungart ist ein Mensch, den ich unbedingt mal kennen lernen will. Er stellt der herrschenden Lehre von der Öko-Effizienz die Öko-Effektivität gegenüber:

“Hinter der gegenwärtigen Vorstellung von Ökologie steckt nichts Langfristiges, sondern nur ein romantisches Naturbild, zu dem immer auch gehört: Der Mensch ist schlecht. Denn wer die Natur überhöht, der muss den Menschen schlecht machen. Damit das Gewissen nicht so drückt, kaufen diese Leute Recycling-Produkte, zum Beispiel Klopapier, das als Recycling-Produkt aber derart viele Halogenwasserstoffe enthält, dass das Trinkwasser versaut wird. Kurzfristig ist das gut fürs Gewissen, das muss genügen. Man kauft ein Recycling-Produkt und ist damit kein ganz schlechter Mensch mehr, kein 100-prozentiges Schwein, sondern nur mehr ein 90-prozentiges.”

“Effizienz steht für Kurzfristigkeit, Effektivität für Langfristigkeit”, sagt Braungart, “das Effizienzdenken ist ein Mangelsystem. Man versucht, mit immer weniger von etwas auszukommen, zu vermeiden, zu sparen. Doch das ist der falsche Weg. Effektivität hingegen heißt, die Dinge grundlegend richtig zu machen.”

An dieser Stelle fiel mir Professor Hans-Curt Flemming wieder ein, der als Experte für Abwasseraufbereitung ebenfalls mit Unternehmen zusammenarbeitet, um deren Produktionsprozess grundlegend richtig zu machen anstatt deren Fehler nachher wieder auszubügeln. Etwas weiter hergeholt & dennoch im Thema fiel mir der Artikel Leistungsgrenzen von Fredmund Malik ein. Darin schreibt er nämlich, dass Menschen nicht an ihre Leistungsgrenzen kommen & alles geben was sie können, wenn sie nur darauf bedacht sind, ihre Schwächen loszuwerden. Das ist Effizienzdenken. Wer effektiv denkt, konzentriert sich auf die Stärken & was sich damit alles machen lässt.

“Wir arbeiten nach der Evolution. Denn die Evolution ist pure Vielfalt, weil das langfristig das einzige richtige Prinzip ist. Die Natur ist nicht sparsam oder vermeidet gar etwas, sondern ist im Gegenteil ungeheuer verschwenderisch. Es gibt von allem immer viel mehr, als nötig ist.”

Ein konkretes Beispiel:

Wer so denkt wie Braungart, öko-effektiv, der findet heraus, dass Autofahren für die Umwelt eine großartige Sache sein kann. In Katalysatoren verbrennen heute bei Temperaturen um 1700 Grad Celsius Millionen Tonnen Stickoxide. Sie werden nach dem Willen der Öko-Effizienten unschädlich gemacht. “Mit dem Output an Stickoxiden, die in Katalysatoren heute noch nutzlos verbrannt werden, kann man den größten Teil des Weltbedarfs an Stickstoffen decken – und den braucht man für Dünger. Aber der wird heute mit enormem Energieverbrauch und unter beträchtlicher Umweltschädigung extra erzeugt.”

Diesen Irrsinn plant Braungart nun gemeinsam mit dem Automobilhersteller Ford abzustellen. Ein Katalysator soll dabei herauskommen, der die nützlichen Stickoxide abfiltert. “Rein rechnerisch produzieren wir damit mehr, als die Landwirtschaft benötigt. Damit können wir die Mär von der Autoindustrie als einer der umweltschädigendsten Industrien überhaupt vergessen.”

Ein letztes Zitat von Michael Braungart:

Unter seinen Studenten finden sich heute aber immer mehr Leute, die “Gott sei Dank so eitel sind, dass sie sagen: ,Ich will etwas wirklich besser machen, besser, als uns das Normen und Politik vorschreiben‘”. Das klingt überheblich? “Eitelkeit ist für den Erfolg von langfristigen Projekten wahnsinnig wichtig. Qualität ist nämlich viel wichtiger als Moral.” Tatsächlich wollten die meisten Menschen, wie die Bauherren von früher, ein wenig Ewigkeit haben, ein bisschen unsterblich sein.

Wer das in seinem Konsumverhalten in die Praxis umsetzen will, dem seien hier die beiden Versandhandelshäuser Manufactum & Biber empfohlen. Ausserdem habe ich mit einem Paar Socken sowie einem T-Shirt von SmartWool bisher beste Erfahrungen gemacht auf meiner Reise. Ach ja, meine Schuhe von ComfortSchuh hatte ich schon erwähnt, sie passen hier aber gut nochmal hin.