Rudolf-Bahro-Symposium II

Zu Beginn ein persönlicher Einschub: Qualitatives Wachstum braucht erheblich langfristigere Vorfinanzierung als quantitatives Wachstum, weil dafür geforscht werden muss! Siehe dazu auch den Beitrag zu Michael Braungart.

Vom Homo consumens zum Homo integralis

Burkhard Bierhoff beschäftigte sich in seinem Vortrag viel mit den Ersatzbefriedigungen unserer kapitalistischen Gesellschaft. Er hielt dem die Freiwillige Einfachheit entgegen, was Bahro als “kontraktive Lebensweise” bezeichnete. So nach dem Motto “weniger ist manchmal mehr” ;-)

Mir gefällt dieser Ansatz allerdings deshalb nicht, weil er mit den Worten Michael Braungarts öko-effizient ist anstatt öko-effektiv. Das alles sind Negativforderungen, es geht darum “falsches” Verhalten zu minimieren.

Durch Verzicht komme ich nicht zur Fülle!

Im Gefolge Bahros wird hier plumpe “Grenzen des Wachstums"-Propaganda betrieben & ein Malthus-Revival gefeiert. Bierhoff kritisierte das Buch The Ultimate Resource des Ökonomen Julian Lincoln Simon, der darin die Behauptung einer festen Obergrenze der menschlichen Bevölkerung auf der Erde widerlegt. Zwar habe ich das Buch selber nicht gelesen, stimme jedoch mit der Argumentation überein. Schliesslich ist der menschliche Geist in der Lage, immer effektivere Technologien (materieller wie immaterieller Art) zu ersinnen, die die vorhandenen Ressourcen oftmals um Grössenordnungen besser ausnutzen als bisher. Vor Entdeckung der Kernspaltung waren die Uranvorkommen in der Erde nur nutzloses Metall; jetzt sind sie Energieträger. Genauso war es mit dem Erdöl.

Entscheidend ist nicht, dass bestimmte Rohstoffe auf der Erde vorhanden sind, sondern wie intelligent wir diese nutzen.

Welches Wachstum brauchen wir?

Dieter Steiner, emeritierter Professor für Quantitative Geographie & Humanökologie an der ETH Zürich, spricht in Analogie zur Ökologie von einer “seelisch-geistigen Nahrungskette”. Beim einzelnen Menschen lehnt er diese an die Maslowsche Bedürfnispyramide an.

In beiden Fällen beschreibt die Nahrungskette, wie ein Lebewesen bzw. ein Bedürfnis in einen grösseren Rahmen eingebunden ist. Die Jäger sind von ihrer Beute abhängig, so wie - laut Maslow - ein höherwertiges Bedürfnis erst auftritt, wenn die grundlegenderen Bedürfnisse befriedigt sind.

Im Bereich des Sozialen baut Steiner eine “Nahrungskette” von

  1. Ökologie
  2. Kultur im engeren Sinn
  3. Gesellschaft im engeren Sinn
  4. Wirtschaft

Sein Modell stellt - wie die Viergliederung - die heute bestehenden Verhältnisse “vom Kopf auf die Füsse”. Die Wirtschaft steht in der Nahrungskette ganz unten, sie hat den Menschen zu dienen & nicht umgekehrt.

Steiner machte eine interessante Anmerkung zur Vernunft: dem Wortsinn nach ist Vernunft nämlich das was vernommen wird! Wer vernünftig denkt & handelt, tut das floglich nicht aktiv, sondern indem er die Weisheit des Alls vernimmt.

Er erwähnte dann Wolfgang Harich, einen weiteren DDR-Dissidenten, der den Wachstumszwang in Ost & West kritisierte. Er schrieb ein Buch Kommunismus ohne Wachstum, in dem er einen nicht-wachstumsorientierten Kommunismus als einzige Möglichkeit zum Überleben der Menschheit darstellt.

Die vergessene Seite des Menschen

Hartmut Frank hielt einen Spontanvortrag, weil er für einen verhinderten Referenten eingesprungen war.

Ich gab seinem Vortrag den Titel Die Spaltung in & um uns.

Einleitend beurteilte er die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre als bisher nur Anpassungen patriarchaler Strukturen, in denen wir immer noch stecken.

Er bezog sich stark auf C.G. Jung, der die Spaltung in Ego & Selbst für die Ursache dafür hielt, dass sich nichts grundlegend in unserer Kultur ändert. Frank folgt Jung darin, den Zugang über das Erotische, tiefgründig-Seelenhafte zu suchen.

Was die Menschen heute brauchen, bezeichnet er als Öffnung zur starken Liebe.

Zum Abschluss seines Vortrags sagte er, dass wir versuchen, durch materiellen Konsum ein religiöses Bedürfnis zu sättigen.

Die emotionale Matrix : Bahros Ideen für eine transdisziplinäre Sozialökologie

Maik Hosang stellte in seinem Vortrag die Ideen vor, die er mit zwei weiteren Autoren im Buch Die emotionale Matrix ausführt. In diesem Zusammenhang weise ich gezielt noch einmal auf den oekom Verlag hin, der eine Menge interessanter Bücher veröffentlicht, so auch das von Maik.

Analog zu der Trichotomie Phänotyp - Umwelt - Genotyp (chemobiotische Matrix), die in der Biologie eine biologische Art kennzeichnet, analysiert Maik Hosang Gesellschaftsformen im Spannungsverhältnis Kulturtyp - Umwelt - Emotyp (biokulturelle Matrix). Der Emotyp bzw. die biokulturelle Matrix stellt dabei

die “Tiefenstruktur” einer Gesellschaft dar, das was in der Gesellschaft nicht bewusst reflektiert wird & dennoch oder gerade durch ihre Entwicklung steuert.

Die biokulturelle Matrix wird gebildet von sieben so genannten Existenzialen, die aufeinander aufbauen:

  1. Physis
  2. Sexus
  3. Macht
  4. Liebe
  5. Sprache
  6. Erkenntnis
  7. Sinn

Im Zentrum steht für Maik Hosang dabei die Liebe. Sie stellt auch in der

Abfolge der Existenziale den grössten qualitativen Sprung dar; wer liebt, orientiert sich an den Bedürfnissen bzw. Interessen anderer.

Podiumsgespräch

Aus dem Podiumsgespräch halte ich nur die Erkenntnis des Dutch Research Institute for Transition für erwähnenswert, dass kulturelle Veränderung immer an den Rändern geschieht, nicht im Zentrum einer Kultur!

Ganz zum Schluss zeigte Andreas Peglau noch einen Videomitschnitt einer Diskussionsveranstaltung mit Rudolf Bahro, Hans-Joachim Maaz und Bernd Senf aus dem Jahr 1992. Mein Eindruck von Bahro aus diesen Videoaufnahmen ist der eines freundlichen, sehr belesenen Denkers, der gern viel redet. ^^