Ein Traum vom Bedürfnis nach Sicherheit

In diesem Blog hatte ich noch nie einen Traum von mir geteilt, das ist heute also eine Premiere. Denn dieser Traum von Montag Nacht ist für mich so lehrreich, dass er einen eigenen Beitrag verdient:

Ich stehe in meinem alten Kinderzimmer in meinem Elternhaus im Souterrain. Der Morgen dämmert so langsam. Ich bin wach und schaue aus dem offenen, angekippten Fenster.
Dabei sehe ich, wie der Nachbar über den Zaun in unseren Garten steigt, um irgendwelche Dinge durch die Gegend zu werfen. Ich merke schnell, das sind Böller, die er immer so nach und nach anzündet und hierhin, dorthin wirft. Es knallt auch dabei. Er läuft so durch unseren Garten und wirft auch hinter sich. Ein Böller landet dann tatsächlich durch das angekippte Fenster in meinem Zimmer, fällt noch so von hier nach da und rollt dann schließlich unters Bett.
Das bringt mich schon irgendwie in Alarmstufe, in den “Fight or flight”-Modus. Dann sehe ich, wie hinten am Ende des Gartens ein Mitbewohner ihn erwischt und eingefangen hat. Er bringt ihn vor in Richtung auf mein Zimmer.
Dann stelle ich mir nur noch vor, das sehe ich nicht mehr als Traumbilder, sondern sage es mir halb noch im Traum, halb im Aufwachen, wie ich ihm

  • erst den linken Arm auskugle
  • dann den rechten Arm auskugle
  • dann das linke Knie breche
  • das rechte Knie breche
  • ihm in den Bauch trete
  • ihm die Nase breche
  • auf ihn draufpisse
  • und ihn dann so nach Hause kriechen lasse

Ein wahrhaft heftiger Traum. Aufgewacht bin ich bestimmt mit viel Adrenalin im Blut, immer noch im “fight or flight”-Modus, wobei ich im Traum ja den Fight-Modus eingenommen habe.

Was mir dabei klar geworden ist: rational betrachtet ist das zwar eine völlige Überreaktion darauf, dass er ein paar Böller durch die Gegend geworfen hat. Aber er ist in meinen inneren Bereich eingedrungen, und zwar auf eine bedrohliche Art, alles andere als freundlich. Mein grundlegendstes Bedürfnis nach Sicherheit wurde verletzt.

In so einer Situation reagiert man nicht rational. Da ist der erste neuronale Schaltkreis aktiv, der Bio-Überlebens-Schaltkreis. Der will nur dafür sorgen, dass mein innerer Bereich wieder sicher für mich wird – mit allen Mitteln. Verhältnismäßigkeit ist für diesen neuronalen Schaltkreis ein unbekanntes Konzept.

Wie man sieht, bedient sich der erste dabei auch des zweiten neuronalen Schaltkreises, dem gefühlsbezogenen, territorialen Schaltkreis. Was ich da mit dem Nachbarn tun will, dient alles dazu, meine Überlegenheit ihm gegenüber sicherzustellen. Er soll eben nur noch kriechen können, während ich buchstäblich über ihm stehe. Dass ich auf ihn pisse, trägt dazu insofern psychologisch bei, als ich ihm demonstriere, dass er mir unterlegen ist. Wäre er gleichwertig oder mir überlegen, würde er das nicht zulassen.
Das wiederum soll dafür sorgen, dass er so etwas nie wieder macht, es soll also das Bedürfnis des ersten neuronalen Schaltkreises nach Sicherheit erfüllen.

Im Nachdenken über diesen Traum fiel mir ziemlich schnell der Drohnen- und Raketenangriff des Iran auf Israel ein. Auf den ersten Blick scheint es ähnlich übertrieben zu sein, auf so eine Art darauf zu reagieren, dass die israelische Armee “nur” eine iranische Botschaft bombardiert hat. Doch auf dieser kollektiven Ebene zeigt sich: wenn die eigene Sicherheit bedroht ist, handelt man nicht mehr rational. Dann übernehmen die ersten beiden neuronalen Schaltkreise. Und dann gerät auch in den Hintergrund, wie sich der Konflikt in der Vergangenheit entwickelt hat. Die ersten beiden neuronalen Schaltkreise kennen keine Geschichte, sondern nur die momentane Lage.

Ein weiterer Aspekt, der mir noch aufgefallen ist: dass es mein Nachbar ist, der da auf meinem Grundstück Böller bis unter mein Bett wirft, spielt auch eine wichtige Rolle. Wäre es ein Fremder, bräuchte ich nicht so drastische Maßnahmen. So jemand kann ich noch relativ leicht von meinem Grundstück verscheuchen. Der Nachbar wohnt aber direkt nebenan Tür an Tür mit mir und ist damit eine ständige Bedrohung meiner inneren Sicherheit (diesen Begriff habe ich bewusst gewählt, um die Analogie zur Politik zu verdeutlichen).

Auch da drängt sich die Parallele zur Weltpolitik auf: militärische Konflikte spielen sich meistens zwischen Nachbarstaaten ab (globale Hegemonieansprüche mal außen vor gelassen). Denn wenn die feindliche Armee direkt an der eigenen Grenze steht, ist die Bedrohung natürlich größer als wenn noch tausende Kilometer dazwischen liegen – und damit der Anreiz für einen “Präventivschlag”.

Als Fazit hat mir dieser Traum sehr eindrücklich gezeigt:

Wenn wir mit Konflikten konstruktiv umgehen und vermeiden wollen, dass sie eskalieren, ist es entscheidend wichtig, das Sicherheitsbedürfnis aller Beteiligten anzuerkennen und zu wahren.

Nachtrag: Das ist sozusagen der neurologisch-evolutionäre Hintergrund von Art. 13 GG. Ich kann jetzt auch etwas besser nachvollziehen, wie sich Menschen fühlen, in deren Wohnung eingebrochen wurde. Und mir ist noch klarer geworden, was für ein heftiger Eingriff eine Hausdurchsuchung ist.
Der Traum zeigt unmissverständlich, dass der Nachbar unbefugt eingedrungen ist, denn er ist über den Zaun gestiegen, obwohl es einen Eingang gibt, der noch nicht mal ein Gartentor hat.

Und was ich noch vergessen hatte zu erwähnen: das Ganze spielt sich auf einer vorsprachlichen Ebene ab, denn Sprache erscheint erst im dritten neuronalen Schaltkreis.

Nachtrag vom 18.04.: Würde ich das, was ich mir im Traum ausgemalt habe, in die Tat umsetzen, dann würde ich natürlich meinerseits das Sicherheitsbedürfnis meines Nachbarn aufs Äußerste verletzen. Sollte er das überleben, könnte er im nächsten Schritt “seine Brüder holen” und die dann gemeinsam mein Haus niederbrennen. Das ist genau die Eskalationsspirale, die es gilt anzuhalten und umzukehren.