Mit Tyler Durden zum Nullpunkt

Ich hab mich noch nie in meinem Leben geprügelt. “Was weisst du über dich, wenn du dich nie geprügelt hast?” fragt Tyler Durden. Wahrscheinlich habe ich mir deshalb heute zum dritten Mal Fight Club angeschaut. Absolut krasser Film, vielleicht sogar der krasseste Film den ich je gesehen habe.

Schon vor einer ganzen Weile hab ich mich gefragt, was bin ich bereit aufs Spiel zu setzen? Denn wenn mein Einsatz - den ich im Spiel verlieren kann - mir nicht wertvoll ist, wie will ich dann etwas Wertvolles gewinnen?

Wenn du dich prügelst, kannst du verdammt hart was auf die Fresse kriegen, es tut tierisch weh & kann auch mal bleibende Spuren hinterlassen, Narben, Lücken im Gebiss. Für mich wohl das Entscheidende: Ich kann nicht kontrollieren, was in einem Kampf mit mir geschieht. Es fliesst Blut. Das zeigt, dass der Kampf echt ist, dass es um was geht. Authentisches Erleben. Dem Schmerz, den du da erfährst, kannst du nicht ausweichen, du kannst ihn nicht betäuben. Du kannst nicht vor ihm davonlaufen. Du kannst dich nicht drücken. Dir bleibt nichts anderes übrig als dich zu verantworten. Du stellst dich deiner Angst, deinem Schmerz. Du bleibst da & gibst dich hin, direkt, ungefiltert.

Fight Club ist eine spirituelle Parabel. Eine Geschichte des Erwachens. Schonungslos erzählt. Zu erwachen ist nämlich kein Zuckerschlecken, sondern brutal. Die Wahrheit ist nur die Wahrheit, wenn sie weh tut. Wenn sie dich zerstört, wenn sie kein Stück deiner Identität beim alten lässt. Erwachen ist Sterben. Der Nullpunkt, wie Tyler Durden es nennt.

Erst nachdem wir alles verloren haben, haben wir die Freiheit, alles zu tun.

Allerdings hab ich keine zweite Persönlichkeit, die mal eben meine Wohnung sprengt. Zugegeben, ich hab meine Wohnung aufgegeben - aber es gibt immer noch ne Menge Zeug, an das ich mich hänge. Ein guter Teil davon befindet sich auf der Festplatte dieses Notebooks hier.

Also gehe ich den langwierigen Weg des Erwachens. Aus Angst, die volle Dosis auf einmal könnte mich umbringen oder wahnsinnig werden lassen. Dabei geht es genau darum. “Ich” definiere “mich” über meine persönliche Geschichte, baue mich aus alten Gewohnheiten & Routine zur Identitäts-Festung aus. Sehne mich zugleich nach Nähe, aber wer will schon einer Festung nahe sein? Ich bin echt ein totaler Kontroll-Fanatiker. Wesentliches Merkmal eines Süchtigen, wie ich inzwischen weiss. Denn die totale Kontrolle kann nur eine Illusion sein, niemand ist schliesslich allmächtig.

Mein inzwischen schon Monate währender Kraftsatz “Lehn dich zu weit aus dem Fenster!” ist ein Versuch, mich aus meiner Programmierung herauszureissen. Solange ich mich nur fast zu weit aus dem Fenster lehne & gerade noch im letzten Moment mich selber “rette”, bleibt alles beim alten. Mit der Situation kann ich umgehen, dafür verfüge ich über altbewährte Handlungsmuster. Falle ich aber tatsächlich aus dem Fenster raus, dann versagen alle Programme. Das wäre eine neue Situation, in der ich auf keinerlei Regeln & altes Wissen zurückgreifen könnte. Mich prügeln wäre sowas. Zum Beispiel. Allerdings ein Beispiel, das mir gehörig reinfährt & mich tief verunsichert.

Trotzdem ist mir das alles noch tausendmal lieber als bei “Satsangs” irgendwelchen “Erleuchteten” hinterher zu rennen.

Wenn Tyler das hier sagt, meint er mich ganz persönlich:

Hör auf, alles kontrollieren zu wollen - lass einfach los!

Spirituelles Erwachen ist eine einsame Angelegenheit. Meiner Angst kann ich mich nur ganz alleine stellen. Gemeinschaft ist da ganz weit weg. & es wäre mehr als vermessen, von meiner Gemeinschaft zu erwarten, dass sie bei mir ist, wenn ich Angesicht zu Angesicht vor meiner Angst zu sterben stehe. Das kann keine Gemeinschaft. Dafür ist Gemeinschaft auch nicht da. Eine Lebensgefährtin oder ein Lebensgefährte genauso wenig. Loslassen kann ich nur ganz allein für mich - denn ich ganz allein halte mich fest an meinem Selbstbild, meiner Identität, meinen Gewohnheiten.

Spirituelles Erwachen ist wahrhaft eine einsame Angelegenheit. Puuh.

Du bist nicht dein Job. Du bist nicht das Geld auf deinem Konto. Nicht das Auto, das du fährst. Nicht der Inhalt deiner Brieftasche. Und nicht deine blöde Cargo-Hose. Du bist der singende, tanzende Abschaum der Welt.