Kato-Gesprächsabend in Bremen

Kato? Who the f**k is Kato? Das fragte ich mich damals, als ich den Artikel in der KursKontakte über das Kato-Prinzip las. Erst als ich mir dann auch das Buch gekauft hatte, erfuhr ich darin, dass sich der Name auf den Karatekämpfer in den Inspektor Clouseau-Filmen bezieht. Es geht beim Kato-Prinzip darum, auf spielerische Art Achtsame Kommunikation zu üben. Der Karatekämpfer Kato wurde deshalb zum Namensgeber, weil Inspektor Clouseau ihn engagiert, um ihn in jeder denkbaren Situation zu überfallen. Auf diese Weise schult Clouseau seine Achtsamkeit. Heute Abend wurde mir noch einmal klar, was der Grundgedanke des Kato-Prinzips ist: JedeR ist für sich selbst voll verantwortlich, & zwar nur für sich selbst! Jeder Versuch, eigene Verantwortung abzugeben oder sich für andere zu verantworten gibt Punkte. Diese Punkt sind also allesamt Minuspunkte. Analog zu Inspektor Clouseau & Kato spielt mensch am besten in einer Gruppe, so dass sich die Leute gegenseitig auf solche Formulierungen aufmerksam machen. Es geht zwar prinzipiell auch allein, vieles bemerken jedoch andere eher als mensch selber. Ich habe bisher keine Gruppe dafür gefunden & trotzdem meine Aufmerksamkeit so geschult, dass ich so gut wie nicht mehr “ich muss …” sage. Sage ich z.B. “Ich muss morgen um halb acht aufstehen”, dann stelle ich mich zum Aufstehen wie einer Naturgewalt. Dabei entscheide ich mich doch selbst - aus mehr oder weniger guten Gründen - dafür, um diese Uhrzeit aufzustehen.

Mit Formulierungen wie “Fahr vorsichtig!” oder “Zieh dich warm an!” oder auch “Bist du sicher, dass du das schaffst?” misstraue ich meinen Mitmenschen, dass sie selbst verantworten können was sie tun. Folglich gibt es auch für solche Phrasen Punkte. Das gefällt mir am Kato-Prinzip sehr: Den Grundsatz der vollen Verantwortlichkeit für mich selbst habe ich gefälligst auch auf alle anderen Menschen anzuwenden. Sobald ich also mit zweierlei Mass messe, hagelt es Punkte. Oft versucht mensch ja auch, andere für etwas (allein) verantwortlich zu machen, woran mensch selbst mindestens einen erheblichen Anteil trägt. Das ist das Gegenstück dazu, anderen Menschen ihre Verantwortung für sich selbst abzusprechen; es wirkt genauso negativ.

So weit war mir also schon vor dem heutigen Abend klar, was das Kato-Prinzip will. Die beiden AutorInnen, Stephanie Bergold & Otmar Preuß (siehe SprungChance) boten zum zweiten Mal einen Gesprächsabend an. Ausser mir war noch eine andere Frau da - es war also eine sehr kleine Runde! Dadurch hatten sie & ich viel Gelegenheit, mit Stephanie & Otmar über das Buch zu sprechen & das Kato-Prinzip “am eigenen Leib zu erfahren”.

Ich sprach beispielsweise die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) von Marshall Rosenberg an, die mir vor allem im ZEGG & auch bei anderen Gelegenheiten schon mehrfach begegnete. Das Kato-Prinzip weist nämlich starke Ähnlichkeiten dazu auf, geht jedoch noch einen entscheidenden Schritt weiter: Während Rosenberg ganz zentral von Bedürfnissen ausgeht (sowohl eigenen als auch denen der anderen Menschen, mit denen ich kommuniziere), haben sich Stephanie Bergold & Otmar Preuß vom Bedürftigkeits-Denken verabschiedet. Für ein Bedürfnis bin ich letztlich nicht verantwortlich, es erscheint als “meine Natur”. Womit wir übrigens wieder bei der New Age-Kritik wären. Mir gefällt aus diesem Grund das Kato-Prinzip besser als die GFK. So rede ich seit einiger Zeit nicht mehr von Bedürfnissen, sondern von Interessen. Ein Interesse ist nichts Absolutes wie ein Bedürfnis, das ich auf die ein oder andere Weise unbedingt befriedigen muss - ich kann ggf. einen Kompromiss aushandeln oder mein Interesse bis auf Weiteres ganz zurückstellen & mich anderen Interessen widmen. So steige ich aus der Opferrolle aus & erkenne an, dass ich ein freier Mensch bin. Dieser Ausstieg aus der Opferrolle kann sehr schmerzhaft sein, siehe dazu die Bücher von Arno Gruen, vor allem sein bekanntestes Werk Der Wahnsinn der Normalität.

Der Unterschied wird an folgenden Zitaten deutlich:

Wir gehen davon aus, dass es keine Herausforderungen gibt. Wir sind allem gewachsen & können mit jeder Situation umgehen. Deswegen brauchen wir uns nicht, was umgekehrt nicht heisst, wir wären nicht füreinander da. Das heisst nur: Wir sind nicht mehr besorgt umeinander. Sich umeinander sorgen basiert auf Angst, auf der Annahme, der andere sei nicht stark genug. Damit aber können wir einander schwächen.

Leben wir ehrlich, so heisst das:

  1. Wir nehmen keine Rücksicht auf andere (im Sinne von schonen).
  2. Wir wissen, dass der andere mit allem umzugehen weiss.
  3. Wir schonen uns nicht.

_Rück_sicht ist nicht gewärtig & meint: “Du hast nicht so viel Kraft, du bist kein ganzer Mensch.” Und: “Ich weiss, was besser für dich ist.” (Anmerkung im Buch: Es gibt auch die andere Bedeutung von “Rücksicht”, im Sinne von achtsam sein. Deswegen ist es wichtig, genau hinzuschauen, was gemeint ist, wenn von “Rücksichtnahme” die Rede ist.)

Die beiden AutorInnen vertreten damit eine sehr radikale Auffassung; ich mag diese Sicht der Dinge. Denn mir ist ja sehr daran gelegen, emanzipatorische Denkansätze zu finden & (weiter-) zu entwickeln.

Neu für mich waren die folgenden Einsichten in die Natur des Fragens: “Inquisitorische Fragen” (“wo warst Du gestern Abend?” u.ä.) geben nämlich auch Punkte. & generell ist Fragen eine heikle Angelegenheit, weil damit Machtstrukturen in die Kommunikation hineinkommen. Zugespitzt lässt sich formulieren:

Der Frager hat immer die Macht!

Denn wer eine Frage gestellt bekommt, gerät dadurch in Zugzwang. Der/die Fragende erwartet schliesslich eine Antwort. Vor allem die Warum-Fragen sind gefährlich. Dazu ein weiteres Zitat:

Eine andere Möglichkeit, Machtspiele zu spielen, ist, von anderen Gründe für ihre Entscheidungen zu verlangen, anstatt diese anzuerkennen, auch wenn sie uns nicht gefallen. Sie sind vor allen Dingen gegenüber Kindern beliebt, die damit unter Rechtfertigungsdruck gesetzt werden: “Warum hast du das getan?” In weniger ernsten Fällen kommen Kinder oft noch mit einem “Darum” davon, wobei diese Antwort zeigt, dass ihnen vollkommen klar ist, wie unangemessen sie eine solche Frage empfinden. Bei Erwachsenen scheint das nicht mehr so klar zu sein.

Mir ging die radikale Ablehung des Fragens, sofern ich nicht tatsächlich etwas Sachliches wissen will, zuerst zu weit. Immerhin habe ich für mich vor einiger Zeit ein universelles Recht, sich einzumischen postuliert, kombiniert mit dem Grundsatz des Rechtsstaats: Der Angeklagte hat das Recht die Aussage zu verweigern. Auch wenn die Struktur der Sprache das nahelegt, so muss ich doch auf keine Frage antworten. Ich habe jederzeit das Recht zu sagen “Dazu sage ich jetzt nichts”.

Im Laufe des Abends kapierte ich, was für ein grundlegender Paradigmenwechsel das ist. Ich frage also z.B. meine Partnerin nicht mehr, wie es ihr grad geht oder wie ihr Tag war. Sondern ich überlasse es ihr, davon zu erzählen oder auch nicht. Indem ich frage, versuche ich Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen; oder wenn nicht das, so dränge ich ihr doch auf jeden Fall auf, worüber sie mit mir redet. Anders - & im Sinne des Kato-Prinzips - läuft das ab, wenn ich von mir spreche. Damit mache ich ihr lediglich ein Angebot. Ob sie darauf eingeht, oder von sich aus über etwas ganz anderes spricht, liegt an ihr. Stephanie Bergold nannte als Beispiel einen Kurs, den sie an der Volkshochschule gegeben hatte. Am Schluss wünschte sie sich ein Feedback der KursteilnehmerInnen. Fragt sie nun “Wie hat Ihnen denn der Kurs gefallen?”, oder sagt sie von sich selbst ausgehend “Mich interessiert, wie Ihnen der Kurs gefallen hat. Wer mag, kann jetzt dazu etwas sagen”, dann fühlt sich das sehr unterschiedlich an. Im einen Fall fühle ich mich genötigt, den Kurs zu kommentieren (& dabei auch noch möglichst positiv!), im anderen Fall kann ich etwas dazu sagen, wenn es mir selber wichtig ist, ich kann aber auch einfach schweigen.

Der Schweizer Psychologe Aron Ronald Bodenheimer hat zu diesem Thema ein kleines Büchlein (erschienen im Reclam Verlag) geschrieben: Warum? Von der Obszönität des Fragens. Das werde ich mir demnächst besorgen. Als Fazit ist jedenfalls hängen geblieben: Frage nur, wenn du tatsächlich etwas vom anderen wissen willst!

Übrigens ist Jean Gebser eine wesentliche Inspirationsquelle für das Kato-Prinzip.

Es hat mich besonders im Rahmen meiner Gemeinschaftsreise zum Kato-Gesprächsabend gezogen, weil das Kato-Prinzip in Gemeinschaften bestimmt sehr sinnvoll sein kann. Gerade wo Menschen nicht nur zusammen wohnen, sondern gemeinsam arbeiten & leben, entschärft die Haltung, sich selbst für das was mensch tut zu verantworten, viele Konflikte.