Freies Kinderaufwachsen II

Gestern habe ich mir bei der Sudbury-Schule in Leipzig zwei Hefte Natürlich lernen - wie neue Menschen werden des Continuum Waldkindergarten e.V. mitgenommen & heute gelesen. Da stehen so viele spannende & wichtige Sachen drin, dass das einen eigenen Eintrag rechtfertigt.

Obwohl das Einstein-Jahr gerade rum ist, zitiere ich dennoch zu Beginn Albert Einstein: Es ist in der Tat fast ein Wunder, dass die modernen Methoden des Unterrrichts die heilige Neugier des Forschens noch nicht völlig erstickt haben, denn diese zarte, kleine Pflanze bedarf ausser dem Ansporn hauptsächlich der Freiheit. Ohne diese geht sie ohne jeden Zweifel zu Grunde.

Deutschland ist das einzige europäische Land mit einer Schulpflicht; übrigens seit 1938. Anderswo gibt es lediglich eine Bildungspflicht, dort sind andere Formen jenseits staatlich zugelassener Schulen zulässig. Dem Hausunterricht (neudeutsch Homeschooling) stehe ich deshalb skeptisch gegenüber, weil dabei nur die Eltern nur ihre eigenen Kinder unterrichten; das ist an sozialen Kontakten sehr eingeschränkt. Schulen wie Sudbury, die sich explizit als eine Gemeinschaft versteht, gefallen mir viel besser. Es kann ja auch eine ganze Gemeinschaft sich als Lernort für die dort Lebenden verstehen. Hauptsache die Kinder haben eine grosse Auswahl an sozialen Kontakten zu Menschen aller Altersstufen.

Im ZEGG, der Gemeinschaft wo alles anfing mit meiner Reise, ist freies Kinderaufwachsen wie in vielen Gemeinschaften ein wichtiges Thema. Heckenbeck zeigt, dass die Zeit für freie Schulen mehr als reif ist.

Ein paar davon, die ich bisher noch nicht erwähnt hatte, sind die Sands School in England, die Freie Aktive Schule Esslingen, die Freie Aktive Schule Stuttgart, die Freie Schule Fläming (wo wir schon gerade beim ZEGG waren) sowie Schkola - ein Zusammenschluss mehrerer freier Schulen im Dreiländereck, dort wo sich auch die Kulturfabrik Mittelherwigsdorf befindet.

Lernen ist wie Sex! Das berichtet die Zeit in ihrem Artikel Auf der Suche nach dem Kapiertrieb. Menschen zum Lernen zu zwingen ist also mindestens so hirnrissig wie (gesunde) Menschen zu Essen zu zwingen. Sie tun es eh von sich aus. In diesen Zusammenhang gehört der Hirnforscher Gerald Hüther, der das Bildungsnetzwerk WIN-Future ins Leben gerufen hat.

So, & nun kommt das grosse Namedropping Teil 2: Bekannte Schul-KritikerInnen sind John Holt, Alice Miller, Ivan Illich & Ekkehard von Braunmühl, der Begründer der Antipädagogik. Dann gibt es noch die Freinet-Pädagogik, die nicht-direktive Begleitung nach Rebeca Wild & Jesper Juul mit seinem Konzept “Das kompetente Kind”. Von Rolf Robischon habe ich nur einen kurzen Absatz gelesen, erwähnen tue ich ihn dennoch. Arno Gruen untersucht in seinen Büchern die Folgen davon, dass in unserer Kultur die meisten Kinder (zwangsweise!) lernen, sich nicht für sich selbst zu verantworten & ihre Gefühle abzuspalten. Das Ergebnis nennt er den Wahnsinn der Normalität.

Weitere Bücher zum Thema sind z.B. Schulfrei. Lernen ohne Grenzen von Stefanie Mohsennia, Olivier Keller: Denn mein Leben ist Lernen, David Gribble: Schule im Aufbruch. Es gibt auch einige Bücher zur anarchistischen Pädagogik. Die KursKontakte hat eine Rubrik anders lernen.

Vereine u.ä. Institutionen, die sich mit freiem Kinderaufwachsen & selbstbestimmtem Lernen beschäftigen, sind die Initiative Schulpflicht - Nein Danke!, Mit Kindern wachsen, Amication. Das Leben jenseits von Bevormundung und Erziehung. sowie das Institut für Autopoietisches Lernen

In der Zeitschrift Natürlich lernen Heft 02 steht ein Artikel von Anna Tardos über das Emmi-Pikler-Institut (Lóczy), den ich sehr berührend & zugleich aufschlussreich fand. Emmi Pikler hat über lange Zeit Säuglinge beobachtet & dabei herausgefunden, dass sie von sich aus neue Positionen & neue Bewegungen ausprobieren. Sitzen, stehen & laufen lernen kleine Kinder ganz von alleine, es muss kein Erwachsener dabei Händchen halten o.ä. Die deutschsprachige Homepage des Lóczy ist www.kinder-leicht.de, der Verein Wege der Entfaltung e.V. beschäftigt sich u.a. mit den Erkenntnissen von Emmi Pikler & unterstützt das Lóczy.

Mir fiel beim Lesen des Artikels spontan die Feldenkrais-Methode ein, die sich mit unseren Bewegungsmustern beschäftigt. Bei der Feldenkrais-Ausbildung fängt mensch an mit den Bewegungsmustern des Säuglings. Jean Liedloff hat bei Expeditionen zu einem Stamm im Amazonasgebiet viel über die Entfremdung von Geburt an herausgefunden, die in der westlichen Kultur praktiziert wird. Ein ganz grosses Anliegen ist es ihr, dass Säuglinge lange Zeit von ihrer Mutter (oder auch einem anderen Erwachsenen) getragen werden. Die Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen an der Uni Freiburg unter der Leitung von Evelin Kirkilionis führt u.a. zu diesem Thema wissenschaftliche Studien durch. Ebenso sollten nach Jean Liedloff Kinder möglichst lange gesäugt werden. Sheila Kitzinger setzt sich ebenfalls dafür ein.

Das Kato-Prinzip habe ich ja seinerzeit durch den Artikel Kommunikation mit Kindern kennen gelernt. Otmar Preuß hat auch ein Buch über Pädagogik als Begleitung statt Erziehung geschrieben: Schule halten. Vom Abenteuer, Lehrer zu sein.