Wäsche waschen und Klo putzen als spirituelle Übung

Nichts ist zu banal, als dass man nicht daraus lernen könnte. Ich bin seit Jahren Fan der Icebreaker-Unterwäsche aus Merinowolle. Die wasche ich immer von Hand, was ich gerade wieder getan habe. Dabei habe ich dieses Mal über Reinheit und Unreinheit nachgedacht. Tantra will diesen Gegensatz transzendieren, wie Frank in Was ist Tantra? schreibt:

Da alle Dinge und Wesen Formen manifestierten unlimitierten Bewusstseins sind, ist jeder Aspekt des Lebens, jede Erfahrung, die wir machen können, gleichermaßen “rein”, bzw. jenseits von “Reinheit” und “Unreinheit”.

Dennoch waschen auch Tantriker ihre schmutzige Wäsche und reinigen ihre Körper, bevor sie sich vereinigen (und auch sonst). Warum tun sie das, wenn es doch den Gegensatz eigentlich gar nicht gibt? Ich würde sagen, sie erkennen einfach die unterschiedlichen Ebenen der Wirklichkeit an. In der dualen Welt der Erscheinungen gibt es Reinheit und Unreinheit, oder profaner ausgedrückt Schmutz. Das merke ich jedes Mal ganz leiblich, wenn ich meine schmutzige Wäsche wasche. Erst mal lasse ich sie mit dem Waschmittel im Wasser eine Weile stehen, damit das Waschmittel einwirken kann. Dann spüle ich meine Klamotten mehrmals durch und wringe sie jedes Mal aus. Dabei kann ich beobachten, wie mit jedem Spülgang das Wasser sauberer herauskommt. Und doch, so ganz 100%ig klar wird es nicht werden. Und egal wie sauber die Wäsche nach dem Waschen geworden ist, ich werde sie anschließend wieder schmutzig machen.

Der “Schmutz” kommt ganz einfach vom Leben, das immer wieder alles durcheinander wirbelt. 100%ig sauber war meine Unterwäsche nur, als sie aus der Fabrik kam. Da hatte sie noch niemand getragen, sie war sozusagen noch nicht mit dem Leben in Kontakt gekommen. Auf der einen Seite könnten wir also sagen: Schmutz ist Leben, oder Leben ist schmutzig.

Andererseits reinigen sich auch Tiere, und jeder Regenguss reinigt die Pflanzen von Staub, der sich auf ihnen abgesetzt hat. Das brauchen wir Lebewesen alle, um am Leben zu bleiben. Zu viel Schmutz macht krank. Und Lebewesen sind vor allem damit beschäftigt, ihre innere Ordnung aufrecht zu erhalten, wozu u.a. das Immunsystem beiträgt.

Reinheit und Unreinheit haben ganz viel mit Identität zu tun. Mich reinigen heisst, mich tatkräftig meiner Identität zu vergewissern. Übrigens, auch das Sprichwort “die Spreu vom Weizen trennen” hat ja einen ganz handfesten landwirtschaftlichen Ursprung. Die Spreu ist von einem absoluten Standpunkt aus nicht schlechter oder besser als der Weizen. Nur wir Menschen können die Spreu halt nicht verdauen, deshalb ist für uns der Weizen wertvoller als die Spreu.

Lebewesen dürfen also ihre Grenzen nicht beliebig aufweichen, müssen sich einen gewissen Grad von Reinheit bewahren, um leben zu können. Zu starre Grenzen gefährden das Leben allerdings auch wieder, weil sich die Umwelt unweigerlich ständig verändert. Je mehr Unreinheit Lebewesen tolerieren können, um so anpassungsfähiger sind sie. Ratten machen es vor. ;-)

Im Bereich menschlicher Kulturen und Gruppen entspricht dem Schmutz und der Unreinheit das Fremde. Wir merken in Deutschland und Europa ja gerade sehr deutlich, dass zu viel Fremdes auf einmal die bisherige Identität gefährdet. Andererseits wird sich in Zeiten der Völkerwanderung wieder einmal zeigen, welche Kulturen bzw. Nationen in ihrer Identität so flexibel sind, dass sie sich der Entwicklung anpassen können, welche Nationen daran zerbrechen werden, welche Nationen sich wegen zu unscharfer Grenzen auflösen werden und auch welche machtvollen Nationen sich so unerbittlich zeigen, dass sie sich einfach abschotten.

In der Sprache der Prozessarbeit können wir Unreinheit als eine Form von Sekundärprozess beschreiben, Reinheit entsprechend als Primärprozess. Aus meinen Überlegungen ergibt sich dann ganz logisch, dass man immer auch den Primärprozess unterstützen muss, um sich nicht völlig in den unendlichen Weiten der Sekundärprozesse zu verlieren. Genauso kommt es darauf an, nicht im Primärprozess zu verharren, sondern sich immer wieder auf Sekundärprozesse einzulassen, um daran zu wachsen und sich wandelnden Bedingungen anzupassen.

Fremdenfeindlichkeit stellt sich aus dieser Perspektive als Ablehnung von Sekundärprozessen dar, oder auch als Weigerung, zu wachsen und sich weiter zu entwickeln. Dabei gehört eine gewisse “Fremdenfeindlichkeit” sogar zu jedem System dazu, das ja in erster Linie darauf aus ist, sich selbst in seiner Identität zu erhalten. Jedes System ist konservativ, muss aber zugleich, weil sich seine Umwelt stetig verändert, im eigenen Interesse zumindest etwas Veränderung zulassen (siehe dazu auch die Ausführungen von Marina Weisband).

Worin besteht nun die Übung beim Wäsche waschen und Klo putzen? Ganz einfach darin, den Schmutz nicht schlechter als die Reinheit zu bewerten und ihn dennoch rauszuwaschen und wegzuputzen – eine Art praktische Unterscheidung der Geister. Jedes Mal aufs Neue. :)

Käptn Peng besingt hier, was es bedeutet, in die duale Welt der Erscheinungen zu kommen und eine Identität anzunehmen: