Wir sind nicht zu viele - Wir sind nur zu blöd!

Die Diskussion um meinen Beitrag Äußeres Wachstum bremsen, inneres beschleunigen hat mich dazu veranlasst, noch mal klarzustellen, dass ich nicht technologischen Fortschritt an sich ablehne, sondern Fortschritt in bestimmten Bereichen sogar sehr befürworte. Wenn ich von “Wachstum” rede, meine ich gar nicht wissenschaftlich-technologischen Fortschritt, sondern im Sinne von Charles Eisenstein das Wachstum der Geldsphäre. In unserem heutigen Geldsystem bedeutet wirtschaftliches Wachstum zwangsläufig mehr desselben. Denn Geld ist ein eindimensionaler Maßstab, es gibt nur entweder mehr oder weniger Geld. “Wirtschaftswachstum” bedeutet daher “mehr Geld”. Das Bruttoinlandsprodukt ist eine einzige Zahl, und wenn diese Zahl größer wird, wächst die Wirtschaft. Wofür wir dieses mehr Geld verwenden, spielt dabei gar keine Rolle. Genauer gesagt wird Geld “investiert” in Unternehmen, die am Ende mehr Geld versprechen. Ob das Wirtschaftswachstum dadurch zustande kommt, dass die Leute nun jedes Jahr statt alle zwei Jahre ein neues Smartphone kaufen, oder ob sich ein neues Cradle to Cradle (C2C)-Smartphone durchsetzt, ist egal, weil die eine Zahl diese Unterschiede gar nicht abbilden kann.

Und hier kommen wir nun zu Michael Braungart, den ich ja schon mehrmals hier erwähnt habe, zuerst im Oktober 2005 im Beitrag Studiert Chemie!. In seinem Vortrag beschreibt er sowohl den aktuellen Wahnsinn unserer kapitalistischen Produktwelt als auch seinen Cradle to Cradle-Ansatz:

Entdeckt habe ich das Video übrigens bei Julia Jentsch, der rasenden Reporterin.

Vieles von dem, was er korrekterweise als “dumm” bezeichnet, ist durch unser Geldsystem wirtschaftlich schlau für die einzelnen Marktteilnehmer. Deshalb verbreitet sich der C2C-Ansatz auch so langsam, auch wenn er noch so sehr unserer Evolution dient.

Wie ich schon im Beitrag zum Bremsen des äußeren und Beschleunigen des inneren Wachstums schrieb, genügt es, unsere Aufmerksamkeit zu verschieben. Statt mit Forschung insgesamt aufzuhören, können wir in C2C-Forschung investieren. Statt in Rüstungsindustrie können wir in Friedensprojekte investieren. Dabei kann das wirtschaftliche Wachstum kurzfristig gleich bleiben, abnehmen oder sogar zunehmen. Mir geht es vor allem darum, dass wir bewusster entscheiden, welche Art von Wachstum in welche Richtung wir fördern wollen. Geld ist dafür schlicht kein geeigneter Maßstab. Durch sterbendes Geld kann das Geld aufhören, überhaupt ein dauerhafter Wertmaßstab zu sein, und dadurch den Blick freigeben auf das, was uns wirklich etwas bedeutet. Und nur wenn das Geld selbst fließt und sich wandelt wie alles andere auch, kann es eine äußere Kreislaufwirtschaft organisieren.

Noch mal zu Braungart und Cradle to Cradle: In seinem Artikel Ein neues Bio beschreibt er, wie auch die Landwirtschaft wieder als Kreislaufwirtschaft gestaltet werden kann. Terra preta breitet sich in alternativen Kreisen immer mehr aus, was ich für einen sehr sinnvollen Trend halte. Und der Biobauer Josef Braun zeigt, dass regenwurmfreundliche Landwirtschaft viel besser ist als Mineraldünger. Ein ganz ähnlicher Ansatz wie C2C ist die Permakultur.

Wer aktiv an einer Kreislaufwirtschaft mitarbeiten will, kann z.B. im Cradle to Cradle e.V. mitmachen oder auch C2C-Produkte online bei Cradlelution bestellen.

Nachtrag: Robert F. Kennedy hat schon 1968 auf die eingeschränkte Aussagekraft des Bruttoinlandsprodukts hingewiesen:

Nachtrag vom 29.12.2018: Die Überschrift gilt auch nach drei Jahren unverändert, siehe Wir sind kollektiv bescheuert – und suizidal.