Steuern und Zinsen sind die Folgen von Herrschaft

Wenige Tage bevor ich auf #OffshoreLeaks aufmerksam wurde, habe ich angefangen, noch einmal den bahnbrechenden Artikel Macht, der Staat und die Institution des Eigentums von Paul C. Martin (kurz PCM) zu lesen. Hintergrund war eigentlich, dass die herrschende neoklassische Wirtschaftstheorie sowohl den Ablauf von Zeit in wirtschaftlichen Vorgängen als auch Macht- bzw. Herrschaftsverhältnisse völlig ausblendet. Als ob diese keine entscheidende Rolle in unserer Gesellschaft spielten…

Nun ist das Thema Steuern und Steuerflucht in aller Munde. Da ist es an der Zeit, einmal zu beleuchten, was es mit den Steuern überhaupt auf sich hat. Es handelt sich dabei um Forderungen des Staates an seine Untertanen, die er notfalls mit seinem Gewaltmonopol durchsetzt. Das Unterschlagen von zu zahlenden Steuern, mithin die Steuerhinterziehung, ist mit gutem Grund eine Straftat und für den Staat absolut keine Bagatelle. Denn sie sägt an seinen Grundfesten, droht ihm seine materielle Grundlage zu entziehen.

Wo jetzt alle danach schreien, dem Staat doch gefälligst die ihm zustehenden Steuern zu geben, und sogar Campact eine Petition an Finanzminister Schäuble gestartet hat mit der Bitte, doch hart durchzugreifen gegen “Steuersünder”, sollten wir uns erst mal klar machen was der Staat überhaupt ist, wie er entstanden ist und wie er seine Existenz sichert.

Darauf hatte bereits im Jahr 1909 Franz Oppenheimer Antworten in Form seines Buches mit dem knappen Titel Der Staat. Darüber habe ich hier im Blog bereits geschrieben, daher zitiere ich nur zwei Sätze, die alles Wesentliche enthalten:

Er ist seiner Entstehung nach ganz und seinem Wesen nach auf seinen ersten Daseinsstufen fast ganz eine gesellschaftliche Einrichtung, die von einer siegreichen Menschengruppe einer besiegten Menschengruppe aufgezwungen wurde mit dem einzigen Zwecke, die Herrschaft der ersten über die letzte zu regeln und gegen innere Aufstände und äußere Angriffe zu sichern. Und die Herrschaft hatte keinerlei andere Endabsicht als die ökonomische Ausbeutung der Besiegten durch die Sieger.

Diese ökonomische Ausbeutung trägt den Namen Tribut, sofern die herrschende Gruppe als Besatzungsmacht auftritt; sobald die Beherrschten als Angehörige des Staates gelten, werden sie steuerpflichtig. Der Sachverhalt bleibt dabei der gleiche.

Im gleichen Atemzug wie Staat und Steuern entstehen auch Schulden und Sklaverei. Das hat David Graeber sehr gründlich in seinem äußerst lesenswerten Buch Schulden: die ersten 5000 Jahre herausgearbeitet. Er kommt darin zu dem Schluss, dass Eigentum ursprünglich überhaupt nur als Eigentum an Menschen entstanden ist. Nämlich sowohl Kriegsgefangenen als auch Schuldsklaven, die erst durch das Herausreißen aus all ihren sozialen Beziehungen so isoliert wurden, dass man ihnen einen Preis anheften konnte und sie somit zu untereinander vergleichbaren Waren wurden.

Das würde PCM vielleicht nicht unterschreiben, er belegt jedenfalls auch mit sehr vielen historischen Beispielen, wie Geld ursprünglich als Forderung eines Staates bzw. Herrschers an seine Untertanen in die Welt kommt. Denn die Herrschenden müssen ihre Herrschaft immer erst vorfinanzieren, selbst wenn sie Söldner bezahlen. Ganz zu Beginn steht immer die militärische Überlegenheit, die Gewalt, welche von den Herrschenden monopolisiert wird und am Ende dann das staatliche Gewaltmonopol darstellt.

Daran hat sich bis heute nichts geändert, wie man am US-Militär und dem dazu gehörigen US-Dollar leicht erkennen kann. Der Vorgänger war das britische Empire mit dem Pfund Sterling.

Aus den Tribut- bzw. Steuerforderungen, die immer zu einem von den Herrschenden festgelegten Termin fällig sind, ergibt sich dann in der Folge der Zins auf private (Geld-) Schulden. Ohne staatliche Abgabenforderungen zu einem fixen Termin gäbe es in unter freien Kaufleuten keine Notwendigkeit für Zinsforderungen, und historisch sind vielfach unverzinsliche Darlehen belegt. Erst der Staat setzt also den Wachstumszwang durch Zins und Zinseszins in Gang.

In meinem 7-Punkte-Plan für den Weg aus der Krise muss ich also den ersten Punkt ersetzen durch globale Abschaffung der Staaten – was es nicht gerade einfacher macht…

An dieser Stelle wird spätestens auch deutlich, dass Umfairteilen keine dauerhafte Lösung sein kann, sondern wie die Schulmedizin nur an Symptomen herumdoktert. Dass die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen ein Symptom ist, das sich logisch und zwingend aus dem herrschaftsbasierten Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ergibt, erläutert PCM wie folgt:

Das mit privatem Eigentum operierende Machtsystem endet automatisch, sobald sich zwei Gruppen von Abgabenbeziehern gegenüber stehen: Jene der Machthalter (Bürokratie) und jene der Staatstitelhalter (Rentner, bzw. Bezieher sog. arbeitsloser Einkommen). Damit würde wiederum das Wirtschaften erlöschen, es sei denn eine der beiden Seiten würde enteignet, was im Fall der Rentner der Staatsbankrott in Teilen (Zurücknahme von gesetzlich verbrieften Ansprüchen) oder zur Gänze wäre (1788 in Frankreich), der sowohl hyperinflationär abgewickelt werden kann, wobei sich der Staat durch Ausgabe seines Besteuerungsmittel (Assignaten) sich in seiner Funktion als Gläubiger selbst enteignet als auch durch deflationär, indem die Titel, die Einkommen aus Abgaben verbriefen, wertlos auslaufen.

Da sich die Staatstitelhalter, an die letztlich Steuern und damit das Abgabentilgungsmittel Geld abgetreten (!) wurde, nicht gleichmäßig verteilen, kommt es zur sog. „ungerechten Verteilung“ sowohl von Einkommen, Vermögen oder Reichtum, was zu ungeregeltem Ausgleich strebt (Revolution) oder zu geregeltem (Umverteilung).

Bei geregelten Umverteilung über den demokratischen Prozess erhöht die Finanzierung der Umverteilung die Schulden des Staates immer stärker, wie heute in sämtliche kapitalistischen Staaten zu beobachten.

(S. 50, Literaturhinweise zur besseren Lesbarkeit entfernt)

In diesem ganzen Themenkomplex darf natürlich Christoph Spehr mit seiner ebenfalls bahnbrechenden Abhandlung Gleicher als andere nicht fehlen. Er liefert darin eine mögliche Antwort auf die Frage “wenn die Staaten weg sind, was machen wir dann?”: Freie Kooperation.
Darüber habe ich auch schon ausgiebig gebloggt, daher greife ich nur noch ein Thema heraus, nämlich das bedingungslose Grundeinkommen. Dieses soll die Menschen zuallererst von allen materiellen Zwängen befreien, es soll den Traum verwirklichen, unverdient dazu zu gehören und unser volles Potential zu entfalten.

Das geht aber nicht zusammen mit einem Staat, der das Geld fürs Grundeinkommen per Gewaltmonopol von seinen Untertanen eintreibt.

Spehr schreibt dazu folgendes:

Es ist von erheblicher Komik, dass Abgeordnete für sich in Anspruch nehmen, durch relativ hohe Gehälter ihre inhaltliche Unabhängigkeit zu wahren und sich nicht-erpressbar zu machen – dass die meisten dieser Abgeordneten es aber nicht für nötig halten, eine derartige Unabhängigkeit und Nicht-Erpressbarkeit auch für den Souverän, nämlich die Bevölkerung, zu gewährleisten. Was für Abgeordnete gilt, sollte auch für uns gelten. Nur die Garantie eines unabhängigen, qualitativ ausreichenden Existenzgeldes schafft für die Individuen die Voraussetzung, sich nicht um jeden Preis verkaufen zu müssen. Es gewährleistet ihre politische Freiheit; denn politische Freiheit heißt vor allem, sich nicht in erzwungene Kooperationen irgendwelcher Art hineinbegeben zu müssen. Wo dies nicht in Form direkter monetärer Leistung möglich ist (und in den hochindustrialisierten Staaten des Nordens ist es ohne weiteres möglich), kommen andere Formen in Betracht – Landzuteilung oder Zugang zu gesellschaftlichem Kapital, das für Strukturen von Selbstorganisation und Selbstversorgung genutzt werden kann.

Eine Politik der freien Kooperation, darauf sei an dieser Stelle nochmals hingewiesen, beschränkt sich nicht auf erwünschte staatliche Aktivitäten. Menschen und Kollektive überall auf der Welt betreiben eine Politik der unabhängigen Grundsicherung, indem sie beständig nach Mitteln und Wegen suchen, direkt an den ungeheuren, aufgehäuften Bergen von gesellschaftlichem Kapital zu partizipieren, ohne die dafür aufgestellten Bedingungen erzwungener Kooperation zu erfüllen.

Er sieht das Dilemma also durchaus, mich würde allerdings sehr interessieren, was er für konkrete Ideen hat, eine Grundsicherung auf der Basis von Freier Kooperation umzusetzen.

An die Stelle von Staat und (Privat-) Eigentum werden wohl Commons (Gemeingüter) in der ein oder anderen Form treten. Keimform liefert dazu immer wieder spannende Beiträge.

Aus der Sicht von Spiral Dynamics ist folglich der Kern unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems nach wie vor rot. Ein Bewusstseinssprung ist daher dringend angesagt, bzw. vielleicht eher eine Angleichung des Geld- und Gesellschaftssystems an die längst fortgeschrittene Bewusstseinsstufe der Mehrheit in unserer Kultur (für eine grobe Schätzung der Anteile an der Bevölkerung siehe Spiral Dynamics beim Integralen Forum).

Jedenfalls hat Otto Scharmer absolut Recht, wenn er die derzeitige Krise als eine Krise des Bewusstseins bezeichnet.