Franz Hörmann und das Plussummenspiel im Informationsgeld

Ich habe noch nie jemanden so unterschätzt wie Franz Hörmann.
Als ich das erste Mal vor ein paar Jahren ein Interview mit ihm las, hatte ich ihn als sehr fundiert argumentierenden Kritiker unseres aktuellen Geldsystems abgespeichert und war auch schon tief berührt davon, wie er – ganz im Sinne der Tiefen Demokratie – auch die Eliten mit ins Boot nehmen wollte auf dem Weg in eine neue Gesellschaft.

Wie umfassend dieser Mensch denkt, und wie geschmeidig die vielen Aspekte bei ihm ineinander greifen, wird mir jetzt gerade erst klar. Aber fangen wir von vorne an.

Vorweg eine kleine “Warnung”: Hörmanns Gedanken bewegen sich auf einer höheren Ebene als die, auf der wir uns üblicherweise aufhalten. Er stellt ein komplett anderes Paradigma vor. Sogar ich, der ich immer begeistert auf neuartige Vorstellungen aufspringe, konnte mich erst nach & nach in sein Konzept eindenken.

Auslöser meiner neuerlichen Beschäftigung mit Franz Hörmann war das Interview in der Spreezeitung “Die Ursache unserer Probleme liegt weder an Europa noch am Euro”. Das wird erst ziemlich zum Ende hin wirklich spannend, nämlich da, wo er über das Ende des Tauschsystems und den Übergang zur Kooperationsgesellschaft durch „Informationsgeld“ spricht.

In diesem System existiert gar kein allgemeiner Wertmaßstab mehr, Geld ist kein Tauschmittel mit einem echten oder angenommenen eigenen Wert. Es gibt dadurch auch keine direkte Gegenleistung für Arbeit mehr.
Jeder Mensch hat quasi sein eigenes, individuelles Geldsystem, und Geld wird auf dem persönlichen Konto nach Bedarf geschöpft.
Dadurch wird u.a. Umverteilen unmöglich gemacht.

Am besten schaut ihr euch das halbstündige Interview beim Alpenparlament an, da wird das Wesentliche schon mal deutlich:

Das Informationsgeld geht damit sogar noch über die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens hinaus, denn dieses operiert immer noch innerhalb eines Geldsystems, das versucht, allgemeiner Wertmaßstab und Wertaufbewahrungsmittel zu sein. Übergangsweise ist ein solches BGE, das allen Menschen den gleichen Geldbetrag zur Verfügung stellt, wohl eher zu realisieren, aber es kann wirklich nur eine Übergangsmaßnahme sein in eine kooperative Gesellschaft.

Hörmanns Buch Das Ende des Geldes habe ich nur vom 7. Kapitel an gelesen, denn die Defizite des vorherrschenden Geld- und Wirtschaftssystems sind mir zur Genüge bekannt. Die letzten beiden Kapitel haben es jedoch in sich.

Der sechste Punkt des von mir skizzierten Wegs aus der Krise (Kapitalgesellschaften abschaffen) ist bei ihm bereits integriert:

Es gibt in diesem Konzept keine Kapitalgesellschaften mehr, in welchen Eigentümer ohne Leistung Schuldgeld vermehren, sondern nur noch natürliche Personen, welche sich über ihre wahren Leistungen vernetzen – jeder Mensch ein Unternehmer.

Besonders hoch rechne ich ihm an, dass er klar sieht, wie umfassend die Veränderungen sind, die er da vorschlägt:

Voraussetzung dafür ist jedoch ein komplett verändertes Bildungssystem, in welchem die jungen Menschen nicht auf Konkurrenz in einer beinharten Ellenbogengesellschaft, sondern auf empathische Kooperation einer Share-and-Care Society, d.h. einer Gesellschaft, in welcher die mitfühlende Zusammenarbeit unter der Zielsetzung gegenseitigen Respekts und wahrer Anteilnahme am Wohlergehen aller Menschen an erster Stelle steht, vorbereitet werden.

Damit schließt das Informationsgeld an Gemeinwohl-Ökonomie und Potentialentfaltung an, wie auch der folgende Satz deutlich macht:

Was ist das wertvollste Gut der zukünftigen Gesellschaft? Es ist Wissen, Kreativität und die volle Umsetzung des nach wie vor ungenutzten menschlichen Potentials, das in jedem einzelnen Menschen schlummert aber erweckt werden will.

Zu Tränen gerührt war ich von diesen Absätzen über den Begriff der Schuld:

… und vergib uns unsere Schuld…
Wozu benötigen wir als menschliche Gesellschaft in Zukunft eigentlich noch den Schuldbegriff? In der Vergangenheit wurde er ausschließlich von autoritären Hierarchien, wie Kirchen, Schulen, patriarchalen Familien, Rechtsordnungen etc., dazu missbraucht die Menschen gefügig zu machen, ihnen negative Gefühle einzupflanzen immer dann, wenn sie sich der Befehlsgewalt der Hierarchie zu entziehen drohten. Der Begriff der „Schuld“ ist das zentrale, unsinnige und gefährliche geistige Element der Fremdsteuerung. Die Orientierung am menschlichen Gewissen und die kritische Reflexion des eigenen Handelns werden solange verhindert, wie der Schuldbegriff als potentielle Drohung über unseren Häuptern schwebt.

… wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…
Wenn wir als gesamte Gesellschaft einmal erkannt haben, dass schädliches Verhalten, wie Gewalt gegen andere oder sich selbst, vorsätzlich schädliche Handlungen etc., stets auf eine vorhergehende Ursache, z.B. Frustration, eigene Verletzungen, schlichte Missverständnisse etc., zurückzuführen sind und diesen Menschen mit Verständnis und empathischer, liebevoller Kommunikation besser geholfen werden kann, als mit abschreckender Bestrafung – dann können wir einander auch in der gesamten Weltgemeinschaft verzeihen und den Begriff der „Schuld“ aus unserem Wortschatz, Verständnis und kollektiven Gedächtnis eliminieren.

Wir haben uns durch 5- oder 6000 Jahre Herrschaft, Patriarchat usw. so sehr daran gewöhnt, dass zwischenmenschliche Beziehungen aus Forderungen und Verbindlichkeiten, aus Schuld bestehen, dass wir uns alles in unserer Gesellschaft entsprechend organisiert haben.

Deshalb erscheint Hörmanns Vision so utopisch, denn es handelt sich wirklich um ein neues (vielleicht auch ein uraltes, aber jedenfalls ein total anderes als das bisherige) Paradigma. In der Hinsicht hat Franz Hörmann einen ganz ähnlich umfassenden, wenn auch im Detail teilweise sehr verschiedenen Überblick wie Otto Scharmer.

In dem gut 1 1/2stündigen Vortrag beim Kongress der wahren Alternativen wird einiges noch mal klarer, allein durch die Dauer und den Umfang dessen was er da erzählt.

Und weil das noch nicht genug des Paradigmenwechsels ist, schließe ich diesen Beitrag mit Hörmanns Artikel Die Krise der Bewertungstheorien, wo er in seinem akademischen Fachbereich der Unternehmensrechnung ebenfalls keinen Stein auf dem anderen lässt. Zu Recht allerdings, denn nur als ein Beispiel zeigt er darin den Klassifikationsfehler bei dem simplen Buchungssatz “Anlagevermögen an Kassa/Bank”:

Gegenstände, die nicht Geld sind, werden mit Geld gleichgesetzt. Geldbeträge werden in den Büchern ausgewiesen, die im Unternehmen nicht mehr vorhanden sind!

Investiert eure Zeit also lieber in die hier verlinkten Materialien als in Tagesschau, DSDS u.ä., es lohnt sich. :)

Nachtrag vom 12.12.: Nun habe ich noch diverse Webseiten zu Informationsgeld und Antibilanz entdeckt.

Nachtrag vom 01.04.2020: Vergleiche allerdings auch die Kritik am Informationsgeld bei Telepolis.