Der Zins ist nicht das Problem, sondern seine Garantie

Gefährliches Halbwissen Teil 3: Nachdem die Frage nach der Geldschöpfung durch Geschäftsbanken sowie der Geldschöpfung aus dem Nichts nun geklärt sind, blieb natürlich noch die Frage nach dem Zins, Zinseszins und dem damit verbundenen exponentiellen Wachstum übrig. Das ist keine theoretische Frage, denn exponentielles Wachstum lässt sich an vielen Stellen in unserer Wirtschaft empirisch beobachten. Das wäre zum einen die Entwicklung der Bankbilanzen, der Staatsverschuldung in Deutschland oder auch der Aktienmärkte am Beispiel des S&P 500 seit 1950. An letzterem sehen wir auch gut, dass die Crashs von 2000 und 2007 dem exponentiellen Wachstum einen erheblichen Dämpfer verpasst haben (1987 muss man da schon fast mit der Lupe suchen). Die Staatsverschuldung ist dafür jeweils kurz nach dem Crash sprunghaft angestiegen.

Das gefährliche Halbwissen, das ich hier und anderswo bisher verbreitet hatte, bezieht sich in diesem Fall auf die Behauptung (die übrigens vor allem auch Paul C. Martin (PCM) in die Welt gesetzt hat!), das Geld für den vom Schuldner zu leistenden Zins sei im Gesamtsystem nie vorhanden. Diesen Zahn haben mir nun die Geldsystempiraten in ihrem Grillfest zum Thema Zinskritik gezogen. Die knapp 2 1/2 Stunden Mumble-Mitschnitt sind ein Dokument von beeindruckend ernsthaftiger Auseinandersetzung um der Sache willen:

Dass der “nicht vorhandene Zins” ein Denkfehler ist, legt auch Helmut Reinhardt in seiner zweiteiligen Reihe Die beliebtesten Irrtümer rund ums Geld (Teil 2) schlüssig dar:

Die heutige Welt besteht aus unzähligen Krediten mit unterschiedlichen Laufzeiten. Ständig wird auf der einen Seite neues Giralgeld durch Kreditvergabe geschöpft und auf der anderen Seite durch Tilgung wieder aus dem System entfernt. Solange Kreditgeber die eingenommenen Zinsen wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückführen, - indem sie die Zinserträge verkonsumieren - fehlt kein Geld, mit dem Kreditnehmer Ihre Schulden und Zinsen bedienen müssen. Geld kann durchaus mehrmals verwendet werden!

Interessanterweise hat er die Ursache des Problems eher verstanden als sein Auftraggeber Dirk Müller, auf dessen Seite Cashkurs er seine Beiträge veröffentlicht. Auf den fällt sogar Bankerin Jenny in ihrem Blog herein, wenn sie (wie ich früher) über die Exponentielle Umverteilungsmaschine schreibt.

Um es noch einmal zu betonen: Ja, es gibt in unserem Geldsystem ein exponentielles Wachstum, das sich empirisch beobachten lässt. Die Ursache dafür ist aber nicht der Zins an sich.

Sondern, und hier zitiere ich noch einmal Helmut Reinhardt, das exponentielle Wachstum kommt erst durch die Garantie eines Zinses auf unbefristete Schuldverhältnisse ins System:

Wir halten also fest: Die einzigen Schulden, die ein exponentielles Wachstum aufweisen sind die Verbindlichkeiten der Banken. Das liegt daran, dass diese Schulden (bzw. Guthaben - aus Sicht der Geldanleger betrachtet) keinen Rückzahlungstermin aufweisen müssen. Als bestes Beispiel für diesen Sachverhalt wäre das beliebteste Anlagevehikel der Deutschen zu nennen: das gute, alte Sparbuch.

Garantieren kann den Zins natürlich, wenn überhaupt, dann nur der Staat. Denn einem privaten Unternehmen würde eine solche Garantie niemand abnehmen. Im Umkehrschluss muss daher der Staat immer weiter aufschulden, damit den garantierten Spareinlagen ebenso garantierte Staatsschulden gegenüber stehen. Diesen Teil des Problems hat PCM dafür wieder sehr klar gesehen. Zugespitzt formuliert zwingt sich der Staat also durch das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (EAEG) selbst dazu, immer weiter aufzuschulden. Und da liegt der Hund begraben!

Jens Berger von den Nachdenkseiten sieht dieses Problem nur in Ansätzen, wenn er ganz am Ende seiner Kritik der Zinskritik schreibt:

Eine Hauptursache der Finanzkrise liegt übrigens in einem Denkfehler, den die Zinskritiker und die Finanzalchimisten der großen Investmentbanken teilen. Geradeso als hätten die Zinskritiker mit ihrer Geschichte vom „Josephspfennig“ doch recht, versuchten die Mathematiker der Investmentbanken, synthetische Papiere zu entwickeln, die einen risikolosen Zinsertrag versprechen sollten.

Den risikolosen Zinsertrag gab es schon lange vor den synthetischen Papieren der Investmentbanken, eben in Form des guten alten Sparbuchs.

Renée Menéndez ist da ein gutes Stück weiter in seiner Analyse. Zur Zinsproblematik gibt sein Artikel Wird aus Geld mehr Geld? einiges her:

Eine Dauerhaftigkeit der Nettogeldvermögen läßt sich demzufolge nur mit Schuldnern erreichen, wenn diese – im wahrsten Sinne des Wortes – auch Dauerschuldverhältnisse eingehen (können). Dazu ist in der sektoralen Betrachtung bisher aber nur ein Akteur in der Lage gewesen: der Staat – und auch der inzwischen nicht mehr!

Weil Wirtschaften immer mit Unsicherheit behaftet ist – ein Unternehmen kann Erfolg haben, aber auch scheitern – haben Garantien darin nichts zu suchen. Deshalb nun das Fast-Schlusswort aus dem Artikel Schulden:

Entscheidend ist jedoch, daß damit das Prinzip durchbrochen wird, das für immerhin 50 Jahre Stabilität und Wohlstand steht: die Bereitschaft, die Verantwortung für Risiken des Wirtschaftslebens nicht nur zu übernehmen, sondern auch zu tragen. Denn insbesondere auf den Finanzmärkten, die ja eigentlich der Inbegriff ökonomischer Effizienz sein sollen, hat sich ein systemwidriges Element eingeschlichen, welches genau diesen Stabilitätsmechanismus von innen her aushöhlt. Der Glaube daran, daß es gegen die Zukunftsrisiken eine Versicherung gibt, die es ermöglicht, die Konsequenzen der eigenen Investitionsentscheidungen nicht vertreten zu müssen, frißt sich wie ein zerstörerisches Feuer durch die Kreditbeziehungen der Welt.

Ja, mir ist bewusst, dass ich damit mein Eintreten für ein Bedingungsloses Grundeinkommen angreifbar mache, denn dieses garantiert ja gerade eben jedem Menschen ein Einkommen, von dem er leben kann.
Wir reden aber bei der Unsicherheit von Unternehmen davon, dass auf hohem Niveau mal etwas schiefgehen kann. Dass Menschen verhungern müssen, ist schon lange aufgrund des Gesamtangebots an Nahrungsmitteln auf unserem Planeten nicht mehr notwendig. Und sollte jemals wieder so eine Situation eintreten, dann sind Überlegungen wie diese hier eh hinfällig.
Da wir also eigentlich in einer Gesellschaft der Fülle bereits leben, ist es nur angebracht dass auch jeder Mensch unverdient daran teilhaben kann. Womit wir u.a. wieder bei Otto Scharmer wären.

Update vom 28.05.2014: Soeben habe ich bei André Hebbel eine hervorragend erklärte Zusammenfassung des Fehlschlusses vom fehlenden Zins gefunden: Der “fehlende Zins” und das Sparen. Seine letztliche Forderung nach “freiem Marktgeld” ist allerdings wiederum Humbug und entspringt einem unzulänglichen Geldverständnis, wie es neben der (Neo-) Klassik eben auch die (Neo-) Austrians an den Tag legen.